Favre will zur Viererkette zurück: Die Folgen für den BVB
Von Florian Bajus

Nach fast einem Jahr mit Dreierkette will BVB-Trainer Lucien Favre wieder zur Viererkette zurückkehren. Doch welchen Vorteil hätte eine Grundformation mit vier Abwehrspielern? Worin unterscheidet sie sich von einer Dreierkette? Und welche Konsequenzen ergeben sich aus dieser Änderung?
Der BVB verfügt über einen Kader mit extrem offensiver Wucht. In vorderster Front stürmt Erling Haaland, der über ein irres Tempo verfügt und nur darauf wartet, zwischen den gegnerischen Innenverteidigern zu einem Tiefenlauf anzusetzen. Auf den Flügeln bringen Jadon Sancho und Thorgan Hazard zusätzlich Kreativität und eine sehr große Dribblingaffinität mit, beide gehen gerne ins Eins-gegen-eins, um den Außenverteidiger auszuspielen und in den Strafraum einzudringen.
Unterstützt wurde das Flügel-Duo in der vergangenen Saison von den Außenverteidigern Raphael Guerreiro und Achraf Hakimi, Letzterer wird nach seinem Abgang zu Inter Mailand von Thomas Meunier ersetzt. Guerreiro und Hakimi sind beide offensiv orientierte Außenverteidiger, wobei Guerreiro über mehr Gefühl am Ball und Hakimi über mehr Tempo verfügt. Mit Meunier hat der BVB einen eher untypischen, weil groß gewachsenen und kräftigen Außenverteidiger erhalten, der ebenso in der Innenverteidigung denkbar wäre.
Unterschiede zwischen Dreier- und Viererkette
Im 3-4-2-1, auf das Lucien Favre seit November vergangenen Jahres vertraut hatte, formierten sich die Dortmunder bei Ballbesitz in einer Dreier- und gegen den Ball in einer Fünferkette. Eine wichtige Rolle wird also den Außenverteidigern zuteil, die sich einerseits bei Ballbesitz ins Offensivspiel einschalten und für Breite sorgen, andererseits aber in der Rückwärtsbewegung hellwach sein müssen, um den kompakten Fünferblock mit den Innenverteidigern zu bilden.
Im Aufbau genießt die Dreierkette gegenüber der Viererkette den Vorteil, dass sich kein defensiver Mittelfeldspieler zwischen die Innenverteidiger fallen lassen muss. Eine Gleich- oder Überzahl im Mittelfeld ist also stets gegeben, doch dafür fehlt ein Spieler im Angriff. Mit den Außenverteidigern und den drei Angreifern stürmen fünf Mann in einem 3-4-2-1, zuzüglich eines Mittelfeldspielers wären es sechs Spieler. In einem 4-3-3 würden dagegen bis zu sieben Spieler angreifen, wenn die Außenverteidiger hoch stehen und zwei Achter nachrücken.
Gleichzeitig ist das Mittelfeld bei einer 5-3-2-Formation gegen den Ball in Unterzahl, während zwei kompakte Viererblöcke wie bei einem typischen 4-4-2 eine Gleichzahl herstellen. Höhere Ballgewinne wären daher eher bei einer Viererkette zu erwarten, während sich eine Fünferkette typischerweise tief in die eigene Hälfte zurückzieht. Genau auf dieses Konzept vertraute Favre aber nach der Umstellung auf Dreierkette, denn der Kader ist prädestiniert für ein explosionsartiges Umschaltspiel. So konnten die Außenverteidiger und die Flügelspieler nach erfolgreichem Ballgewinn sofort das Tempo anziehen und den Mittelstürmer einbinden. Die Viererkette ist dagegen eher für ein ballorientiertes Spiel ausgelegt, doch das fruchtete in der ersten Saisonhälfte nicht.
Was bedeutet eine Umstellung für den BVB?
Eine Umstellung auf Viererkette würde mehr Ballbesitz und mehr Risiko bedeuten. Weil in der Restverteidigung üblicherweise nur die beiden Innenverteidiger zu finden sind, muss sich das defensive Mittelfeld nach Ballverlust schnell nach hinten orientieren, auch die Außenverteidiger müssen im Eiltempo wieder zurück in die eigene Hälfte. Gleichzeitig ist die Viererkette bei eigenem Ballbesitz variabel, weil sich Mittelfeld und Angriff in einem 4-2-3-1, 4-3-3, 4-1-4-1, 4-4-1-1 oder 4-4-2 mit Mittelfeld-Raute formieren können. Unabhängig von der Ausrichtung sind die Passwege kürzer und einzelne Teile des Spielfeldes können einfacher überladen werden, da eben ein Mann mehr zur Verfügung steht als bei einer Dreierkette.
Für den BVB würde das bedeuten, dass sich der Konkurrenzkampf in der Innenverteidigung und im zentralen Mittelfeld zuspitzt. Mit Mats Hummels, Dan-Axel Zagadou, Manuel Akanji, Emre Can und womöglich auch Lukasz Piszczek und Thomas Meunier würden bis zu sechs Spieler um zwei Posten in der Innenverteidigung kämpfen, gleichzeitig würden sich mit Can, Thomas Delaney, Axel Witsel, Mahmoud Dahoud, Julian Brandt und Jude Bellingham ebenfalls sechs Spieler um maximal drei Mittelfeld-Plätze bewerben.
Vieles spricht dafür, dass Favre auf mehr Ballkontrolle setzen will, ohne an Durchschlagskraft zu verlieren. In einem 4-3-3 könnten etwa Haaland, Sancho und Hazard gemeinsam mit Guerreiro, Meunier, Brandt und Bellingham den Gegner in der eigenen Hälfte einschnüren, die Abwehr dabei mit vielen Diagonalbällen durchbrechen. Im Stile von Manchester City bevorzugt es Favre, dass der Flügelspieler bis zur Grundlinie marschiert und den Ball in den Rückraum des Sechzehners spielt, wo mindestens ein Spieler auf den Ball lauert. Daran dürfte er weiter festhalten. Bei Ballverlust würde er gleichzeitig ein höheres Risiko eingehen, mit Can, Witsel, Hummels, Zagadou und Akanji stehen aber viele Defensivspezialisten zur Verfügung, die körperlich robust sind und sich in viele Zweikämpfe werfen. Diese ausgewogene Mischung könnte zum erhofften Erfolg führen.