Eine Pokalnacht und viele verwirrte Menschen!

Kieler Fans nach dem Sensations-Erfolg ihres Teams!
Kieler Fans nach dem Sensations-Erfolg ihres Teams! / Stuart Franklin/Getty Images
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Der FC Bayern München ist überraschenderweise schon in der zweiten Runde des DFB-Pokals am Zweitligisten Holstein Kiel gescheitert. Es war ein Abend historischer Dimension - und voller Verwirrung.

Er habe einige verwirrte Leute in der Kabine gesehen, sagte Kiels Trainer Ole Werner, nachdem er die Frage der ARD-Reporterin, ob er schon zu seiner Mannschaft habe sprechen können, bejaht hatte. 

Er selbst wirkte in diesem Moment gefasster, als es wahrscheinlich draußen vor den Toren des altehrwürdigen Holstein-Stadions einige offenbar spontan versammelte Kieler Fans waren, die per Autohupkonzert dem historischen Moment eine entsprechende akustische Begleitung verleihen wollten. 

Die Fanfaren verdient hat sich das gestrige Spiel zwischen Holstein Kiel und dem FC Bayern München auf alle Fälle. Aber was war da noch mal mit der Verwirrung?

Nur Roca trifft nicht beim finalen Shootout

Scheiterte als einziger Schütze im Elfmeterschießen: Marc Roca
Scheiterte als einziger Schütze im Elfmeterschießen: Marc Roca / Stuart Franklin/Getty Images

Die stand dem Spanier Marc Roca ins Gesicht geschrieben, als er fassungslos zur Kenntnis nehmen musste, dass er an diesem denkwürdigen Abend der einzige von zwölf Elfmeterschützen sein sollte, der den gegnerischen Torwart nicht überwinden konnte.

Der wiederum wirkte dann nach dem Spiel etwas verwirrt über so viel Medieninteresse an seiner Person. “Was? Nochmal?”, war deutlich zu vernehmen, nachdem Ioannis Gelios den ARD-Mikrofonen Rede und Antwort gestanden hatte.

Der FC Bayern wiederholt die Fehler

Verwirrt dürfte auch der objektive Betrachter des Spiels festgestellt haben, dass der FC Bayern nunmehr binnen zwei aufeinanderfolgenden Pflichtspielen drei Gegentore nach fast identischer Machart kassiert hat, obwohl die Art und Weise, solche Art Tore zu vermeiden, ohne Zweifel kein taktisches Genie benötigt. 

Wenn man Bewunderung als eine spezielle Form der Verwirrung ansehen will, war auch der Fußball-Experte Bastian Schweinsteiger diesem Geisteszustand unterworfen. Und zwar immer dann, wenn er auf den Kollegen Wahl zu sprechen kam. Hauke Wahl. Kieler Innenverteidiger.

Hauke Wahl - Spieler des Tages!

Der hat, neben durch die Bank gut mitspielenden Kollegen, gestern ein Spiel abgeliefert, das Schweini mit seiner Beurteilung des Verteidigers als “Man of the match” folgerichtig bewertete. Man fragt sich schon, warum der nicht längst eine Etage höher kickt. Denn der Gradmesser konnte mit dem aktuellen Quintuple-Sieger ja gar nicht größer sein.

Bester Mann auf dem Platz: Hauke Wahl (hier im Duell mit Robert Lewandowski)
Bester Mann auf dem Platz: Hauke Wahl (hier im Duell mit Robert Lewandowski) / Stuart Franklin/Getty Images

Und Wahl spielte, als würde er täglich auf diesem Niveau kicken. Sorgte fast immer für einen sauberen Aufbau von hinten heraus, fing gegnerische Pässe ab, ließ notfalls auch mal einen Gegner im direkten eins gegen eins aussteigen, gewann Zweikämpfe - und traf dann auch noch.

Das war eine mehr als reife Leistung. Gekrönt mit dem vielleicht von der Ausführung her etwas glücklichen Ausgleichstreffer zum 2:2 in der praktisch allerletzten Sekunde des Spiels. 

Kiel zeigt spielerische Klasse - auch noch in der letzten Sekunde

Auch hier, in den Sekunden zuvor: Verwirrung! Diesmal meinerseits. Nämlich darüber, wie abgezockt und eiskalt da von Seiten der Kieler, schon jenseits der angezeigten Nachspielzeit, der Ball nicht einfach nach vorne gedroschen wurde, mit besten Grüßen an den unbekannten Empfänger, sondern ruhig und kontrolliert nach vorne kombiniert. Mit dem Gipfel einer Maßflanke - und dem Glück des Tüchtigen, sich an die eigene Schulter zu köpfen.

Auf selbige klopfen konnten sich die Bayern gestern nicht. Aber wirklich schlecht haben sie ja auch nicht gespielt. Was Thomas Müller während seiner Erklärung für das Geschehen ebenfalls etwas verwirrt hinterließ, denn große Fehler will er bei seinem Team nicht verortet haben.

Von daher kann wohl konstatieren, einem äußerst seltenen Ereignis beigewohnt zu haben. Was ein Blick in die Statistik ja auch bestätigt. Die gestrige Niederlage bedeutet für die Bayern das erste Zweitrunden-Aus im DFB-Pokal seit 20 Jahren.

Heißt: manche Leute in diesem Land sind aufgewachsen und groß geworden, ohne in den Genuss dieser schönsten aller fußballerischen Schadenfreuden gekommen zu sein. Denn das aus tausenden Kehlen intonierte “Zieht den Bayern die Lederhosen aus” ist ja quasi für solche Abende wie den gestrigen gemacht worden. Und wie gern hätten es die Kieler Spieler mit 15.000 ihrer Fans im Stadion gefeiert. Diesen epochalen Sieg gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner.

Historische Dimensionen

Überhaupt scheint es für die Bayern seit einiger Zeit ohne historische Dimensionen nicht zu gehen. Doch waren diese im August vergangenen Jahres - Stichwort: Champions League - noch äußerst positiver Art, schlägt das Pendel nun in die entgegengesetzte Richtung aus. 

Gegen Gladbach vor einigen Tagen eine 2:0-Führung komplett verspielt: seit über einem Jahrzehnt nicht mehr vorgekommen. 

24 Gegentore in 15 Liga-Spielen: da reicht ein Jahrzehnt gar nicht mehr aus, um sich in die Vergangenheit zu graben und ähnliches zutage zu fördern.

Schmerzende Verwirrung in München über immer wieder dieselben Fehler, euphorisierende Verwirrung in Kiel über die eigene Souveränität, faszinierte Verwirrung beim gemeinen Fußball-Fan darüber, dass sich gewisse Gesetze in diesem Sport, on the long run, irgendwie doch immer wieder aufs Neue bestätigen. 

Und dass dies dem Fußball selbst jetzt, nach Monaten voller Geisterspiele inmitten dieser seltsam sterilen Corona-Atmosphäre, immer noch gelingt, ist eigentlich das Verwirrendste von allem.