DFB-Schiedsrichter klärt auf: Entscheidungen pro Bayern allesamt nachvollziehbar

Ex-Bundesliga-Schiedsrichter Jochen Drees verteidigt die strittigen Entscheidungen im Topspiel
Ex-Bundesliga-Schiedsrichter Jochen Drees verteidigt die strittigen Entscheidungen im Topspiel / Johannes Simon/GettyImages
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Das Topspiel zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern hatte so einige strittige Szenen zu bieten. Die entscheidenden Situationen wurden quasi allesamt zu Gunsten des FC Bayern bewertet. Nach dem Schlusspfiff wüteten die BVB-Stars ziemlich vehement gegen Schiedsrichter Felix Zwayer. Klare Fehlentscheidungen lagen jedoch nicht vor, was auch Ex-Schiedsrichter Dr. Jochen Drees so bewertete.


Es ist selbstredend gut verständlich, dass die Emotionen nach einem derart packenden Topspiel exponentiell in die Höhe schießen. Dies gilt umso mehr, weil die Dortmunder schon in vergangenen Duellen mit den Münchnern nicht unbedingt glücklich weggekommen sind. Mit ein wenig Abstand wird man aber auch erkennen, dass es für praktisch jede Entscheidung eine schlüssige Erklärung gab. Im Interview mit dem DFB legt uns Dr. Jochen Drees (fachlicher Projektleiter für den Bereich VAR und Mitglied der Sportlichen Leitung der Elite-Schiedsrichter) seine Sichtweise dar.

Lewandowski-Foul an Haaland: Keine Interventionsmöglichkeit für den VAR

Die erste strittige Szene handelte in Minute 43, in der Robert Lewandowski knapp vor der Strafraumgrenze begann, Erling Haaland zu halten.

"In dieser Situation liegt ein Halten des Münchner Spielers vor. Diese findet allerdings kurz vor dem Strafraum seine Wirkung und wurde von Felix Zwayer bewertet. Aus meiner Sicht handelt es sich regeltechnisch um ein Foulspiel, welches einen direkten Freistoß und eine Verwarnung des Bayern-Spielers hätte nach sich ziehen müssen. Zur Frage des Tatorts, also ob das Halten eventuell knapp im Strafraum endete, lassen die vorliegenden Bilder für den VA keinen zweifelsfreien Beleg zu, sodass hier keine Interventionsmöglichkeit für den VA besteht", schilderte der Fachliche Projektleiter für den Bereich Video-Assistent.

Letztlich war dies wohl dennoch die umstrittenste Entscheidung. Hätte Zwayer den entscheidenden Kontakt innerhalb erkannt, hätte es mutmaßlich auch kein Eingreifen des Video-Assistenten gegeben. Zudem hätte ja auch aus dem fälligen Freistoß Gefahr entstehen können.

Hernández an Reus "reine Bewertungssache" und zuvor Abseits

Besonders viel Aufregung verursachte jedoch eine Szene kurz nach Wiederanpfiff, in der Lucas Hernández seinen Gegenspieler Marco Reus im Strafraum zu Fall brachte.

"Bei diesem Laufduell kommt es zu einem Oberkörperkontakt und einem leichten Schieben durch den Münchner Spieler. Einen "Treffer" im Fußbereich gibt es hier nicht. Auch hier hat der Schiedsrichter und insbesondere auch der Schiedsrichter-Assistent eine vollständige Wahrnehmung und Kontrolle über den gesamten Vorgang. Der Zweikampf wird als nicht strafwürdig bewertet. Da sich die Information der vorliegenden Bilder nicht von der Wahrnehmung des Schiedsrichters unterscheiden, handelt es sich um eine reine Bewertungsfrage, die der Schiedsrichter auf dem Platz treffen muss", erläuterte Drees.

Allerdings hätte es ohnehin keinen Elfmeter geben können, da im Vorfeld eine knappe Abseitsposition vorlag.

"Entscheidend in dieser Szene ist aber auch, dass sich der Spieler Haaland in der Eröffnung der Angriffssituation mit einem Fuß im Abseits befindet, sodass die nachfolgende Bewertung der Zweikampfszene für den VA regeltechnisch keine Rolle mehr spielt. Das bedeutet, dass selbst bei einer strafbaren Bewertung des Zweikampfes, dieser Strafstoß aufgrund der Abseitsstellung des Dortmunder Angreifers durch den VA korrigiert worden wäre", stellte er klar.

Trotz großzügiger Linie: "Bewertung eines strafbaren Handspiels korrekt"

Für die Entscheidung auf dem Platz sorgte letztlich der verwandelte Handelfmeter von Robert Lewandowski. Die Aufregung hierbei war besonders groß, weil bei einem Eingreifen des Video-Assistenten ein klar strafwürdiges Handspiel vorliegen muss. Allerdings hat Zwayer nie entschieden, dass die Handberührung von Mats Hummels nicht strafwürdig ist. Die Entscheidung fiel demnach im Diskurs mit dem VA und stellte keine Revidierung einer zuvor getroffenen Entscheidung dar.

"Bei der Flanke von der rechten Seite geht der Dortmunder Spieler mit vorgehaltenem Arm in einer aktiven Bewegung zum Ball und spielt diesen mit dem Ellenbogen. Die Armhaltung des Spielers seitlich vom Körper ist als nicht natürlich einzuordnen. Allerdings hat der Spieler zum Zeitpunkt der Ballberührung den Blick nicht zum Ball gerichtet, kann aber sehr wohl einschätzen, woher dieser kommt, und wird gegebenenfalls durch einen weiteren Mitspieler irritiert. In dieser Situation hat Felix Zwayer keine vollständige Wahrnehmung auf den Vorgang und erkennt lediglich, dass der Ball am Arm des Dortmunder Spielers war, nicht jedoch, wie es zu diesem Handspiel gekommen ist und wie die Armhaltung im Verlauf der Situation war. Da der Schiedsrichter ohne diese Informationen keine vollständige, fachliche Bewertung vornehmen kann und die Situation die geschilderten strafbaren Argumente beinhaltet, ist die Empfehlung zu einem OFR durch den VA nachvollziehbar", fasste Drees die Szene zusammen.

Letztlich hätte Zwayer angesichts seiner großzügigen Linie auch weiterlaufen lassen können, jedoch war seine Entscheidung regeltechnisch absolut korrekt.

"Bei der Frage der fachlichen Bewertung des Handspiels im Zusammenhang mit der großzügigen Linie bei der Bewertung der geschilderten Zweikampfsituationen sind die im Nachgang aufkommenden Fragen, ob die fachliche Bewertung unauslegbar strafbar sein muss, für mich aber auch nachvollziehbar. Betrachtet man die Situation trotzdem losgelöst, ist die Bewertung eines strafbaren Handspiels und somit eines Strafstoßes korrekt", schlussfolgerte er.

Demnach sollte zumindest klar sein, dass es sich beim Bundesliga-Klassiker definitiv um kein Skandal-Spiel handelte, selbst wenn der BVB durchaus unglücklich wegkam. Die Ansetzung von Schiedsrichter Zwayer kann man natürlich trotzdem scharf kritisieren. Dies hat jedoch weniger mit dem Spiel vom Wochenende im Speziellen zu tun.