Nach französischem Sieg über Deutschland: Titelblatt der "L'Équipe" sorgt für Wirbel

Französische Fans bejubeln den Sieg ihrer Mannschaft gegen Deutschland
Französische Fans bejubeln den Sieg ihrer Mannschaft gegen Deutschland / Sam Tarling/Getty Images
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Dass große Fußball-Turniere, wie die aktuelle EM oder die ebenfalls alle vier Jahre stattfindende Weltmeisterschaft, eine Art "Krieg ohne Waffen" darstellen, wird von den meisten Soziologen der Gegenwart schon seit Langem nicht mehr verneint.


Gerade in Europa, einem Kontinent, der über Jahrhunderte hinweg und bis in die Mitte des vorigen Säkulums eigentlich Dauerschauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen war, wurde dieser Kriegsersatzcharakter des Fußballs ab der Mitte des 20. Jahrhunderts sehr geschätzt.

Die feierlich vorgetragenen Hymnen der Kontrahenten vor dem Spiel, unterstützt von den inbrüstig intonierten Gesängen der "Schlachtenbummlern" (!) vor Ort, sind dabei nur eine von vielen, mittlerweile zum Glück nur noch symbolischen Formen, um der jeweiligen Auseinandersetzung eine über das Sportliche hinaus gehende Wertigkeit zu verleihen.

In diesem Kontext kann es dann auch nicht verwundern, dass bei praktisch jedem Turnier auch die Presselandschaften der teilnehmenden Länder (bisweilen sogar die von nicht teilnehmenden!), offenbar angesteckt von der allgemeinen Euphorie in ihrem eigenen Land und im ganzen restlichen Kontinent, bisweilen ins Chauvinistische abgleiten.

L'Équipe auf den Spuren englischer Revolverblätter

Wie jetzt sogar die sonst eher als vornehm zurückhaltend wahrgenommene französische Sportzeitung L'Équipe, die anlässlich des gestrigen Sieges der Équipe Tricolore gegen Deutschland heute Morgen mit einer Titelüberschrift aufwartete, wie man sie bis dato eher von englischen Blättern vom Schlage einer Daily Mirror, The Sun oder Daily Star kannte.

"Comme en 18" stand da heute in großen Lettern auf der Titelseite, was übersetzt "Wie 18" heißt. Selbst wenn es die Intention des Autors war, lediglich Assoziationen an die gewonnene Weltmeisterschaft von 2018 zu wecken, ist es jedoch auch nicht weniger richtig, dass mit diesem Satz auch die Schrecken des Ersten Weltkrieges (der bekanntlich im Jahr 1918 endete) evoziert werden.

Zumal in Frankreich damals, nach Kriegsende, ein Satz wie ein Schlagwort innerhalb der Gesellschaft die Runde machte: "C'est reparti comme 1914" - frei übersetzt: alles ist wie 1914, in Anspielung an den jahrelangen Stellungskrieg zwischen den Brudervölkern an der Marne oder an der Somme, der trotz millionenfacher Verluste auf beiden Seiten (französischer und deutscher) am Ende in einer Art Pattsituation erstarrte. Bis zum Waffenstillstand im November 1918.

Wie gesagt: Derlei kriegerisch geprägte Extravaganzen im journalistischen Umgang mit sportlichen Großereignissen sind nichts wirklich Neues. Von den englischen Produkten des Boulevard-Journalismus kennt man es sogar seit Jahrzehnten nicht anders.

Als die deutsche Nationalelf im Sommer 1996 auf dem Weg nach Wembley war, zum dort stattfindenden Halbfinale gegen den Turniergastgeber England, waren besagte Blätter voll mit bellischen Anklängen.

Kriegsberichterstattung oder Sport?

Von den "Krauts", eine während des Zweiten Weltkriegs geprägte Metonymie für "Deutsche", war da ständig die Rede. Der deutsche Kontrahent, symbolisiert in einem der deutschesten Namen überhaupt, würde nun nach Hause geschickt (oder sollte man sagen: bezwungen?), wenn er sich denn nicht selbst ergeben sollte: "Achtung! Surrender!" befahl denn auch der Daily Mirror.

Mit der Schlagzeile "For you Fritz, ze EURO 96 Championship is over" machte sich eben dieses Blatt nebenbei auch noch über die bisweilen defizitäre Aussprache ihres Idioms seitens der "bloody germans" lustig. Aber das fiel bei dermaßen grellem Kriegsgeheul fast schon gar nicht mehr ins Gewicht.

Von derart wenig subtilen (sondern eher platt-plumpen) Anspielungen ist die jüngste Headline des französischen Flaggschiffs des Sportjournalismus noch ein Stück weit entfernt.

Und ich selbst, Jahrgang 1973, und somit völlig unbelastet von kriegerischen Konflikten in meiner unmittelbaren Lebensrealität, habe auch die englischen Provokationen immer eher in einem folklorisch-überzogenen Kontext gesehen - und sie deshalb nie so ernst genommen, wie es vielleicht direkt vom Krieg betroffene Personen getan haben mögen.

Doch so oder so ist es immer wieder faszinierend zu sehen, zu welchen Gefühlsausbrüchen die mit diesem wunderbaren Sport verbundene Emotionalität, gesteigert noch wenn es um kontinentale oder gar globale Ehren geht, führen kann. Auch bei der sonst so nüchternen L'Équipe.