Der Absturz von Sheffield United

Sheffields Trainer Chris Wilder.
Sheffields Trainer Chris Wilder. / RUI VIEIRA/Getty Images
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In der vergangenen Saison stürmte Premier-League-Aufsteiger Sheffield United beinahe bis nach Europa. Aktuell stehen die Blades abgeschlagen am Tabellenende und haben noch keinen Sieg. Was ist passiert?

"Wir sind sehr enttäuscht, dass wir nicht die drei Punkte bekommen haben", sagte Sheffield Uniteds Trainer Chris Wilder am vergangenen Sonntag am Sky-Mikrofon nach dem 1:1 bei Brighton & Hove Albion. Seine Mannschaft war nah dran gewesen am ersten Saisonsieg und kassierte erst in der 87. Minute den Ausgleich, obwohl sie schon in der ersten Halbzeit eine Rote Karte gesehen hatte. Mit der war Wilder indes ebenfalls nicht glücklich. Der Grund für den Platzverweis sei "moderner Fußball" gewesen, eigentlich sei Fußball ja ein Kontaktsport und Gelb hätte es auch getan.

Dass sich ausgerechnet Wilder über modernen Fußball beklagt, birgt schon eine gewisse Ironie. Er war es in der vergangenen Saison doch noch gewesen, der mit einer kleinen taktischen Innovation die Premier League aufmischte. Seine höchst diszipliniert verteidigende Mannschaft hatte vor allem im Spiel mit Ball Überraschungen für den Gegner parat, wenn zwei der drei Innenverteidiger der 3-5-2-Formation plötzlich im Angriff auftauchten und für Verwirrung sorgten. Sheffield hatte immer wieder interessante taktische Ideen, die sie beinahe fast nach Europa führten.

Fast in Europa, dann abgeschlagen am Tabellenende

Doch schon am Ende der vergangenen Spielzeit war die Luft ein wenig raus: Der Aufsteiger verlor seine letzten drei Spiele und wurde letztlich neunter. Trotzdem natürlich ein großartiges Ergebnis für den Abstiegskandidaten Nummer eins. Jetzt aber scheint das verflixte zweite Jahr bei den Blades zuzuschlagen: Zwei Punkte haben sie erst nach 14 Spieltagen und stehen damit natürlich abgeschlagen am Tabellenende. In der Vorsaison kassierte Sheffield nur 39 Gegentore in 38 Spielen, jetzt sind es bereits 25. Dass Aufsteiger es im zweiten Jahr besonders schwer haben, ist nicht neu - aber so? Was um alles in der Welt ist passiert?

Besonders schwerwiegende Abgänge hat es außer den von Torwart Dean Henderson, der nach seiner Leihe zu Manchester United zurückgekehrt ist, eigentlich nicht gegeben. Für ihn kam Englands U21-Keeper Aaron Ramsdale, der okay spielt, aber nicht auf dem Level von Henderson. Doch ein Torwart allein kann nicht der Grund für den Absturz sein. Generell zündeten die Transfers nicht: Mit Rhian Brewster kam ein vielversprechendes Sturm-Talent für viel Geld vom FC Liverpool, doch der 20-Jährige wartet noch auf sein erstes Saisontor. Auch der Schotte Oliver Burke spielt noch keine wirkliche Rolle.

Jack O'Connell und das Überraschungsmoment fehlen

Abgesehen von den nicht eingeschlagenen Transfers ist es vor allem eine Verletzung, die Sheffield zu schaffen macht: Die von Innenverteidiger Jack O'Connell, der nach einer Knie-OP noch lange fehlen wird. Er war in der Regel der linke Verteidiger in der Dreierkette und machte mit Enda Stevens und John Fleck vor allem über links den Gegnern das Leben schwer. Er war einer der "überlappenden Innenverteidiger", der plötzlich vorne stand.

Jack O'Connell.
Jack O'Connell. / Visionhaus/Getty Images

O'Connells Ausfall und schlicht schwächere Leistungen von zum Beispiel Stevens sorgen aktuell dafür, dass Sheffield wesentlich berechenbarer ist. Normalerweise war Sheffield eine passfreudige Mannschaft mit sehr viel Bewegung im Spiel, das ist ein wenig verloren gegangen. Die Gegner kennen mittlerweile die Taktik der Blades und wenn jeglicher Überraschungsmoment fehlt, wird es eben schwer.

Sheffield United ist ein erfrischender Verein in der Premier League, wo so viele Klubs mittlerweile von Milliardären kontrolliert werden und Geld ohne Ende ausgeben können. Die Blades sind finanziell bedachter, investieren auch viel in Steine statt nur in Beine und wollen sich in Ruhe und nachhaltig etwas aufbauen. Aktuell sieht es so aus, als müssten sie dafür zunächst nochmal den Gang in die Zweitklassigkeit antreten.

Wilder: "Es liegt in meiner Natur, zu kämpfen"

Chris Wilder allerdings, der offenbar trotzdem fest auf dem Trainerstuhl sitzt, bleibt kämpferisch: "Auf eine perverse Art genieße ich Zeiten wie diese", sagte er The Athletic: "Es liegt in meiner Natur, zu kämpfen. Es liegt in unserer Natur als Verein, wir sind ein Achterbahn-Klub. Wir haben es nicht immer einfach und es ist nicht leicht im Moment. Wir müssen das überstehen, indem wir kämpfen."

Wilder weiß, wovon er spricht: Nachdem er 2016 zu Sheffield kam, führte er den Verein aus der dritten Liga zurück nach ganz oben. Deshalb scheint er unantastbar, auch, wenn seine taktischen Finessen offenbar nicht mehr greifen. Der 53-Jährige braucht jetzt neue Ideen und muss mit seiner Mannschaft schnell punkten. Nach dem Duell mit Everton am Boxing Day erwarten Sheffield Burnley, Crystal Palace und Newcastle. Hier können und müssen die Blades etwas holen. Vielleicht hat Wilder ja noch eine ausgefallene und moderne Idee.