Braucht der VfL Wolfsburg einen Trainerwechsel? Pro und Contra
- Wölfinnen verpassen die Champions League
- VfL-Trainer Tommy Stroot in der Kritik
- Option Trainerwechsel?
Der VfL Wolfsburg steht nach fünf Spieltagen an der Tabellenspitze der Frauen-Bundesliga. Nach dem Aus in der UWCL-Quali und der verspielten Meisterschaft im letzten Jahr steht Trainer Tommy Stroot dennoch in der Kritik. Hier erfahrt ihr, was für einen Trainerwechsel spricht - und was dagegen:
Pro: Der VfL sollte den Trainer wechseln
Wegen eines Spiels entlässt man seinen Trainer nicht. Wegen eines Spiels denkt man nicht mal darüber nach, den Trainer zu entlassen. Daher wirkt es auf den ersten Blick überhastet, wenn Fans nach dem UWCL-Aus gegen Paris fordern, die Trainerfrage zu stellen. Schließlich liegt hinter dem VfL Wolfsburg eine auf dem Papier starke Saison: Sieg im DFB-Pokal, Champions-League-Finale, eine nahezu perfekte Hinrunde in der Frauen-Bundesliga.
Dennoch ist das Aus gegen Paris nicht nur ein Ausreißer. Gegen die Französinnen zeigten sich die gleichen Probleme, die Wolfsburg schon seit Monaten plagen. Tommy Stroot und sein Team scheinen darauf keine Antworten gefunden zu haben. Vielleicht verdeckten die guten Resultate lange die Probleme, aber spätestens nach dem bitteren Aus ist klar, dass es ohne eine spielerische Weiterentwicklung nicht mehr geht.
Um die spielerischen Probleme der Wolfsburgerinnen zu verstehen, ist eine kleine Reise notwendig: Eine Reise zurück in das Jahr 2021, als Stroot in Wolfsburg Trainer wurde. Damals war es eine schwierige Situation für den Klub. Bayern war gerade Meister geworden, überall schrie es: "Wachablösung!" Keine einfache Situation für Stroot, der ohne Vorerfahrung in einer der Top-5-Ligen zum VfL kam.
Aller Anfang ist schwer, so auch der von Stroot in Wolfsburg. Nur haarscharf schrammte der VfL am Worst Case, dem Ausschneiden in der Champions-League-Qualifikation, vorbei. Auch damals ging es gegen ein französisches Team, Girondins Bordeaux. Das Hinspiel in Wolfsburg war chaotisch, und so mancher Fan hatte wohl am Mittwoch Flashbacks: Zu ähnlich waren die Probleme – nur eine einsame Ewa Pajor, die vorne Gefahr ausstrahlt, und immer wieder katastrophale Abstimmungsfehler in der Defensive.
Wie Stroot das Team nach einigen schweren ersten Spielen wieder aufrichtete, war aber ohne Frage beeindruckend. Den Peak dieser Entwicklung hatte Wolfsburg wohl 2022, mit dem Meistertitel und der starken Hinrunde im letzten Jahr. Die Pfeiler dieses Erfolgs: Schnell vorgetragene Angriffe über
die Flügel, aggressives Pressing, eine extreme Stärke bei den Standardsituationen, die Grätschen von Lena Oberdorf, die Paraden von Frohms, und vorne Popp und Pajor.
Stroot gelang es, das Beste aus seinen Spielerinnen herauszuholen. In den besten Momenten war Wolfsburg ein Team, in dem alles zusammenkam. Aber im Umkehrschluss heißt das auch, dass der VfL sich auf die individuelle Brillanz der Spielerinnen verlassen musste. Was, wenn Alexandra Popp
und Lena Oberdorf mal nicht ihre üblichen Leistungen bringen? In solchen Spielen fehlte zu oft ein Backup-Plan. Ein System, auf das sich die Spielerinnen verlassen können, statt den Faden zu verlieren.
Natürlich ist das Meckern auf hohem Niveau, und in vielen Spielen zeigte sich Wolfsburg auch spielerisch extrem variabel und gefährlich. Aber wenn Wolfsburg ein Team auf höchstem Niveau sein will, dann muss diese Kritik erlaubt sein. Schon in vereinzelten Spielen (Hoffenheim, Prag, Rom)
der Hinrunde zeigten sich dieselben Probleme wie jetzt: Chronische Unfähigkeit, mit langen Bällen umzugehen, Abhängigkeit von Einzelspielerinnen.
Immer, wenn Wolfsburg nicht mehr das gewohnte Spiel durch das Mittelfeld, mit allen Facetten und Spielereien, aufziehen konnte, blieben Flanken das einzige Mittel. Fakt ist, dass die gegnerischen Teams seit einem Jahr erkannt haben, dass Wolfsburg mit einem aggressiven Mittelfeldpressing nur schwer umgehen kann. Wenn Lena Oberdorf und Lena Lattwein früh angelaufen werden und nur noch lange Bälle spielen können, was dann?
Was dann? Diese Frage bleibt weiterhin offen. Auch nach Spielen, in denen sich dieses Problem allzu deutlich zeigte. Das Rückspiel gegen Hoffenheim, das Champions-League-Viertelfinale in Paris, der dramatische 3:2-Sieg gegen Arsenal. Souverän war es nicht, was Wolfsburg dort zeigte,
aber der Cheatcode Popp und die starke Bank retteten sie noch oft.
Die Ergebnisse waren gut, die Probleme aber klar. Deswegen wirkt es nicht nur im Rückblick verblüffend, dass Wolfsburg in der Sommerpause nicht in der Innenverteidigung nachgelegt hat. Eine hohe Viererkette spielen, Probleme mit Mittelfeldpressing haben, und dazu keine schnellen Innenverteidigerinnen - das passt nicht zusammen. Damit werden die Gegnerinnen geradezu zu schnellen Kontern eingeladen. Drastisch waren die Missverständnisse zwischen Hendrich und Hegering in den letzten Spielen.
Die Verpflichtung von neuen Spielerinnen ist nicht nur Tommy Stroots Verantwortung, das ist klar. Aber trotzdem wirkt es bizarr, dass die größten Baustellen nicht behoben wurden. Und wenn das nicht gelingt, muss über spielerische Alternativen nachgedacht werden. Das ist nicht passiert, eine Weiterentwicklung des Stils nicht wirklich zu erkennen.
Tommy Stroot sagte nach der Niederlage gegen Paris FC, dass er und sein Team gewusst hätten, was sie im Vergleich zum Hinspiel ändern müssten – und trotzdem schlichen sich wieder die altbekannten Probleme ein. Beim VfL Wolfsburg droht eine gefährliche Stagnation. Wer sich nicht weiterentwickelt, bleibt manchmal nicht nur stehen, sondern droht sogar zurückzufallen. Daher müssen jetzt schleunigst Veränderungen her – Tommy Stroot muss zeigen, was er in den letzten Monate nicht konnte: Dass er sein Team ein zweites Mal nach einer Krise weiterentwickeln kann.
Kontra: Stroot sollte VfL-Trainer bleiben
Zunächst einmal die Fakten: Ja, der VfL Wolfsburg ist in der UWCL-Quali verdient gegen Paris FC ausgeschieden. Ja, nicht nur die Spielerinnen, sondern vor allem Tommy Stroot müssen für die Niederlage die Verantwortung übernehmen. Der Coach hat es weder im Hin- noch im Rückspiel geschafft, ein probates Mittel gegen das hohe Pressing der Französinnen zu finden. Ja, dass der VfL als Vorjahresfinalist und mit der Ambition, erneut um den Titel mitzuspielen, die Gruppenphase verpasst, ist eine Katastrophe.
Und noch mehr Fakten: Ja, obwohl die Wölfinnen in der Liga an der Tabellenspitze stehen, können sie bislang nur bedingt überzeugen. Die Ergebnisse stimmen (Ausnahme das 2:2 gegen die TSG Hoffenheim am gestrigen Sonntag), spielerisch ist noch reichlich reichlich Luft nach oben. Und ja, die Probleme sind nicht neu. 2022 war der VfL das Maß aller Dinge, Meisterschaft, Pokalsieg dazu die makellose Hinrunde im Herbst und Winter. Seitdem ist Sand im Getriebe.
Die Gegner haben sich nach und nach besser auf die Spielanlage des VfL eingestellt. Dass die Wölfinnen Probleme mit hohem und aggressivem Pressing haben, hat sich inzwischen herumgesprochen. Zu oft - aber bei weitem nicht immer! - fehlt der Mannschaft ein Plan B. Wenn dann auch noch die Einzelaktionen der schnellen Pajor, Jonsdottir oder Brand (inzwischen auch Endemann), Popps Kopfballstärke oder Rauchs Standards verpuffen, haben die Fans selten etwas zu lachen.
Die Kritik an Tommy Stroot ist also nicht aus der Luft gegriffen. Es ist seine Aufgabe, die Mannschaft taktisch weiterzuentwickeln und Alternativen zur gewohnten Spielanlage zu etablieren. Er muss aus den Problemen der vergangenen Monate lernen und seinem Team Lösungen an die Hand geben.
Gleichzeitig ist es wichtig, das Ausscheiden gegen Paris ebenso wie die Zeit nach der Hinrunde 2022/23 richtig einzuordnen. Stroot hat den VfL in dieser Zeit ins Finale der Champions League geführt und den DFB-Pokal gewonnen. Aktuell steht der Klub auf Tabellenplatz eins - vor dem großen Konkurrenten Bayern München. Dabei hatten die Bayern in der Liga mit Eintracht Frankfurt bislang nur einen richtig starken Gegner, die Wölfinnen mit Frankfurt und Hoffenheim deren zwei.
Insgesamt hat Stroot im Jahr 2023 nur fünf von 23 Spielen verloren - die Zeit davor (Meister, Pokalsieger, UWCL-Halbfinale) kreidet ihm ohnehin niemand an. Und wenn wir ehrlich sind: Hätten sich die Niedersachsen gegen Paris durchgesetzt, würde wohl kaum jemand ernsthaft Stroots Rauswurf fordern, die Probleme der letzten Monate zum Trotz. Einen Trainer wegen einer Niederlage zur Disposition zu stellen, kann nicht richtig sein.
Wenn man die Probleme am Mittellandkanal beheben will, sollte anstelle des Trainers die Transferpolitik in den Fokus rücken. Während andere europäische Topklubs - zum Beispiel der FC Bayern - Jahr für Jahr aufrüsten, investiert man beim VfL lieber in Talente. Dieser Weg mag lobenswert sein. Ob er aber dazu beiträgt, den Verein mittel- und langfristig konkurrenzfähig zu halten, darf bezweifelt werden.
In diesem Sommer haben die Wolfsburger keine einzige Spielerin verpflichtet, die ernsthaft Ansprüche auf einen Stammplatz stellen kann (Eine Ausnahme bildet unter Umständen Vivien Endemann, die sich schneller im Team etabliert hat, als man vernünftigerweise annehmen durfte). Neun neue Spielerinnen für die Kaderplätze zwölf bis 18. Gleichzeitig verließ Leistungsträgerin Jill Roord den Klub in Richtung Manchester City.
Zum Vergleich: Die Bayern haben keine Stammkraft verloren (mit Abstrichen: Saki Kumagai), stattdessen aber mit Katharina Naschenweng eine der besten Linksverteidigerinnen der Liga und das Spitzenduo Pernille Harder und Magdalena Eriksson vom FC Chelsea an die Isar geholt.
Deshalb kann man der VfL-Führung um Direktor Frauenfußball Ralf Kellermann nur zurufen: Schenkt Tommy Stroot, der übrigens einen Vertrag bis 2025 besitzt, weiter das Vertrauen und macht in den kommenden Transferperioden Nägel mit Köpfen! Stroot wiederum ganz aus der Verantwortung zu nehmen, kann auch nicht der Weisheit letzter Schluss ein. Jetzt, wo der VfL keine Doppelbelastung durch die Champions League hat, gelten in der Meisterschaft keine Ausreden mehr. Müssen sich die VfL-Frauen erneut nur mit dem Vizetitel oder gar Schlimmerem zufrieden geben, wird die Diskussion um einen Trainerwechsel erst richtig Fahrt aufnehmen.