Bayerns Trainerdilemma: Macht Nagelsmann nochmal Sinn? Ein Kommentar

Julian Nagelsmann
Julian Nagelsmann / Stefan Matzke - sampics/GettyImages
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Beim deutschen Rekordmeister zeichnet sich seit Monaten ein eher ungewohntes Bild ab. Irgendwie wirken die Münchner in Personalentscheidungen etwas an Souveränität verloren zu haben. Der Trainerstuhl von Thomas Tuchel wird zum Saisonende frei und irgendwie scheint niemand so recht die Nachfolge antreten zu wollen oder in das gesuchte Schema des FC Bayern zu passen. Dieses Trainerdilemma führte zuletzt dazu, dass auch eine Rückkehr von Ex-Trainer Julian Nagelsmann in den Diskussionskreis der möglichen Tuchel-Nachfolger geworfen wurde. Aber würde das aus Sicht beider Seiten Sinn machen?

Die Lehrjahre in München würden nun zu Herrenjahren

Kratzt man nur grob an der Oberfläche, stößt man als erstes wohl auf das Argument, dass diejenigen, die Nagelsmann entlassen haben, mittlerweile nicht mehr im Verein sind und eine Rückkehr zum FC Bayern daher kein Problem darstellen würde. Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass Nagelsmann nicht nur bei den damaligen Bayern-Bossen an Kredit verloren hatte, sondern auch in den Medien aufgrund des nicht immer überzeugenden sportlichen Auftretens immer wieder thematisiert wurde. Da stellt sich die Frage: Hätte Nagelsmann rein sportlich unter den jetzigen Bossen weniger Gegenwind bekommen als damals? Wenn man genau hinschaut, hat sich kaum etwas daran geändert, dass man als Trainer des FC Bayern auch als allgemeiner Kommentator und Kommunikator agieren muss und dabei oft scheinbar allein gelassen wird. Auch wenn die Bosse jetzt andere sind. Thomas Tuchel muss ähnlich wie zuvor Julian Nagelsmann zu viele Themen kommentieren und kommunizieren und genau das war offenbar auch einer der Punkte, warum Nagelsmann seine Zelte an der Säbener Straße abbrechen musste. Mit etwas Abstand zu seiner Bayern-Zeit traue ich Nagelsmann aber durchaus zu, dass er daraus viel für sich mitnehmen und lernen konnte und mit solchen Themen anders, womöglich souveräner, umgehen würde, ohne seine typische Art zu verlieren.

Jetzt kommt der Herr Nagelsmann

Ähnlich wie jetzt bei Tuchel erinnere ich mich auch aus der Zeit von Nagelsmann an die eine oder andere kritische Stimme, dass nicht alle Spieler mit dem Trainer zufrieden seien und ähnlich wie bei Tuchel ist es einfach schwer zu sagen, wie viel Wahrheit in diesen Stimmen steckt oder eben nicht. Fakt ist aber auch: Sollte dies der Fall sein, gibt es keine Garantie, dass genau die gleichen Reibereien nicht wieder aufkommen. Interessanterweise waren es aber auch gerade die Spieler, die ihr Bedauern über das Aus des Trainers zum Ausdruck brachten, sei es bei Nagelsmann oder jetzt bei Tuchel. Sollte sich Nagelsmann eine Rückkehr zum FC Bayern vorstellen können, wird er klar kommunizieren müssen, wer in seinem Neuaufbau nicht mehr tragbar ist, bevor es erneut zu solchen Themen kommt. Der Vorteil für Nagelsmann: Er ist jetzt in einer deutlich gefestigteren Rolle als noch damals. War seine erste Amtszeit in München noch gefühlt die große Belohnung für den jungen und fleißigen Trainerlehrling der aus Leipzig kommt, käme Nagelsmann nun als Bundestrainer der großen Fußballnation Deutschland und hätte damit ein ganz anderes Standing. Dann käme nicht mehr der Julian, sondern der Herr Nagelsmann, um es mal überspitzt zu formulieren.

Die taktischen Hörner hat sich Nagelsmann etwas abgestoßen

Ein weiterer Punkt, der sich beim FC Bayern in den letzten Monaten oder vielleicht Jahren herauskristallisiert hat, ist, dass man an der Bayern-DNA festhalten muss, und die besteht nun einmal aus einer klassischen Viererkette und einem zentralen Stürmer. Das dürfte auch Julian Nagelsmann schmerzlich in Erinnerung sein, als man versuchte, den Abgang von Robert Lewandowski ohne echten Neuner zu kompensieren. Das war zwar nicht ganz erfolglos, aber auch nicht wirklich bayern-like. Zu dieser Erkenntnis kam Nagelsmann übrigens auch schon früh in seiner Amtszeit beim DFB. Während er in seiner ersten Amtszeit noch etwas mehr seinen persönlichen Stempel aufdrücken wollte, glaube ich, dass er gelernt hat, dass in der Einfachheit die große Macht liegt. Das beweist er nun auch mit der deutschen Nationalmannschaft, die gegen Frankreich und die Niederlande endlich wieder gefestigt und dynamisch wirkte. Auch dieser Erfahrungsschatz dürfte Nagelsmann auf die nächste Stufe gehoben haben. Weg vom großen Besonderen scheint der 36-Jährige nun die einfachen Dinge besonders gut machen zu wollen. Das dürfte ihm auch bei einer möglichen zweiten Amtszeit in München entgegen kommen und das Leben deutlich erleichtern.

Es wird eine Abwägung von Träumen

Sollten sich der FC Bayern und Julian Nagelsmann auf eine zweite Zusammenarbeit einigen, stünde der DFB vor einem neuen Problem. Wer wird dann Nachfolger von Nagelsmann als Bundestrainer? Dieses Problem dürfte aber weder die Bayern noch Nagelsmann beschäftigen. Die Bayern sind aufgrund der schwierigen Trainersuche fast schon gezwungen, die Ellbogen auszufahren und vor allem auf sich selbst zu schauen. Auch Julian Nagelsmann wäre einer Rückkehr zu seinem Herzensverein und einem Job vor der heimischen Haustür wohl nicht abgeneigt. Vielleicht schwebt ihm aber auch die große Chance vor, 2026 als Bundestrainer zur, mit Sicherheit überdimensionalen, Weltmeisterschaft in die USA sowie nach Mexiko und Kanada zu reisen und dort mit einer überdurchschnittlich talentierten deutschen Nationalmannschaft vielleicht zum Favoritenkreis auf den Weltmeistertitel zu gehören. Mit gereiften Toptalenten wie Musiala und Wirtz. Ich glaube schon, dass ein Gedankenspiel Nagelsmann sein könnte, was wäre, wenn das eine einmalige Chance ist? Was ist also größer? Der Traum, erneut Trainer des eigenen Lieblingsvereins zu sein, der vielleicht irgendwann wiederkommt, oder der Traum, als Hauptverantwortlicher einer der größten Fußballmächte der Welt einen landesweiten Heldenstatus zu erlangen? Es klingt nach einem Luxusproblem.

Eine Rückkehr Nagelsmanns auf die Bayern-Bank macht unter dem Strich durchaus Sinn. Für den deutschen Rekordmeister aber wohl noch etwas mehr als für Nagelsmann selbst. Die Münchner müssen eine langfristige und passende Trainerlösung finden, um endlich wieder den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Wie sich abzeichnet ist das um einiges schwerer als gedacht. Nagelsmann hingegen muss abwägen, welchen großen Traum er leben will. Je nach Ausgang der Europameisterschaft finde ich die Möglichkeiten beim DFB für ihn derzeit spannender als die beim FC Bayern und womöglich sogar etwas dankbarer. Je mehr den Bayern die Möglichkeiten auszugehen drohen, desto mehr wird der Name Nagelsmann in den nächsten Wochen an Bedeutung gewinnen. Die Zeit spricht also klar für den Bundestrainer, egal wie er sich dann entscheidet. Die Notwendigkeit liegt klar auf Seiten des FC Bayern. Sie sind im Zugzwang.