Bayer Leverkusen und das enttäuschende Transferfenster

Auf die erhofften Verstärkungen muss Leverkusens Trainer Peter Bosz mindestens bis Januar warten
Auf die erhofften Verstärkungen muss Leverkusens Trainer Peter Bosz mindestens bis Januar warten / DeFodi Images/Getty Images
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Behutsam wollte Bayer Leverkusen mit den hohen Einnahmen in diesem Transfersommer umgehen. Das hat auch funktioniert - bloß fehlen die dringend benötigten Verstärkungen für die Offensive. Auf Trainer Peter Bosz warten schwierige Wochen, bis sich im Winter eine neue Chance ergeben könnte.

Der Verlust von Kevin Volland und Kai Havertz wog schwer. Und er wiegt jetzt noch schwerer. Denn qualitativ und quantitativ wurden die beiden Abgänge nicht ersetzt. Peter Bosz klagte auf der Pressekonferenz vor dem Erstrundenspiel im DFB-Pokal gegen Eintracht Norderstedt über 60 Scorer-Punkte, die zuvor in Richtung Monaco und London abgewandert waren. Angesprochen auf weitere Transfers kündigte der Niederländer daher an (via Sport Bild): "Daran arbeiten wir, da wird noch was kommen."

Dieses Zitat stammt vom elften September, seit dem fünften Oktober ist das Transferfenster offiziell geschlossen. Das Resultat: Einen weiteren Neuzugang konnte Bayer Leverkusen tatsächlich begrüßen - dabei handelte es sich jedoch um Rechtsverteidiger Santiago Arias.

Schick allein reicht nicht - doch es wird kein Neuer kommen

Der einzige Neuzugang für die Offensive ist Patrik Schick. Der Tscheche, für 26,5 Millionen Euro von der AS Rom verpflichtet, ersetzt Volland in der Sturmspitze. In seinem zweiten Bundesligaspiel unter'm Bayer-Kreuz erzielte er die zwischenzeitliche Führung beim Remis gegen den VfB Stuttgart (1:1), ehe er verletzungsbedingt ausgewechselt werden musste. Ein Muskelfaserriss setzt ihn außer Gefecht; vorerst kann Bosz nur noch auf Lucas Alario bauen.

Seinen Start bei Bayer Leverkusen hat sich Patrik Schick mit Sicherheit anders vorgestellt
Seinen Start bei Bayer Leverkusen hat sich Patrik Schick mit Sicherheit anders vorgestellt / DeFodi Images/Getty Images

Für Havertz wurde derweil kein Ersatz gefunden. Hierbei handelt es sich nicht einfach bloß um einen Verlust in der Breite, den Florian Wirtz, Nadiem Amiri und Exequiel Palacios auffangen könnten. Havertz gab dem Leverkusener spiel das besondere Etwas, ein unheimlich kreatives und torgefährliches Element. Genau diese Attribute gingen Leverkusen beim Gastspiel in Stuttgart insbesondere im ersten Durchgang ab. Als der VfB tief und kompakt verteidigte, erspielte sich die Werkself kaum Chancen. Erst als der Gegner mehr Risiko einging und dementsprechend mehr Räume bot, konnten Moussa Diaby und Karim Bellarabi auf den Außenbahnen häufiger durchbrechen und Torgefahr erzeugen.

Wäre es nach Peter Bosz gegangen, wäre Havertz im Kollektiv ersetzt worden. "Wir müssen versuchen, die Mannschaft besser zu machen", sagte er exakt einen Monat vor der Schließung des Transferfensters bei Sky Sport News HD (zitiert via msn, bereitgestellt vom Sport-Informations-Dienst). "Das machen wir auf mehreren Positionen, dass wir mit mehreren Spielern den Verlust auffangen können." Eine illusionäre Hoffnung, wie sich herausstellen sollte.

Rashica-Deal platzt in letzter Sekunde

Versucht hatten es die Leverkusener bei Milot Rashica. Eine Leihe mit Kaufoption schwebte den Verantwortlichen vor, doch die Zeit war zu knapp: "Die Einigung vorher hatte zu lange gedauert", sagte Werder-Geschäftsführer Frank Baumann dem Weser-Kurier. "Wenn das Transferfenster um 19 Uhr oder 20 Uhr geschlossen hätte, wäre der Wechsel sicher über die Bühne gegangen."

Bremen statt Leverkusen, Leipzig oder England: Nach dem geplatzten Wechsel hat Milot Rashica eine Woche frei
Bremen statt Leverkusen, Leipzig oder England: Nach dem geplatzten Wechsel hat Milot Rashica eine Woche frei / DeFodi Images/Getty Images

Wie das Blatt berichtet, habe Werder eine Garantie dafür haben wollen, dass Leverkusen Rashica im kommenden Sommer fest verpflichten wird. Eine von Bayer vorgeschlagene Kaufpflicht bei Erreichen der Champions League etwa sei zu riskant gewesen. "Es gab Schwierigkeiten mit der Kaufoption", bestätigte Rudi Völler gegenüber dem kicker - und dann war auch schon die Deadline um 18 Uhr erreicht.

Bayer Leverkusen: Ein Sinnbild für das paradoxe Transferfenster

Der Bayer-Geschäftsführer erlebte genau wie die übrigen Vereinsverantwortlichen einen komplizierten Transfersommer. Der FC Bayern schlug beispielsweise erst in den Schlusszügen der Transferperiode zu - aber dann so richtig: Marc Roca, Eric Maxim Choupo-Moting, Douglas Costa, Bouna Sarr und Tiago Dantas laufen ab sofort für den Rekordmeister auf. In Leverkusen wird dagegen vorerst kein neuer Spieler seine Zelte aufschlagen. Laut Völler waren die Verkäufe von Volland und Havertz dahingehend mehr Fluch als Segen: "Es ist nicht immer von Vorteil, wenn alle wissen, was man eingenommen hat und deshalb bei Anschluss-Transfers plötzlich Mondpreise verlangen", klagte er gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger.

Die Transfer-Einnahmen waren ein echter Segen - Rudi Völler (Foto) & Co. wollten das Geld aber nicht in Gänze reinvestieren
Die Transfer-Einnahmen waren ein echter Segen - Rudi Völler (Foto) & Co. wollten das Geld aber nicht in Gänze reinvestieren / Matthias Hangst/Getty Images

Völler verteidigt die zurückhaltende Transferstrategie: "Wir wollen und müssen vernünftig mit den Einnahmen umgehen, so wie es in dieser schwierigen Zeit nun einmal angebracht ist und wie es ja auch von vielen gesellschaftlichen Gruppen schon am Anfang der Pandemie gefordert wurde." Damit ist er auch im Recht. Auch muss man Leverkusen zugutehalten, dass die Corona-Pandemie die Verhältnisse nur in eine Richtung verschoben hat: Die interessierten Klubs wollen im Zuge der finanziellen Auswirkungen geringere Ablösesummen zahlen, doch die Vereine, deren Spieler Begehrlichkeiten wecken, wollen trotz alledem so viel wie möglich herausschlagen.

Das große Aber folgt allerdings sofort: Letzteres trifft auch auf Leverkusen zu, das nicht weniger als 100 Millionen Euro für Havertz kassieren wollte. Und es war nicht zuletzt der FC Bayern, der bewiesen hat, dass man (abgesehen von Leroy Sanés Verpflichtung) auch für moderate Summen Neuzugänge verpflichten kann.

Was Qualität und Breite angeht, hat Leverkusen ein Problem

Auch die Bemühungen um Sead Kolasinac sorgten für Verwunderung. Warum sollte nach Arias ein weiterer Außenverteidiger verpflichtet werden, obwohl der Schuh eigentlich in der Offensive drückt und die Linksverteidiger-Position mit Wendell und Daley Sinkgraven bereits doppelt besetzt ist? Die hier vergeudete Zeit hätte dazu genutzt werden können, den Verlust von Havertz zu kompensieren. Dazu hatte man schließlich einen ganzen Monat Zeit.

Insbesondere Bosz wird sich darüber ärgern müssen; auch wegen der Breite. Für die insgesamt sechs Positionen im Mittelfeld und im Angriff stehen zwar zwölf Spieler zur Verfügung; doch Paulinho fehlt mit einem Kreuzbandriss und Schick und Diaby jeweils mit einem Muskelfaserriss. Das macht aktuell neun gesunde Spieler, von denen sich keiner verletzen darf - denn bis zum Jahresende hat die Werkself 15 Pflichtspiele vor der Brust.

Wenn im Januar das Transferfenster öffnet, dürfte Bosz umso mehr darauf hoffen, dass er noch ein oder zwei Neuzugänge in seinen Reihen begrüßen darf. Einerseits wegen der Breite, andererseits um die Qualität zu erhöhen. Die derzeitige Kadersituation dürfte ihn hingegen unzufrieden stimmen.