Fulminanter 4:0-Auftaktsieg gegen Dänemark: 10 Dinge, die bei der deutschen Mannschaft auffielen

Alexandra Popp, Giulia Gwinn und Marina Hegering freuen sich über den überzeugenden 4:0-Erfolg gegen Dänemark
Alexandra Popp, Giulia Gwinn und Marina Hegering freuen sich über den überzeugenden 4:0-Erfolg gegen Dänemark / Maja Hitij/GettyImages
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Die deutsche Nationalmannschaft ist mit einem grandiosen 4:0-Erfolg gegen Dänemark in die Europameisterschaft gestartet. 90min hat die Partie genau verfolgt und zehn Beobachtungen gemacht, die eine nähere Betrachtung verdienen.


1. Die Lücken in Dänemarks Dreierkette wurden sehr gut ausgenutzt

Dänemark spielte mit einer Dreierkette bestehend aus Katrine Veje, Stine Ballisager und Rikke Sevecke. Diese Formation sollte für besonders viel defensive Stabilität sorgen, während die Schienenspielerinnen Svava und Thomsen sich sowohl defensiv als auch offensiv einbringen sollten.

Dass dieser Plan nicht aufging, lag vor allem an Deutschlands gezieltem Spiel in die Halbräume, wo teils große Lücken entstanden waren, weil Svava und Thomsen hoch aufrückten. Immer wieder zog eine Mittelfeldspielerin, meist Magull, in diesen Raum, während eine Flügelspielerin sich außen anbot.

Ein zweites Mittel waren lange Bälle auf Huth, womit die Zweikampfschwäche von Veje auf der linken Seite ausgenutzt wurde. Besonders in der ersten Hälfte funktionierte dieser Plan sehr gut, immer wieder gelangen Durchbrüche über außen. Auch die Flanken, wie etwa die von Sydney Lohmann vor dem 4:0, waren zum großen Teil präzise.

2. Die Spielidee muss gegen Spanien verändert werden

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Voss-Tecklenburg wird gegen Spanien die Taktik ändern müssen / JUSTIN TALLIS/GettyImages

Gegen Spanien wird Deutschland weniger den Ball haben als gegen Dänemark, zudem spielen die Iberinnen mit einer Viererkette. Spaniens Pressing wird vermutlich höher sein als das Dänemarks, was bedeutet, dass Deutschland zu langen Bällen gezwungen werden soll. Die Waffe, die gegen Dänemark gut funktionierte, wird gegen Spanien, die darauf setzen, den Gegner nach außen zu treiben, nicht unbedingt genauso effektiv sein.

Martina Voss-Tecklenburg muss sich also etwas einfallen lassen, und bei allem berechtigten Lob über die hervorragende Vorstellung im Auftaktspiel muss gesagt werden, dass Deutschland, um bei diesem Turnier zu bestehen, erst noch seine Flexibilität unter Beweis stellen muss.

3. Hervorragendes Pressing und Gegenpressing

Einer der entscheidenden Punkte war Deutschlands Pressing und Gegenpressing, das Dänemark extrem unter Druck setzte. Das spiegelt sich auch in den dänischen Passquoten wider: Insgesamt kamen die Skandinavierinnen auf nur 64% Passgenauigkeit, Innenverteidigerin Ballisager brachte sogar nur jeden zweiten Ball zu einer Mitspielerin.

Schüller war im Pressing sehr fleißig und machte viele Passwege zu, aber Deutschland verschob auch als Kollektiv immer wieder gut und war sehr lauffreudig. Nach Ballverlusten waren die deutschen Spielerinnen ebenfalls gedankenschnell und gingen sofort ins Gegenpressing – teils etwas übereifrig, wie Lena Oberdorf bei ihrer gelben Karte, aber sehr effektiv.

4. Hegerings Rückkehr gleich auf zwei Arten wichtig

Marina Hegering, Sanne Troelsgaard
Marina Hegering (r. im Bild) erwies sich als wichtige Stütze gegen Dänemark / Maja Hitij/GettyImages

Es war ein Hoffen und Bangen um Marina Hegering, die lange verletzt ausgefallen war. Würde die Innenverteidigerin rechtzeitig zurück sein? Hegering gewann das Wettrennen mit der Zeit und steht wieder auf dem Platz – und das in Bestform.

Sie zeigte sich sehr zweikampfstark (80% ihrer Boden-Zweikämpfe gewonnen) und gewohnt ruhig im Aufbauspiel. Der angenehme Nebeneffekt ihres Comebacks war, dass Voss-Tecklenburg Oberdorf wieder auf ihre Stammposition im defensiven Mittelfeld beorderte – ein Wechsel, der sich auszahlte: Oberdorf glänzte als Abräumerin vor der Abwehr und hatte Pernille Harder an diesem Abend vollkommen im Griff.

Harder, die sonst als Freigeist an jeder Offensivaktion beteiligt ist, kam selten an den Ball und wurde kaum gefährlich. Oberdorf sagte nach dem Spiel: "Sie konnten nicht wirklich ihr Spiel mit Pernille Harder spielen. Sie ist eine so großartige Spielerin. Ich sah sie an und dachte: 'Ich sehe einer Meisterin bei der Arbeit zu'. Aber sie konnten sie nicht wirklich finden."

5. Schüller gewohnt kopfballstark – platzte mit dem Treffer der Knoten?

Lea Schüller war zuletzt die Abschlussstärke etwas abhandengekommen, sie ackerte zwar viel für das Team, aber der Ball wollte einfach nicht ins Tor.

Gestern zappelte er aber endlich im Netz: Nachdem sie kurz vor der Pause eine Riesenchance vergeben hatte, war die 24-Jährige mit ihrem Kopfball in der zweiten Halbzeit endlich erfolgreich. Der Treffer könnte auch mental wichtig gewesen sein, bei Schüller ist nun vielleicht der Knoten geplatzt.

Auch ansonsten konnte sie gegen Dänemark überzeugen und ihre Kopfballstärke unter Beweis stellen. Die präzisen Flanken auf Schüller werden auch in den nächsten Spielen, besonders gegen das tiefstehende Finnland, ein probates Mittel sein.

6. Starke Standards

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Hatte Probleme mit den deutschen Ecken: Dänemark-Keeperin Lene Christensen (r. im Bild) / JUSTIN TALLIS/GettyImages

Dass Lea Schüllers Treffer zum 2:0 nach einem Eckball und Lena Lattweins 3:0 nach einem Freistoß fielen, war kein Zufall. Die DFB-Elf besitzt mit Felicitas Rauch und Lina Magull nicht nur zwei hervorragende Standardschützinnen, sondern hat sich während der Turniervorbereitung auch die ein oder andere vielversprechende Variante erarbeitet.

Gegen Dänemark hatte die deutsche Mannschaft vor allem bei Eckstößen einen klaren Plan. Möglichst viele Spielerinnen versammelten sich im Fünfmeterraum vor der dänischen Torhüterin Christensen - Hegering lauerte am zweiten Pfosten - und brachten die 22-Jährige nicht nur beim 2:0 in arge Bedrängnis. Da die Keeper im Frauenfußball deutlich kleiner sind als im Männerbereich und ohnehin Probleme haben, hohe Bälle abzufangen, könnte sich diese Taktik im weiteren Turnierverlauf noch öfter als erfolgreich erweisen.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass das DFB-Team bei dänischen Ecken in der zweiten Halbzeit selbst zwei Mal unsicher wirkte. Ein kleiner Makel, den Martina Voss-Tecklenburg vor dem Spanien-Spiel sicher thematisieren wird.

7. Dominanz im zentralen Mittelfeld

Das Mittelfeldzentrum aus Lena Oberdorf, Sara Däbritz und Lina Magull las sich nicht nur auf dem Papier ganz gut. Das Trio ließ zu keinem Zeitpunkt einen Zweifel daran aufkommen, wer in der Mitte des Spielfelds die Hosen anhat.

Oberdorf überzeugte wie gewohnt mit ihrer Physis, erwies sich als enorm zweikampfstark und fing zahlreiche dänische Bälle ab. Ihre beiden Kolleginnen waren vorwiegend für den offensiven Part zuständig. Däbritz lieferte eine solide, weitgehend fehlerfreie Leistung ab. Magull erwischte in Brentford einen echten Sahnetag, erzielte die Führung, bereitete das 2:0 vor, war unheimlich viel unterwegs und ließ sich auch auf engem Raum kein X für ein U vormachen.

Wenn die Abstimmung der drei Akteurinnen weiterhin so gut funktioniert und sie ihr individuelles Niveau aus dem Dänemark-Duell halten können, wird sich kaum ein besseres zentrales Mittelfeld bei dieser EM finden lassen.

8. Hohe Passqualität

Lina Magull
Lina Magull zeigte gegen Dänemark ihr starkes Passspiel / Maja Hitij/GettyImages

Gerade im Vergleich zu den Däninnen stach die hohe Passqualität und Pressingresistenz der deutschen Mannschaft ins Auge. Magull und Co. ließen die Kugel souverän in den eigenen Reihen zirkulieren und behielten auch unter Druck die nötige Ruhe und Übersicht.

Mit insgesamt 530 Pässen und einer Genauigkeit von 81 Prozent konnte Dänemark nicht ansatzweise mithalten (273 Pässe, 64 Prozent Genauigkeit). In der gegnerischen Hälfte spielte die deutsche Elf sogar mehr als drei Mal so viele Pässe (183) als die Däninnen (53). (Zahlen via fotmob.de)

Zu verdanken hatte das DFB-Team diese Überlegenheit zum einen der individuellen technischen Qualität in der eigenen Elf, zum anderen einer hervorragenden Raumaufteilung und den richtigen Laufwegen. Die Abstände zwischen den einzelnen Spielerinnen und verschiedenen Mannschaftsteilen stimmte, dasselbe galt für die Geschwindigkeit, mit der die Kugel speziell im Aufbauspiel weitergeleitet wurde.

9. Die Bank ist eine Bank

Dass die Kadertiefe ein entscheidender Faktor auf dem Weg zum EM-Titel werden könnte, hatte bereits das 7:0 im Testspiel gegen die Schweiz gezeigt, als mit Linda Dallmann, Jule Brand und Sydney Lohmann gleich drei Jokerinnen stachen.

Dieses Muster wiederholte sich gegen Dänemark beinahe eins zu eins. Mit Lena Lattwein und Alexandra Popp erzielten zwei Einwechselspielerinnen ein Tor, Sydney Lohmann legte das 4:0 vor und Jule Brand sorgte mit ihrer Unbekümmertheit und Spielfreude für frischen Wind.

Der Beweis, dass die Einwechselspielerinnen auch in engen Duell einen entscheidenden Einfluss nehmen können, muss zwar erst noch geführt werden. Außerdem gibt es sicherlich einige Kickerinnen im DFB-Team, deren Ausfall nur schwer zu kompensieren wäre. Trotzdem muss einem nicht angst und bange werden, wenn auf Seiten der deutschen Mannschaft die Auswechseltafel zum Einsatz kommt.

10. Schwachstelle Rauch

Janni Thomsen, Felicitas Rauch
Felicitas Rauch (r.) im Zweikampf mit Dänemarks Janni Thomsen (l.) / Alex Pantling/GettyImages

Felicitas Rauch lieferte gegen Dänemark eine solide Vorstellung ab und hatte großes Pech, dass ihrem ersten EM-Treffer gleich zwei Mal das Aluminium im Weg stand. Darüber hinaus ist die Wolfsburgerin mit ihrer Qualität bei Standards eine echte Waffe für das DFB-Team.

Dennoch wurde in der ein oder anderen Szene deutlich, dass Rauch die Schwachstelle in der deutschen Viererkette ist. Die 26-Jährige hat gerade im direkten Defensivzweikampf immer wieder Probleme. Top-Nationen könnten sich diese Schwäche zunutze machen.

Auch Rauchs offensives Pendant auf der linken Seite, Klara Bühl, lieferte eine unglückliche Partie ab. Gegen die Schweiz noch gefeierte Dreifach-Torschützin, kam die 21-Jährige gegen Dänemark kaum zur Geltung. Bühl gelang es nicht, sich im Eins-gegen-eins durchsetzen, und fiel stattdessen mit ungenauen Hereingaben auf. Dass die Münchnerin trotzdem weiter mutig das Dribbling suchte, ist positiv hervorzuheben.


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