Anhaltende Defensivprobleme, einseitiges Offensivspiel: Die Erkenntnisse des FC Bayern nach dem Remis gegen Leipzig

Retteten dem FC Bayern einen Punkt gegen RB Leipzig: Thomas Müller und Kingsley Coman (v.l.)
Retteten dem FC Bayern einen Punkt gegen RB Leipzig: Thomas Müller und Kingsley Coman (v.l.) / ALEXANDER HASSENSTEIN/Getty Images
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In einem rasanten Spitzenspiel trennten sich der FC Bayern und RB Leipzig mit 3:3. Der Tabellenführer aus München hat gegen die Sachsen wieder einmal einige Defizite offenbart, Jamal Musiala war nach seiner Einwechslung einer der wenigen Lichtblicke. 90min präsentiert fünf Erkenntnisse aus dem Spitzenspiel.


1. Die Doppelsechs ist die größte Schwachstelle

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Aufgrund der massiven Verletzungsprobleme richteten sich die sorgenvollen Blicke in den vergangenen Wochen häufig auf die Abwehr, dabei ist das defensive Mittelfeld aktuell die größte Baustelle des FC Bayern.

Mit Joshua Kimmich muss Hansi Flick auf einen Spieler verzichten, der ein seltenes Gesamtpaket verkörpert: Kimmich kann das Spiel lenken und mit wenigen Ballkontakten unter Gegnerdruck herausragende Pässe spielen, gleichzeitig aber auch robust gegen den Ball zu Werke gehen, durch kluges Positionsspiel und Timing im richtigen Moment pressen und den Ball erobern oder sich notfalls in die Endverteidigung einordnen und dort aushelfen.

Marc Roca und Javi Martinez verkörpern jeweils ein Element. So ist Roca ein Spielgestalter, der dafür offenbar in der Rückwärtsbewegung noch nicht die Anforderungen des Trainers erfüllt - Martinez ist dagegen ein Abräumer, der mit dem Ball erheblich weniger anzufangen weiß als Kimmich und Roca.

An der Seite von Martinez musste Goretzka gegen RB deutlich tiefer stehen als üblich. Selten befand er sich im Zehnerraum, auch seine nachrückenden Tiefenläufe in den Strafraum waren nicht zu sehen. Mit dieser Doppelsechs raubt Flick seiner Mannschaft Dynamik, Wucht und Torgefahr im letzten Drittel.

Doch welche ist die bestmögliche Lösung? Corentin Tolisso denkt ebenso offensiv wie Goretzka, Jamal Musiala setzt auf der vertikalen Doppelsechs sehr gute Akzente, sollte dauerhaft aber auf der Zehn spielen, weil seine Qualitäten im Dribbling, im Abschluss und in der Verbindung mit den Mannschaftskollegen auf der Außenbahn am besten zum Tragen kommen.

Außerdem war das Mittelfeld trotz des defensiven Martinez viel zu einfach zu überspielen. Aufgrund der geringeren Ballsicherheit im Vergleich zu Kimmich und Roca können er und Goretzka häufiger gepresst werden, was gegen RB nicht selten zu Ballverlusten im Zentrum geführt hat. Wird die Doppelsechs nicht bald stabiler, wird es auch in den kommenden Spielen Gegentore regnen.


2. Jamal Musiala blüht auf

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Als Martinez das Spielfeld nach 25 Minuten verlassen musste, hatte Flick die Wahl zwischen Musiala und Roca. Der Bayern-Coach entschied sich für das 17-jährige Nachwuchstalent, das das Vertrauen umgehend zurückzahlen sollte: In der 30. Minute erzielte er aus gut 16 Metern mit einem präzisen Schuss ins lange Eck den Ausgleich.

Doch nicht nur mit seinem dritten Saisontor machte Musiala auf sich aufmerksam. Prompt nach seiner Einwechslung positionierte er sich im Achter-/Zehnerraum der Münchner und suchte auf der linken Außenbahn das Zusammenspiel mit David Alaba und Kingsley Coman. Dank Musialas Unterstützung gelang viel häufiger der Durchbruch, damit einher ging auch eine deutlich größere Torgefahr.

Auch beim zwischenzeitlichen 2:1 durch Thomas Müller (35.) hatte Musiala seine Finger im Spiel - weil er sich ohne zu zögern in das Spiel eingebunden und dieses an sich gerissen hat. Dank seiner Spielweise kann er problemlos als linker Flügelspieler, Zehner oder Achter spielen, er kann sich dank seiner feinen Ballbehandlung und engen Ballführung auf engstem Raum behaupten und seine Mitspieler mit gekonnten Steckpässen anspielen.

Für sein Alter ist Musiala schon extrem weit. Sein endgültiger Durchbruch ist nur eine Frage der Zeit, doch bis dahin wird er sukzessive von Flick aufgebaut. Der 55-Jährige hat ein gutes Gespür für den Umgang mit seinen Nachwuchstalenten - davon kann Musiala nur profitieren.


3. Die rechte Angriffsseite ist gelähmt

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Mit einem Kingsley Coman in Top-Form, Musiala auf einer halblinken Position und offensiven Außenverteidigern wie Alphonso Davies oder David Alaba gelingt es dem FC Bayern in diesen Tagen allen voran auf der linken Angriffsseite durchzubrechen und von dort aus Torchancen zu kreieren. Die rechte Außenbahn wirkt hingegen wie gelähmt.

Benjamin Pavard und Bouna Sarr haben nur einen geringen Einfluss auf die Offensive, Serge Gnabry und Leroy Sané sind noch nicht in Form. Gegen RB durfte sich Sané von Beginn an beweisen, doch der Sommerneuzugang hat erneut angedeutet, dass er Zeit braucht.

Noch mangelt es an Situationen, in denen er sich freispielt oder zum Tiefenlauf ansetzt. In Dribblings wirkte er zu verbissen, als wollte er mit dem Kopf durch die Wand rennen und allen beweisen, welche Qualitäten er hat. Doch gegen starke Leipziger gelang ihm nur wenig - umso größer war der Frust bei der Auswechslung in Minute 64.

Angesprochen auf die Besetzung der Außenbahnen sagte Flick (zitiert via Sport1): "Wir haben vier Außenstürmer mit sehr guter Qualität. Im Moment ist Kingsley derjenige, der Akzente setzt, Torgefahr ausstrahlt und vorbereitet. Dieses Niveau wünsche ich mir von allen." Solange Gnabry, Sané und Costa dieses aber nicht erreichen, dürften auch weiterhin die meisten Angriffe über links ablaufen.


4. Die Gegentorflut nimmt kein Ende

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Nach gerade einmal zehn Spieltagen hat der FC Bayern bereits 16 Gegentore auf dem Konto - und damit genau so viele wie vergangene Saison unter Niko Kovac. Der Unterschied: Statt mit 18 Punkten auf Rang vier liegen die Münchner mit 23 Zählern an der Tabellenspitze.

Zu-Null-Spiele sind für Manuel Neuer in dieser Saison eine Rarität, einzig gegen Schalke und Frankfurt in der Bundesliga sowie Atlético Madrid in der Champions League konnte er die weiße Weste wahren.

Das hohe Positionsspiel der Außenverteidiger kostet in dieser Saison deutlich mehr Kraft als noch zu Jahresbeginn, der Innenverteidigung mangelt es ob der vielen personellen Umstellungen an Abstimmung und das Mittelfeld ist zu leicht überspielbar. Mit ein, zwei Pässen durch das Zentrum und einer Verlagerung auf einen schnellen Flügelspieler sind die Bayern zu knacken, wie RB im ersten Durchgang bewiesen hat.

Früher oder später wird es wieder so eine Niederlage geben wie bei der TSG Hoffenheim am zweiten Spieltag. Hertha BSC und Leipzig waren nah dran, offenbarten aber selber Schwächen gegen den Ball. Mit Blick auf die letzten drei Bundesligaspiele vor der Winterpause könnte es gegen Bayer Leverkusen noch einmal extrem gefährlich werden - nicht ausgeschlossen, dass sich Flick und die Seinen mit einer Niederlage in den Weihnachtsurlaub verabschieden.


5. Süle und Boateng harmonieren noch nicht miteinander

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Am Samstagabend spielten Niklas Süle und Jerome Boateng gemeinsam in der Innenverteidigung, David Alaba wurde dagegen zum Linksverteidiger ernannt. Der Abwehr merkte man jedoch deutlich an, dass sie in der Vergangenheit selten in dieser Konstellation gespielt hat - denn besonders Süle und Boateng hatten einige Probleme bezüglich der Abstimmung.

Bei beiden Gegentoren standen die Innenverteidiger nicht auf einer Linie, weshalb in beiden Fällen eine potentielle Abseitsstellung aufgehoben wurde. Beim zwischenzeitlichen 2:3 war Emil Forsberg plötzlich mutterseelenallein im Strafraum - von Süle oder Boateng war keine Spur.

Laut Flick resultiert die schwache Defensivleistung aus den Verletzungen und den vielen Spielen in dieser Saison: "Wir haben letzte Saison immer mit der gleichen Viererkette gespielt", wird der 55-Jährige vom kicker zitiert, infolgedessen sei "die Abstimmung nicht ganz so, wie das sein sollte".

Bis zur Winterpause ist daher mit weiteren Gegentoren zu rechnen. Eine Stammelf zu entwickeln, braucht Zeit - doch wenn immer wieder einzelne Spieler ausfallen und alle drei Tage ein Spiel stattfindet, ist es schwer, in den Rhythmus zu kommen.