90min diskutiert: Relegation wieder abschaffen oder beibehalten?

Mit der Relegation hat Friedhelm Funkel bereits seine Erfahrung gemacht
Mit der Relegation hat Friedhelm Funkel bereits seine Erfahrung gemacht / THOMAS KIENZLE/Getty Images
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In den meisten europäischen Ligen steht der letzte Spieltag an, bevor die Saison ihr Ende findet. Für die meisten Klubs jedenfalls. Denn für einige wenige wird die Spielzeit eine (erhoffte oder befürchtete) Verlängerung in Form der Relegation erfahren. Nicht jedem gefällt diese Zusatzentscheidung am Ende einer Spielzeit. 90min diskutiert: Sollte die Relegation wieder abgeschafft werden?


Erstmals in Deutschland eingeführt wurde dieser Entscheidungskampf, der über Aufstieg oder Abstieg entscheidet, im Jahr 1982. Insgesamt neun Jahre lang duellierten sich fortan die Tabellensechzehnten der Bundesliga mit den Dritten der Zweiten Bundesliga in Hin- und Rückspielen um den Verbleib im Oberhaus (aus Sicht des Bundesligisten) bzw. den Aufstieg ins Selbige (aus Sicht des Zweitligisten).

Besonderheit: im Falle einer Punkt- und Torgleichheit nach dem zweiten Spiel griff nicht etwa die Auswärtstorregel, sondern wurde ein Entscheidungsspiel angesetzt, das notfalls über das Elfmeterschießen entschieden werden musste.

Unvergessen bleibt in diesem Zusammenhang natürlich das legendäre 8:0 der Dortmunder Borussia im dritten und entscheidenden Spiel gegen Fortuna Köln. Die Dortmunder hatten dieses Spiel erst durch ein Tor von Jürgen Wegmann in der Nachspielzeit des Rückspiels erreicht. Nach 2:0 und 1:3 (aus Sicht der Kölner) musste das ominöse dritte Spiel über die Zukunft beider Teams entscheiden.

Nach 1991, im Zuge der deutschen Wiedervereinigung, gab es eine 28-jährige Pause, ehe zur Saison 2008/09 die Relegationsspiele wieder eingeführt wurden. Diesmal jedoch mit dem Mechanismus der Auswärtstorregelung, um die Belastung angesichts des zu dieser Zeit eh schon prall gefüllten Terminkalenders nicht unnötigerweise noch mehr zu erhöhen.

Argumente für und wider diese Zusatz-Playoffs gibt es zuhauf. Aus meiner Sicht ist es ganz simpel: Fußball ist die schönste und wichtigste Nebensache der Welt. Das sei erstmal apriorisch gesetzt. Er ist Show, Ablenkung, Ventil - alles in einem. Aber er sollte nie das Leben selbst sein. Dieses ist für die meisten von uns nämlich schon hart genug, als dass man auch noch den Fußball mit tödlichem Ernst verfolgen müsste.

Bringt höhere Durchmischung automatisch mehr Qualität in die Elite-Klasse?

Doch zurück zu den rein sportlichen Aspekten. Die Frage ist: reicht es für eine gesunde Durchmischung der Ligen, wenn alljährlich zwei Mannschaften aus der unteren in die obere aufsteigen, und entsprechend zwei aus der oberen in die untere Klasse absteigen? Oder bedarf es alljährlich mindestens dreier neuer Teams, um den fußballerischen Gen-Pool aufzuwerten?

Dafür habe ich mal die Bundesliga- und Zweitliga-Tabellen ab der Saison 2000/2001 untersucht, um festzustellen, wie stark der Impact der jeweiligen Aufsteiger aus Liga zwei in der Bundesliga wirklich war.

Was dabei auffällt: mit Hannover 96 (aufgestiegen 2002 und abgestiegen 2016), Nürnberg (2004 bis 2014 in Liga 1), Arminia Bielefeld (von 2004 bis 2009), Borussia Mönchengladbach (letztmals 2008 in die Bundesliga aufstiegen), der TSG Hoffenheim (ab 2008), Mainz 05 (ab 2009), Augsburg (ab 2011), Eintracht Frankfurt (von 2005 bis 2011, und ab 2012), Hertha (ab 2013), SC Freiburg und RB Leipzig (beide ab 2016) haben es nur elf Teams geschafft, sich nach dem Gang ins Oberhaus dort auch über mindestens fünf Jahre zu halten.

Acht dieser genannten Teams (Gladbach, Hoffenheim, Mainz, Augsburg, Frankfurt, Hertha, Freiburg, Leipzig) sind seit ihrem letzten Aufstieg bis heute in der Eliteklasse vertreten.

Noch aussagekräftiger wird es jedoch, wenn wir untersuchen, welche dieser acht Klubs sich in der Folgezeit auch im oberen Drittel der höchsten Spielklasse etablieren konnten.

Und da reduziert sich der Kreis schon auf nur noch drei Teams: Borussia Mönchengladbach, Eintracht Frankfurt und natürlich RB Leipzig sind anno 2021 sicherlich zum oberen Drittel der höchsten deutschen Spielklasse zu zählen.

Die TSG Hoffenheim, der FC Augsburg, Mainz 05, der SC Freiburg und Hertha BSC sind hingegen eher zur Mittelklasse zu rechnen. Die Berliner kämpfen in diesem Jahr sogar um den Verbleib in der Bundesliga.

Alle anderen Aufsteiger seit 2001 sind dagegen binnen kürzester Zeit, mal nach einem Jahr, mal nach zwei oder drei, aber immer in dem angesprochenen Rahmen von fünf Jahren, wieder zurück in die Zweite Liga gekehrt.

Doch was sagt uns das? Es sagt uns, dass das von unten kommende Potenzial das allgemeine Niveau der Bundesliga nicht unbedingt nachhaltig erhöht hat.

Mehr Aufsteiger aus Liga 2 erhöhen nicht das Niveau im Oberhaus

Doch diese qualitative Steigerung des Bundesliga-Niveaus durch die nachrückenden Teams aus der Zweiten Liga wäre - streng genommen - das einzig valide Argument, um einer höheren Durchmischung (drei feste Absteiger, drei feste Aufsteiger) das Wort reden zu können.

Wenn also die Aufsteiger aus der Zweiten Liga insgesamt das Niveau der Bundesliga nicht nachhaltig erhöhen, erschließt sich somit auch nicht, warum man ihre Anzahl unbedingt erhöhen muss und den Dritten des Unterhauses den beiden Erstplatzierten gleichstellen sollte.

Und auch umgekehrt wird ein Schuh draus: warum sollte der Drittletzte der Bundesliga dasselbe Schicksal erfahren, wie die beiden hinter ihm platzierten?

Deshalb: pro Relegation!

Und aus diesen Überlegungen heraus halte ich einen Entscheidungskampf zwischen Drittletztem der Bundesliga und Drittem der Zweiten Liga weiterhin für nur fair - und somit für eine gute Idee.

Und nochmal: Fußball ist Show, Entertainment, Ablenkung. Und in dieses Konzept passt doch ein allerletzter Entscheidungskampf um Verbleib oder Aufstieg in Liga 1 wie die Faust aufs Auge.

(Guido Müller)


Die Fakten haben gesprochen. Doch wäre, wäre, Fahrradkette. Im Auf- und Abstiegskampf geht es nicht um Historien oder Zahlen. Dort zählen Qualitäten, Emotionen und das Hier und Jetzt. Dass der SV Werder Bremen eine schillernde Club-Vergangenheit hat und die Bundesliga seit jeher belebt hat (und auf dem Papier sicherlich mehr Stahlkraft und Glanz hat, als die meisten Zweitligisten), steht neben der Tatsache, dass die Grün-Weißen in dieser Saison einen grottenschlechten Fußball spielen (ganz anders als die meisten Zweitligisten, die den Aufstieg anvisiert haben).

Das ist für mich der springende Punkt: während die 2. Bundesliga in der Spitze konstant stärker geworden ist, lässt die Qualität im unteren Drittel der Bundesliga seit einigen Jahren doch arg nach. Abstiegskrampf statt Abstiegskampf - und die Hoffnung, dass sich schließlich doch zwei oder drei Mannschaften finden lassen, die noch schlechter spielen als man selbst.

Union Berlin statt dem HSV!

Es ist lange her, dass ich einen Tabellen-Sechzehnten der Bundesliga gesehen habe, der den Abstieg nicht verdient hätte. Und gleichermaßen ist es lange her, dass ich einen Tabellen-Dritten der 2. Bundesliga erlebt habe, der den Aufstieg nicht verdient gehabt hätte. Ausgehend von den Überlegungen meines Kollegen, dass ein dritter Aufsteiger die Bundesliga nicht attraktiver macht, soll man es meinetwegen bei zwei Auf- und Absteigern belassen. Relegation abschaffen und den dritten Platz aus dem Fahrstuhl streichen. Das wäre immer noch fairer als eine Relegation, bei der im Vorhinein Verlass darauf ist, dass der Bundesligist sich durchsetzen wird.

Seitdem die Relegation 2009 wieder eingeführt wurde, gab es übrigens nur drei Zweitligisten, die sich durchsetzen konnten: der 1. FC Nürnberg (2009), Fortuna Düsseldorf (2012) und Union Berlin (2019). Während die Fortuna bereits in der Folgesaison wieder abstieg (sich anschließend aber für einige Jahre in der Bundesliga etablierte), belebten der 1.FCN und Union die Bundesliga nachhaltig. Anders als zwei Bundesligisten, die sich (mehrfach) durch die Relegation retteten: der HSV und der SV Werder Bremen krebsen seit Jahren durch den deutschen Profifußball und können bzw. konnten das Niveau der ersten Liga schlichtweg nicht mehr halten.

Kohle statt Qualität

Unter dem Strich geht es unserem lieben DFB aber doch um den Profit. Gladbach, Wolfsburg, Frankfurt - allesamt Teilnehmer der Relegation - sind mittlerweile europäisch vertreten und bringen mehr Kohle, als Heidenheim, Kiel oder Greuther Fürth. Selbst der HSV und Werder Bremen sind für den DFB lukrativer als No-Names aus dem Unterhaus. Die zusätzlichen zwei Endspiele treiben die TV-Einnahmen zusätzlich in die Höhe.

Also: große Namen und wirtschaftliche Vorzüge statt Qualität und fairer Belohnung. Denn von Fairness oder Qualität sprechen wir nicht mehr, wenn der popelige 16. der Bundesliga sich durch zwei Null zu Nulls und ein gewonnenes Elfmeterschießen gegen einen Zweitligisten in der Liga hält, der eine tolle Saison gespielt und die vielleicht einmalige Chance auf den Aufstieg in die Bundesliga verpasst. Und am Ende steigt ebenjener Bundesligist dann halt ein oder zwei Jahre später ab.

Wenn es also nicht um Fairness und Qualität (und den Grundgedanken des Wettkampf- und Sportsgeistes), sondern um monetäre Interessen geht: es gibt Alternativen! In England beispielsweise gibt es Play-Offs um den Aufstieg, die massig Kohle einbringen und die 1. Liga (wie von meinem Kollegen gefordert) dadurch noch attraktiver und exklusiver werden lassen. Und für die Abstiegsmannschaften des Oberhauses gibt es keinen goldenen Fallschirm - den hat sich in der Bundesliga auch lange keine Mannschaft mehr verdient.

Relegation steht bevor: und täglich grüßt das Murmeltier

Abschließend ein Blick auf die aktuelle Tabellensituation. In der 2. Bundesliga stehen der VfL Bochum, Holstein Kiel und Greuther Fürth vor dem letzten Spieltag als Platz Eins, Zwei und Drei fest. Alle drei Mannschaften haben eine fantastische Saison gespielt und dabei auch den Relegations-Rekordmeister HSV hinter sich gelassen. In der Bundesliga liefern sich der 1. FC Köln, Arminia Bielefeld und der SV Werder Bremen ein Schneckenrennen darum, wer die zweitschlechteste Grotten-Mannschaft der Liga ist und wer mit seinem Rumpel-Fußball zumindest die Chance auf die Relegation kriegt.

Oder mit anderen Worten: tut uns Leid, Kiel, Fürth oder Bochum - wir haben viel mehr Bock auf die Schnarchnasen aus Bielefeld, Bremen oder Köln. So ist das halt, Pech gehabt, aber hey, viel Spaß in den nächsten Jahren in der 2. Bundesliga, wir schicken euch die Gurke, die eurem Aufstieg im Weg stand, bald hinterher.

(Oscar Nolte)