Eingerostetes Duell: Warum der Clasico zwischen Bayern und dem BVB gar kein Clasico ist
Von Florian Bajus
Bayern München und Borussia Dortmund waren in den vergangenen Jahren die Aushängeschilder der Bundesliga. Entsprechend aufmerksam wurden die direkten Duelle beider Mannschaften verfolgt, doch im Hinblick auf das bevorstehende Aufeinandertreffen am Samstag (18:30 Uhr) ist nur wenig von der einst vorhandenen Spannung enthalten. Der "deutsche Clasico" wird seiner Bedeutung nicht mehr gerecht.
Mit der überraschenden Meisterschaft im Jahr 2011 wagte der BVB den Angriff auf den Branchenprimus aus München, der sich noch im Jahr zuvor unter Louis van Gaal mit dem Double krönte und einzig wegen der Final-Niederlage in der Champions League gegen Inter Mailand das Triple verpasste. In der Saison 2011/12, als Dortmund noch einmal eine Schippe drauflegte und das Double gewann, wurde deutlich, dass diese Mannschaft mit ihrem Trainer, Jürgen Klopp, alles andere als eine Eintagsfliege war.
Dortmund näherte sich den Bayern an, die mit dem Triple 2013 und der Verpflichtung von Pep Guardiola zu enteilen versuchten. Plötzlich gab es einen ernstzunehmenden Gegner, der hartnäckig blieb und sich nicht geschlagen gab. Immer wieder begegneten sich Bayern und Dortmund in Schlüsselduellen, sogar in der Königsklasse, als sich die Dauerrivalen im Endspiel von Wembley gegenüberstanden.
FC Bayern vs. BVB - ein Duell der Trainer
Doch es war nicht nur das Spiel der beiden besten deutschen Mannschaften, es war auch immer ein Duell zweier großer Trainer. Im ersten Meisterjahr musste sich Klopp mit van Gaal messen, im Anschluss mit Jupp Heynckes und Pep Guardiola. Der Katalane bekam es in seiner letzten Saison an der Isar dann mit Thomas Tuchel zu tun, der sich wiederum in seinem zweiten und letzten Jahr beim BVB heikle Duelle mit Carlo Ancelotti lieferte.
Es waren und sind auch heute noch alles große Trainer, bis auf Tuchel gewann jeder von ihnen mindestens einmal die Champions League. Deshalb standen auch die taktischen Komponenten stets im Vordergrund: Können die Bayern den BVB dank Heynckes wieder hinter sich lassen? Schafft es Klopp, Guardiola in die Knie zu zwingen? Oder kann der perfektionistische Bayern-Trainer erst von Tuchel gestoppt werden? Und was ist eigentlich mit Ancelotti, der seine Spieler stets für die großen Spiele vorbereitet?
Jürgen Klopp und Pep Guardiola (v.l.) trugen einst in der Bundesliga harte Gefechte aus. Mittlerweile sind beide in der Premier League aktiv.
Während Klopp und Guardiola, die zweifelsfrei besten Klubtrainer der Welt, seit 2018 in England gegeneinander wieder um Titel kämpfen, ging diese attraktive Komponente zwischen Bayern und Dortmund bereits vor über zwei Jahren verloren. Trotz des Pokalsieges trennte sich Dortmund von Tuchel, Nachfolger Peter Bosz wurde nach wenigen Monaten entlassen. Peter Stöger betreute die Mannschaft bis Saisonende, ehe Lucien Favre vor der Saison 2018/19 von OGC Nizza losgeeist wurde. Bei den Bayern wiederum kehrte Heynckes nach der Entlassung von Ancelotti zurück, bis zum vergangenen Sonntag stand mit Niko Kovac erstmals seit vielen Jahren kein Mann von Welt an der Seitenlinie - und nach seiner Entlassung übernimmt vorerst Hansi Flick, der ehemalige Assistent von Bundestrainer Joachim Löw.
Ein Duell Favre vs. Guardiola, Ancelotti oder Heynckes stünde für Spannung, schließlich werden dem Schweizer seit Jahren fachlich herausragende Qualitäten nachgesagt. Allerdings sitzt beim FC Bayern seit Sommer 2018 kein klangvoller Name auf der Trainerbank - nach der Länderspielpause könnte sich das aber wieder ändern.
Beide Mannschaften sind eingerostet
Unabhängig von den Trainern deutet sich auch wegen der Leistungen der Spieler auf dem Platz kein hochklassiges Duell an. Beide Mannschaften haben in der laufenden Spielzeit mit Problemen zu kämpfen, neben dem entlassenen Kovac stand auch Favre in den vergangenen Wochen im Zentrum der Kritik; anders als sein Konkurrent gelang es ihm aber, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
Robert Lewandowski ist einer der ganz wenigen Lichtblicke des FC Bayern.
Auf dem Papier sind Bayern und Dortmund den übrigen Mannschaften in der Bundesliga haushoch überlegen, auf dem Rasen aber herrscht auf beiden Seiten viel Stückwerk. Eine spielerische Glanzleistung ist am Samstag wahrlich nicht zu erwarten. Einige Mannschaften aus dem oberen Tabellendrittel wie Spitzenreiter Borussia Mönchengladbach und RB Leipzig, oder aber Überraschungsmannschaften wie der SC Freiburg und Schalke 04 machen derzeit einfach mehr Spaß.
Auf beide wartet ein richtungsweisendes Spiel, keine Frage, sowohl Bayern als auch Dortmund können sich mit einem Sieg absetzen. Allzu bedeutend wäre das in der engen Tabelle aber nicht. Denn während Gladbach drei Punkte Vorsprung auf den BVB besitzt, ist Platz 10 aus schwarz-gelber Sicht auch nur vier Zähler entfernt.
Spitzenspiel? Fehlanzeige
Sicherlich gelten Bayern und Dortmund über die gesamte Saison hinweg als die Favoriten auf die Meisterschaft. Entscheidender wäre aber das Rückspiel im April. Am Samstag wartet dagegen ein 'gewöhnliches' Bundesliga-Duell aus der oberen Tabellenregion - so wie am Sonntag, wenn der SC Freiburg gegen Eintracht Frankfurt spielt. Bevor der sonst alles überstrahlenden Begegnung zwischen Bayern und Dortmund der Titel des "deutschen Clasico" aber wieder gerecht wird, müssen beide Klubs wieder an Strahlkraft dazugewinnen.