Stillstand statt Fortschritt: Darum ist Niko Kovac nicht der richtige Trainer für den FC Bayern
Von Florian Bajus
In seinem zweiten Herbst beim FC Bayern München erlebt Niko Kovac die zweite schwierige Phase. Die Mannschaft präsentierte in den vergangenen Spielen unterwältigende Auftritte, rettete sich am Dienstagabend bei Olympiakos Piräus zu drei wichtigen Punkten in der Champions League und offenbarte zahlreiche Schwächen. Kovac war die Leistung in Piräus "nicht so wichtig" (via Stuttgarter Nachrichten), Karl-Heinz Rummenigge schlug dagegen Alarm. Es zeichnet sich immer mehr ab, dass Kovac nicht der richtige Mann für den FC Bayern und der FC Bayern eine Nummer zu groß für Niko Kovac ist.
Wieder einmal rettete Robert Lewandowski die Münchner Bayern ins Ziel. Der Pole, zweifelsfrei in der Form seines Lebens, erzielte in Piräus seine Saisontore 17 und 18, dabei sind erst 13 Pflichtspiele gespielt worden, wenn man den Supercup mit einrechnet. 38 Treffer haben die Münchner insgesamt erzielt, umgerechnet gehen 47 Prozent davon auf Lewandowskis Konto.
Ohne die individuelle Klasse - auch Serge Gnabry ist hervorzuheben - stünde es dramatischer um den Double-Sieger, der in der Bundesliga auf Platz drei liegt und in Gruppe B der Champions League fünf Punkte Vorsprung auf Tottenham Hotspur besitzt. Der knappe Rückstand auf Spitzenreiter Borussia Mönchengladbach und die guten Chancen auf den Gruppensieg in der Königsklasse übertünchen die Probleme, die Kovac seit über einem Jahr zu bewältigen versucht.
Weiterentwicklung? Fehlanzeige!
Defensiv offenbaren die Bayern drastische Schwächen. Für Konter kann sich die Mannschaft aufgrund der offensiven Ausrichtung gar nicht absichern, fast jeder Angriff über die rechte Abwehrseite, auf der Joshua Kimmich auch in Piräus seine Rolle als Rechtsverteidiger extrem offensiv interpretierte - diesmal, um Thomas Müller weiter ins Zentrum rücken zu lassen - wird gefährlich, fast jeder Schuss des Gegners landet im Tor. So vollendete Youssef El Arabi mustergültig einen Gegenstoß in der 23. Minute, Manuel Neuer parierte knapp hinter der Torlinie.
Doch so offensiv die Bayern ausgerichtet sind, so harmlos sind sie im Spiel nach vorne. Durch die zu hohen Abstände im Mittelfeld ist der für den Aufbau zuständige defensive Mittelfeldspieler zu weit von der vorderen Kette entfernt, notgedrungen wird das Spiel daher meist auf einen der Außenverteidiger und somit auf die Flügel verlagert. Mit einem simplen 4-4-2 Pressing raubt man dem Aufbauspieler- gestern wurde Javi Martinez diese Rolle anvertraut - jegliche Anspielstationen in der Vertikale.
Das sorgt dafür, dass Bayern berechenbar ist und meist nur über Einzelaktionen oder Standards gefährlich wird. Sein Tor zum Ausgleich leitete Lewandowski selbst ein, als er eine Hereingabe von Martinez für Müller ablegte, das 2:1 fiel durch einen Eckball und das dritte Tor des Abends erzielte der eingewechselte Corentin Tolisso aus der zweiten Reihe. Sehenswerte Spielzüge sind eine Rarität, die lediglich gegen RB Leipzig (1:1) und Tottenham Hotspur (7:2) phasenweise präsentiert wurden.
Die Kritik wächst
Uninspiriert, pomadig, selbstgefällig; es gäbe viele Adjektive, um die jüngsten Auftritte der Bayern zu beschreiben. Niko Kovac aber weist lieber auf die Stärken des Gegners hin, redet ihn selbst stark, wenn er weiß, dass seine Mannschaft eigentlich mit 3:0 gewinnen müsste. Häufig sieht er ein gutes Spiel seiner Mannschaft, benennt allenfalls die mangelhafte Chancenverwertung und zeigt sich sicher, dass sich die Probleme wie von Zauberhand lösen werden.
Auch die gestrige Leistung vermochte er nicht zu stark zu kritisieren und wies lieber darauf hin, dass drei Punkte wichtiger seien. Anders klangen Hasan Salihamidzic und Karl-Heinz Rummenigge, deren Zweifel langsam aber sicher zu wachsen beginnen. "Ich glaube nicht, dass die heutige Leistung uns am Ende des Tages in diesem Jahr große Erfolge bescheren wird, wenn wir nicht langsam die Kurve kriegen", mahnte Rummenigge laut kicker beim obligatorischen Bankett, laut Salihamidzic müsse "alles besser werden" und auch Neuer monierte: "Wir haben unsere Probleme. Das merkt man in der Art, wie wir spielen" (zitiert via SZ).
Nach einem schwierigen ersten Jahr, in dem sich Kovac in München zurechtfinden musste, steht in dieser Saison die Entwicklung einer neuen Generation des FC Bayern auf dem Plan. Gelungen ist ihm das noch überhaupt nicht. Eine spielerische Entwicklung ist einzig ins Negative zu erkennen, die Abwehr so schwach wie seit vielen Jahren nicht. Zum fünften Mal in Serie kassierte Manuel Neuer zwei Gegentore, zum siebten Mal in der gesamten Saison.
Der FC Bayern ist eine Nummer zu groß
Es kommen Zweifel auf, dass Niko Kovac der richtige Mann für den Deutschen Rekordmeister ist. Der FC Bayern hat das Selbstverständnis, national zu dominieren und international bis zum Schluss dabei zu sein, von Letzterem kann man momentan aber nur träumen. Neben seinem taktisch limitierten Portfolio präsentiert sich Kovac zwar stets als bodenständiger Typ, der sich für Fans und Journalisten Zeit nimmt und selbst unter größtem Druck die Ruhe bewahrt, in der Gewissheit, mit seinem bisherigen Stil Erfolg zu haben. Doch er schraubt - wie auch Uli Hoeneß - die Ansprüche des Klubs runter, wenn er schwache Leistungen schönredet, jeden Gegner ermutigt und einem das Gefühl vermittelt, dass jeder Punkt zählt - so, als würde die Mannschaft gegen den Abstieg kämpfen.
In München aber zählen in jedem Spiel nur drei Punkte. Der FC Bayern strebt nach dem maximalen Erfolg. Dazu zählt auch, den Gegner über 90 Minuten zu dominieren - wie zu Zeiten von Pep Guardiola. Dass mit der Verabschiedung des Katalanen auf dem Rathausbalkon am Marienplatz vor drei Jahren ein Stück der Dominanz verloren gehen würde, damit mussten alle Beteiligten rechnen. Dass der FC Bayern aber so rapide abstürzt, war nicht zu erwarten.
Es braucht einen Trainer, der nicht nur offensiven Fußball mit Hand und Fuß spielen lässt, sondern der auch nach außen hin das über viele Jahre hinweg als Arroganz aufgefasste Selbstverständnis, zu den Besten in Europa zu zählen, verkörpert. All das besitzt Kovac nicht - und deshalb ist der Trainerstuhl in München zu groß für ihn.
Der komplizierte Trainermarkt
Ein viel größeres Problem stellt allerdings die Suche nach einem Nachfolger während der laufenden Saison dar; Ralf Rangnick wäre durchaus eine interessante Personalie, Stand jetzt wäre der 'Head of Sport and Development Soccer' von Red Bull wohl aber die einzige Lösung neben Co-Trainer Hansi Flick, der seinerseits keinerlei Erfahrungen als Cheftrainer vorweisen kann. Die Bosse müssen sich gut überlegen, wie viel Zeit Kovac noch erhält - und wer im Fall einer Trennung überhaupt einspringen könnte.