Deutschland am Tiefpunkt: Zeit zu gehen, Herr Löw!
Von Simon Zimmermann
Debakel, Blamage - aber auch verdient. Der Schiffbruch des Titelverteidigers in Russland bedeutet eine Zäsur im deutschen Nationalteam. Erstmals sind die DFB-Kicker bei einer WM schon in der Gruppenphase gescheitert. Konsequenzen sind unabdingbar. Die notwendigste wäre ein Wechsel am Steuerrad.
Die russische Millionenstadt Kasan am Ufer der Wolga geht als der Ort in die Geschichte ein, an dem eine deutsche Nationalmannschaft erstmals in der Vorrunde einer Weltmeisterschaft ausgeschieden ist. Die 0:2-Pleite gegen Südkorea war der Schlusspunkt eines blamablen Auftritts des Titelverteidigers - nicht nur während des Turniers, sondern den kompletten WM-Sommer über.
Mit einem Kader ausgestattet, der nominell durchaus in der Lage hätte sein müssen, die Titelverteidigung anzugehen, machten der DFB, Bundestrainer Joachim Löw und die Spieler fast alles falsch, was man hätte falsch machen können.
Aus und vorbei: Mario Gomez (2. v. r.) und Mats Hummels (r.) raufen sich die Haare.
Die Nebenkriegsschauplätze um die Erdogan-Affäre wurden dabei bereits hinlänglich diskutiert. Nach den Niederlagen gegen Mexiko und Südkorea, sowie dem Last-Minute-Sieg gegen Schweden, ist es an der Zeit den Blick auf die sportlichen Leistungen von Löw und seinem Team zu richten. Diese wurden zu keiner Zeit eines (noch) amtierenden Weltmeisters gerecht. Angefangen hatte das schon weit vor Beginn des Turniers - und zwar nicht erst in der Vorbereitung mit den schwachen Auftritten gegen Österreich und Saudi-Arbabien.
Seit 2014: Löw kündigt Änderungen an - passiert ist nichts
An der Spitze angekommen, kündigte Löw schon nach dem Titelgewinn von Brasilien an, dass man die Spielweise etwas verändern müsse. 2016 folgte mit dem Halbfinale bei der EM zwar auf den ersten Blick ein akzeptables Abschneiden, die Probleme der DFB-Elf wurden aber schon in Frankreich offenbart. Gegen defensive Gegner fand das DFB-Team nur selten eine Lösung. Als bestes Beispiel dient das torlose Remis gegen Polen in der Gruppenphase. Wieder predigte Löw, man müsse das Spiel umstellen, schneller und gezielter in Richtung gegnerisches Tor agieren.
Özil (l.) und der ausgewechselte Khedira standen völlig neben sich - wie der Rest der Mannschaft.
Abgesehen vom Titelgewinn beim Confed Cup mit vielen hoffnungsvollen Talenten und Kräften aus der zweiten Reihe, ist effektiv allerdings erneut nichts passiert. Im Gegenteil: Der Auftritt in Russland legt nahe, das "Die Mannschaft" unter Löw immer mehr in die selben, schlechten Muster verfällt. Das Spiel gegen Südkorea war der Gipfel. Oliver Kahn war hinterher ratlos, warum man die Partie "mit soviel Angst, phasenweise sogar Apathie" angegangen war.
Deutschland lieferte ein erschreckendes Bild ab. Tempo im Spielaufbau war nicht vorhanden. Das Team trabte und schleppte sich in weiten Teilen im Fußmarsch über den Platz. Dazu kam die scheinbare alles erdrückende Last, als Titelverteidiger dem Beispiel von Italien und Spanien zu Folgen und schon in der Vorrunde zu scheitern.
"Uns hat die Leichtigkeit gefehlt", suchte der Bundestrainer nach Spielende einen ersten Ansatz. Am Ende habe es man "nicht auf den Platz gebracht", so Löw weiter. Auf dem Platz habe man nichts vom spürbaren Ruck nach dem Schweden-Spiel gesehen. "Wir konnten es nicht umsetzen und waren im Abschluss nicht konsequent genug", erklärte er.
Dann folgten bemerkenswerte Worte zur Auftaktpleite: "Es gab eine gewisse Selbstherrlichkeit gegen Mexiko. Die Mannschaft dachte vielleicht, man kann auf Knopfdruck reagieren." Eine Selbstherrlichkeit, die den Anfang vom Ende bedeutete. Neben dem schwachen Offensivspiel offenbarte sie so gravierend wie nie, welche Probleme das DFB-Team mit dem Umschaltspiel hat. Die Balance ist der Löw-Truppe in Russland völlig abhanden gekommen.
Die ungemütliche Konsequenz: Der Umbruch muss auf dem Trainerstuhl beginnen
Der Bundestrainer kündigte an, die Verantwortung für das Desaster zu übernehmen: "Ich bin der Erste, der sich jetzt hinterfragen muss. Ich muss natürlich eine Nacht darüber schlafen. Aber ich habe die Verantwortung dafür, klar." Mehr ließ sich Löw über seine Zukunft nicht entlocken. Fakt ist, sein Vertrag wurde vor der WM bis 2022 verlängert - um den Umbruch einzuleiten, wie DFB-Präsident Reinhard Grindel kundtat. Nach der "riesigen Enttäuschung" hielt dieser bei seiner Meinung fest. Der Umbruch sei unabhängig vom Turnierergebnis nötig und Löw nach Meinung des DFB-Präsidiums der richtige Mann dafür. Grindel kündigte aber auch an, dass er eine "saubere Analyse" von den sportlich Verantwortlichen um Teammanager Oliver Bierhoff fordere. "Dann werden wir die notwendigen Konsequenzen ziehen."
Zeit abgelaufen? Joachim Löw wollte sich nach dem Spiel nicht zu seiner Zukunft äußern.
Schwer vorstellbar also, das sich der DFB von seinem langjährigen Erfolgscoach nach dem ersten herben Rückschlag trennt. Ex-Weltmeister Jürgen Kohler hatte dagegen schon vor dem Schweden-Spiel gewarnt, die Entwicklung gehe seit 2014 in die falsche Richtung und spekulierte auch über vermeintliche Störungen im Verhältnis zwischen Löw und Bierhoff. Das langjährige Tandem hat mit der Blamage von Kasan jedenfalls seinen Nimbus verloren, der deutsche Fußball Schiffbruch erlitten. Nun wäre es an der Zeit, eine ungemütliche Entscheidung zu Treffen und die Ära Löw zu beenden. Denn der geforderte Umbruch ist nicht mit einer neuen Spieler-Generation getan, sondern muss auch mit einer angepassten Spielidee einher gehen - das hat die laufende WM deutlich gezeigt.