Königsblaues Fieber
Von Oliver Helbig

Nach fünf Spieltagen in der 2. Bundesliga steht der FC Schalke 04 mit neun Punkten auf einem guten Mittelfeldplatz, der zum jetzigen Zeitpunkt jedoch noch recht wenig Aussagekraft hat. Ebenso aussagelos ist die Tatsache, dass die Knappen sich damit auf Rang sieben nur drei Punkte von der Tabellenspitze und in direkter Schlagdistanz zu den Aufstiegsrängen entfernt befinden. Noch vor einem Jahr hätte man ein Bild der Tabelle vermutlich ausgedruckt, an die Wand gehängt und die Saison für beendet erklärt. Nicht so jetzt - die Stimmung hat sich verändert.
Es ist die positive Momentaufnahme eines Klubs, der in den letzten Jahren für zahlreiche nicht ganz so erfreuliche Schlagzeilen gesorgt hat und von zahlreichen Nackenschlägen, sowohl finanzieller als auch sportlicher Natur, gebeutelt wurde. Nun fühlt es sich aber an, dass da noch mehr kommt. Gemessen an der aktuellen Tabellensituation und einer deutlich entspannteren (wenn auch noch nicht guten) Finanzlage ist es aber ein anderer Punkt der bei Schalke 04 am positivsten auffällt. Zunächst dennoch zu den Fakten.
Die Sportliche Situation
Blickt man auf die ersten Wochen der noch jungen Saison, sind es die erkennbaren Fakten, die unterm Strich beleuchtet werden müssen. Festzuhalten ist, dass die Königsblauen vier ihrer ersten sechs Pflichtspiele der neuen Spielzeit gewonnen haben, davon zwei zu Null. Die 0:1-Niederlage gegen den 1. FC Kaiserslautern am 2. Spieltag war unnötig, denn Schalke war dem damaligen Gegner keineswegs wirklich unterlegen. Auch bei der 0:1-Heimniederlage gegen Holstein Kiel am vergangenen Samstagnachmittag scheiterte Schalke eher an sich selbst als am Gegner. Mit etwas mehr Effektivität vor dem Tor wäre auch da deutlich mehr drin gewesen. Dass es ab und zu noch stottert muss dem Klub zugestanden werden. Es ist aber die Art und Weise, die den ein oder anderen Ausrutscher entschuldigt und den auch die Schalker Fans verzeihen.
"Vom glücklichen Gewinner zum unglücklichen Verlierer: Das ist als Erfolg zu verbuchen."
Wenn man sich noch daran erinnert, wie es in der letzten Saison lief, hatte man dort schließlich selten den Eindruck, dass Schalke der unglückliche Verlierer war, stattdessen eher in beängstigender Regelmäßigkeit den Eindruck, dass Schalke in der Mehrzahl seiner eh nur zehn Saisonsiegen der mehr als glückliche Gewinner war.
Selten waren die Knappen am Ende vollends überzeugend und hinterließen das Gefühl, dass ein Erfolg zweifelsfrei auch tatsächlich verdient war. Auch bei Siegen kam kaum Freude oder Zufriedenheit auf. Zu oft spielte man dafür wie ein Absteiger und zu selten erkannte man welchen Plan die Mannschaft auf dem Platz überhaupt verfolgte. Diese neue Wahrnehmung in der laufenden Saison muss bereits als großer Fortschritt und Schritt in die richtige Richtung angesehen werden, denn bei Schalke geht es aktuell vor allem um eines: sich zu festigen.
Die Finanzielle Situation
Die Schalker konnten sich über den Verkauf von Eigengewächs Taylan Bulut für sechs Millionen Euro zu Besiktas sowie über die erfreulichen Zusatzeinnahmen durch eine Weiterverkaufsbeteiligung bei Ex-S04-Talent Malick Thiaw freuen. Der Wechsel des ehemaligen Schalker Nachwuchskickers von der AC Mailand zu Newcastle United spülte weitere gut drei Millionen Euro in die klammen Kassen. Dieses Geld wird Schalke auch angesichts der Auflagen zum negativen Eigenkapital dringend benötigt und stellt eine deutliche Erleichterung dar.
Zudem scheint man sich in der Schalker Vereinsführung endlich auf einen Zukunftsplan verständigt zu haben, der für finanzielle Entlastung und zeitgleich sportliche Weiterentwicklung sorgen soll. Nach all dem Chaos der letzten Jahre und dem ständigen Hin und Her in leitenden Funktionen auf und abseits des Platzes ist auch dieser Punkt als Fortschritt und Schritt in die richtige Richtung zu werten - sofern man ihn konsequent und unaufgeregt weiterverfolgt und sich auch durch kleinere Rückschläge nicht aus der Ruhe bringen lässt.
Schalkes großer Glanz alter Tage
Jahrelang war der FC Schalke 04 Teil der deutschen Fußball-Spitzengruppe und in der Bundesliga eine absolute Macht. Unvergessen sind auch europäische Nächte wie die der Euro-Fighter beim UEFA-Cup-Triumph 1997 oder die Gala bei Inter Mailand, als man in der Champions League mit 5:2 gegen die Italiener ein dickes Ausrufezeichen setzte und den Einzug ins Halbfinale der Königsklasse ebnete, wo erst gegen Manchester United Schluss war. Das Wunder von San Siro war geboren.
Auch ein Schalker Manuel Neuer, der den FC Porto einst verzweifeln ließ, schwirrt noch durch die Fußballmemoiren meines Kopfes. An mitreißende und packende Gefühle dieser Art war in den letzten Jahren seit dem Bundesliga-Abstieg 2021 nicht zu denken - mit Ausnahme an den Zweitliga-Endspurt unter Mike Büskens in der zwischenzeitlichen Aufstiegssaison 2021/22, als man sich die Meisterschaft in der 2. Bundesliga sicherte.
Gefolgt wurde dieses kurze Hoch damals vom erneuten Absturz und beinahe dem Durchmarsch in die Drittklassigkeit. Alles in Allem ein chaotisches Hin und Her ohne Struktur und viel Grund zu Fußballfreude - vor allem für treue Fans der Königsblauen. Doch auch hier tut sich was.
Das Gefühl rund um Schalke hat sich verändert
Seit Miron Muslic das Traineramt bei den Schalkern übernommen hat, hat sich einiges getan. Nach den ersten Wochen der Spielzeit 2025/26 habe ich das Gefühl, dass Schalke wieder weitaus mehr Schalke ist. Der Verein wirkt nicht mehr verloren und auf der Suche nach sich selbst. Es wirkt nicht mehr wie ein Verein, der vergessen hat, was einst seine Seele war und was ihn ausmachen sollte.
Mit Muslic kamen Maloche und Identifikation zurück in den Pott. Das lässt die Hoffnung keimen, dass sich Schalke 04 von den Strapazen und dem Werteverlust der jüngeren Vergangenheit erholt. Nach und nach. Schalke entdeckt sich gerade selbst wieder, und auch die Fans scheinen das zu spüren – zumindest behaupte ich das, denn ich als eigentlicher Nicht-Fan meine es zu spüren.
Dabei merke ich auch, wie dieser Verein mehr und mehr mein Herz gewinnt und ich mich über Teilerfolge freue, weil es so viel Freude bereitet, dabei zuzusehen, wie sich dieser einst so große Klub vom Staub befreit, der seinen Glanz verdeckt, und weil sich die Werte, für die Schalke stand, gerade wieder durch verschiedene Gesichter neu aufstellen.
"Es ist die stückweise Wiederbelebung eines Fußballgiganten dessen Aufrichtung noch viel Geduld und Arbeit benötigen wird. "
Den Anfang macht Miron Muslic, der als knallharter Arbeiter mit Rückgrat und Zielstrebigkeit überzeugt. Der Österreicher hat seinen Maßstab klar kommuniziert und ist mit nichts anderem zufrieden. Ein Maßstab, der den Werten des FC Schalke 04 gerecht wird und einem tief im Schacht erklingenden Herzschlag ähnelt. Es ist die stückweise Wiederbelebung eines Fußballgiganten dessen Aufrichtung noch viel Geduld und Arbeit benötigen wird.
Die Schalke-DNA ist zurück
"Wenn ich in die Gesichter blicke, dann erkenne ich Spieler im blau-weißen Trikot, die vom Schalke-Fieber gepackt zu sein scheinen."
Wenn ich nach Schalker Heimsiegen in die Gesichter im Fernsehen blicke, dann erkenne ich Spieler im blau-weißen Trikot, die vom königsblauen Schalke-Fieber gepackt zu sein scheinen. Spieler wie Loris Karius, der schon so viel im Fußball gesehen hat, bekommen strahlende Augen, weil sie die Macht des Vereins, getragen von treuen und leidgeplagten Fans, hautnah spüren. Spieler die zu verstehen scheinen, was es heißt dieses Trikot zu tragen. Es sind Gänsehautmomente, in denen die Veltins-Arena bebt und brodelt.
Doch am meisten hat sich das Gefühl rund um Schalke geändert, seitdem wieder mehr Wert auf das blaue Blut gelegt wird, das durch die Adern des Kaders fließt. Timo Becker ist dafür eines der Gesichter. Er ist ein Schalker, der nach Hause kam und anpackt, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Er sorgt innerhalb des Kaders mit Spielern wie Kapitän Kenan Karaman dafür, dass man sich an den Schalker Werten ausrichtet, und geht voran.
Aber auch die Talente, die sich auf dem Platz für Schalke zerreißen und die königsblauen Tribünen mit Stolz erfüllen. Vitalie Becker ist für mich ein Paradebeispiel hierfür. Aus persönlicher Sicht bereiten mir die Auftritte des jungen Außenverteidigers bisher wirkich große Freude. Auch der aktuell verletzte Peter Remmert beeindruckte mich, weil er als absoluter No-Name zeigte, was man erreichen kann, wenn man sein Herz auf dem Platz lässt - angefangen im Training.
Gewinnbringend war dabei auch, dass Muslic genau diesen Aspekt belohnte und damit verdeutlichte, dass es die sind die sich an seinem Maßstab messen, die berücksichtigt werden. Somit machen sich Spieler nicht eigenständig wöchentlich neue Maßstäbe. Das trägt zur Heilung des Vereins bei.
Auch in Sachen Transfers beweist Schalke wieder ein deutlich glücklicheres Händchen. So stellt die Verpflichtung von Soufiane El-Faouzi beispielsweise eine Verpflichtung dar, die wie für Schalke gemacht war. Der zentrale Mittelfeldspieler läuft sich für seinen neuen Klub die Hacken ab und malocht von Anfang bis Ende. Exakt diese Leute benötigt man.
"Wie kann jemand nicht für diesen Mann spielen und sich auf dem Rasen zerreißen wollen?!"
Es scheint, als mache das berühmte Zuckerbrot-und-Peitsche-Prinzip Muslic so erfolgreich. Die Linie des Trainers ist klar – sowohl taktisch als auch disziplinarisch. Wer sich innerhalb dieser Leitplanken orientiert, profitiert auch davon. Zudem war es beeindruckend, wie herzlich Muslic beispielsweise den Neuankömmling Finn Porath in die königsblauen Arme schloss und ihm signalisierte: Schön, dass du da bist, du bist hier willkommen. Ich habe mir beim Anblick dieses Videos gedacht: "Wie kann jemand nicht für diesen Mann spielen und sich auf dem Rasen zerreißen wollen?!" Darüber hinaus hat der neue Trainer den Mut auf das zu setzen, was Schalke lange ausmachte: den eigenen Nachwuchs.
Auch Muslic hat mich gepackt und ich gönne ihm die positive Resonanz und den bereits einkehrenden Teilerfolg von Herzen. Mit ihm scheint Schalke wieder einen Trainer zu haben der auch wie Arsch auf Eimer dorthin zu passen scheint. Zumindest habe ich als Außenstehender diesen Eindruck.
Das schwere Trikot wird wieder mit Leichtigkeit getragen
"Es wirkt so, als würde jeder, der bei Schalke spielt, auch für Schalke spielen."
Es wirkt beinahe so, als würden die Spieler, die jetzt auf dem Feld stehen, sowie diejenigen aus der zweiten Reihe, das ach so schwere Trikot des FC Schalke mit deutlich mehr Leichtigkeit tragen - und mit ehrlichem Stolz. Man hat nicht mehr den Eindruck, dass es sich um einen wild zusammengewürfelten Haufen von Söldnern handelt, denen der Klub egal ist. Vielmehr wirkt es wieder so, als spiele jeder, der bei Schalke spielt, auch für Schalke.
Es mag klein anmuten, doch mit Blick auf das, was Schalke in den letzten Jahren durch hat, ist es eine Entwicklung, die am Ende so viel wert sein könnte wie ein Titel. Schalke 04 als Aufsteher der Herzen. Jetzt heißt es, dran zu bleiben.
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