Europameisterliche Defensive auf Kosten einer harmlosen Offensive: Die Analyse

Für die deutsche Nationalmannschaft hört die EM-Reise im Halbfinale auf. In einem Duell, welches erst spät in der Verlängerung entschieden wurde, setzten sich die spanischen Weltmeisterinnen am Ende mit 1:0 durch. 90min liefert die Analyse zum Spiel.
Ausgeträumt - trotz starker Defensivleistung musste sich das DFB-Team schlussendlich gegen Spanien geschlagen geben
Ausgeträumt - trotz starker Defensivleistung musste sich das DFB-Team schlussendlich gegen Spanien geschlagen geben / Alexander Hassenstein/GettyImages
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Die gleiche Leidenschaft, Laufleistung und Siegermentalität wie im Viertelfinale gegen Frankreich wollte die deutsche Nationalmannschaft auch im Duell mit den spanischen Weltmeisterinnen auf den Platz bringen - und das am besten, ohne dabei eine weitere Rote Karte zu kassieren. Gerade Letzteres sollte sich nach zwei Spielen in Unterzahl bewahrheiten - doch die auf den Platz gebrachten Anstrengungen, die sich vor allem auf die Defensive fokussierten, blieben zum Schluss gegen starke Gegnerinnen nicht belohnt.

Geduld bis in die Verlängerung: Spanien wird Favoritenrolle gerecht

Es war die entscheidende Szene der Partie: In der 113. Spielminute fuhren die Spanierinnen einen Angriff auf das Tor von Ann-Katrin Berger. Die Abwehr bekam den Ball zunächst aus dem Strafraum geklärt, jedoch verpasste es die eingewechselte Sydney Lohmann, die Gefahr für den Moment zu bannen und verlor das Spielgerät stattdessen an ihre Gegenspielerin. Dann ging es ganz schnell, der Pass landete bei Weltfußballerin Aitana Bonmatí, die - anstatt nochmal in die Mitte abzulegen - selbst in die kurze Ecke abschloss. Damit hatte Torhüterin Berger nicht gerechnet, weswegen der Ball ungehindert knapp neben dem Pfosten im Tor einschlug.

Aitana Bonmati, Ann-Katrin Berger
Aitana Bonmait entschied sich für das kurze Eck und traf zum 1:0 / Catherine Ivill - AMA/GettyImages

In einem emotionalen Statement nach Abpfiff übernahm die deutsche Keeperin die Veranwortung für das Gegentor. Eine bezeichnende Äußerung von Berger, doch zur ganzen Wahrheit gehört eben auch, dass es sich bei dem Gegentreffer nur um eine Frage der Zeit gehandelt hatte. Immer wieder war La Furia Roja zuvor auf das deutsche Tor zugelaufen und glücklos geblieben. Auch Berger selbst hatte mit starken Paraden bis zu diesem Zeitpunkt verhindert, dass es bereits früher zu einer Entscheidung gekommen war. Der bittere Beigeschmack bleibt trotz allem, da nur noch sieben Minuten zu spielen waren, dann wäre es zum Elfmeterschießen gekommen - Bergers Lieblingsdiziplin.

Europameisterliche Defensive trotz erneuter Umstellungen

Wie schon gegen die Französinnen im vergangenen Spiel startete die Mannschaft von Bundestrainer Christian Wück sehr defensiv im Vergleich zur normalen Spielweise, die auf langen Ballbesitzphasen beruht. Mit dem Einrücken von Sophia Kleinherne in die Innenverteidigung und der Hereinnahme von Carlotta Wamser als Rechtsverteidigerin mussten auch in diesem Spiel signifikante Änderungen in der deutschen Abwehr vorgenommen werden.

Dafür lief es gerade innerhalb der ersten halben Stunde erstaunlich gut. Die Spanierinnen mühten sich damit ab, Lücken in der deutschen Hintermannschaft zu finden und schafften es nicht, einen Fuß in den gegnerischen Sechzehner zu setzen. Deutschland verteidigte dabei erneut höchst leidenschaftlich auf allen Positionen. Besonders hervorzuheben sind dabei Franziska Kett und Wamser, die gegen die gefährlichen Flügelspielerinnen Mariona Caldentey und Claudia Pina (später Athenea del Castillo und Salma Paralluelo) erstaunlich viele Angriffe unterbinden konnten.

Kurz vor der Pause gelang es der spanischen Elf von Montse Tomé schließlich doch, das Abwehrbollwerk zu durchbrechen und erste Chancen herauszuspielen. Im weiteren Spielverlauf folgten mehr Versuche, wobei immer noch ein deutscher Fuß in den Weg kam oder Berger die Situation entschärfen konnte. Der Matchplan von Wück schien aufzugehen, als es ohne Gegentreffer weiter in die Verlängerung ging. Alle Zeichen standen auf der finalen Entscheidung vom Punkt, bis der kurze Moment der Unachtsamkeit in der 113. Spielminute diese Hoffnung zerplatzen ließ. Die Defensivleistung war bis hierhin europameisterlich, allerdings auf Kosten einer gut funktionierenden Offensive.

Franziska Kett, Mariona Caldentey
Die deutsche Zukunft: Franziska Kett lieferte erneut eine starke Partie ab / Charlotte Wilson/GettyImages

Defensivstärke als Preis für Offensivflaute

Es lag die ganze Partie lang so viel Fokus auf der Arbeit gegen den Ball, dass es teilweise so schien, dass man nicht wusste, was man mit dem Ball am Fuß anstellen wollte. Das deutsche Spiel war klar auf Konterangriffe ausgelegt, die sich aus Ballgewinnen entwickeln sollten. Im Angriff wollte das DFB-Team in solchen Situationen über schnelle lange Pässe nach vorne in Richtung der schnellen Flügelspielerinnen Jule Brand und Klara Bühl gelangen beziehungsweise über die erneut beginnende Giovanna Hoffmann hohe Bälle festmachen.

Doch in der Realität gestalteten sich die deutschen Ballbesitzphasen deutlich zu kurz. Zu schnell ging das Spielgerät wieder verloren, wofür ein weiteres Mal unpräzise Pässe beziehungsweise falsches Timing beim Abspiel das Problem waren - zu hektisch war das Verhalten am Ball. In einigen Ausnahmefällen rutschte mal ein Ball über die Außen durch, wodurch Brand und Bühl ihre Dribbelstärke ausspielen konnten. Aber hier trafen die Spielerinnen zu oft die falschen Entscheidungen, indem sie Abschlusszeitpunkte verpassten oder sich im falschen Moment für den Schuss statt Pass entschieden.

Zuversicht für die Zukunft

Bei aller Kritik sollte nicht vergessen werden, wie schlecht die Vorzeichen für das DFB-Team zwischenzeitlich standen. Erst hatte man verletzungsbedingt auf Kapitänin Giulia Gwinn verzichten müssen. Darauf folgten Rote Karten für Carlotta Wamser und Kathrin Hendrich, sowie die Gelb-Sperre von Sjoeke Nüsken und der Ausfall von Sarai Linder. Die deutsche Defensive wurde vor enorme Herausforderungen gestellt und meisterte diese den Umständen entsprechend herausragend.

Unter dem Strich hat das Wück-Team wohl das Maximum aus der gegebenen Situation herausgeholt. Die Mannschaft hat zu ihren Stärken zurückgefunden, als nur noch die Wenigsten daran geglaubt hatten. Auf diese Leistung kann der gesamte Kader samt Staff enorm stolz sein, immerhin bedeutet das für die Zukunft, dass ein vielversprechendes Fundament vorhanden ist.

Immerhin hatte man vor dem Turnier mit vielen Herausforderungen zu kämpfen, allen voran dem Umbruch nach den Rücktritten sämtlicher gestandener Nationalspielerinnen. Die Richtungsvorgabe für die Zukunft ist klar, genauso wie die Bereiche, an denen in den nächsten zwei Jahren gearbeitet werden muss. Denn 2027 soll bei der nächsten Weltmeisterschaft der nächste große Schritt erfolgen.