Des Fußballs schönste Seite - Danke, Nordderby
Von Oliver Helbig

Was war das bitte für ein Spiel?! Im von vielen lange ersehnten Nordderby zwischen dem Hamburger SV und Werder Bremen erlebten neutrale Fußballfans einen absoluten Leckerbissen – die HSV-Fans sowieso. In einem munteren Hin und Her lieferten sich beide Teams einen mutigen und im zweiten Durchgang mit offenem Visier geführten Schlagabtausch wie aus dem Lehrbuch. Drum herum kochte der Hexenkessel Volksparkstadion und zog jeden Fußballliebhaber in seinen unwiderstehlichen Bann.
Am Sonntagnachmittag präsentierte sich der Bundesligafußball von seiner schönsten Seite.
Die anfänglichen Zweifel wurden ausgelöscht
Zugegeben, meine Stimmung vor dem großen Nordduell zwischen dem HSV und Werder war anfangs etwas zwiegespalten. Schließlich traf hier ein sich noch suchender Aufsteiger, der im unteren Bereich der Tabelle steht, auf einen Klub, der einen holprigen Saisonstart hingelegt hatte und bis heute nicht sattelfest wirkt. Was konnte man also von diesem Spiel erwarten?
Die Gefahr, dass das Nord-Derby aufgrund seines großen Glanzes aus der Vergangenheit größer gemacht wurde, als es tatsächlich sein konnte und den Erwartungen nicht gerecht werden würde, war durchaus gegeben. Doch am Ende waren die Zweifel ausgelöscht und die pure Lust am Fußball zurück.
Fußballfest im Hexenkessel
Beide Fanlager präsentierten sich im Hamburger Volkspark in Bestform und waren der Treibstoff für ein Spiel, das weitaus mehr PS bekam als man es ihm anfangs zutraute. Mit zunehmendem Spielverlauf und für die Hamburger immer erfreulicher werdenden Szenen stieg das Stimmungsbarometer auf den Rängen in schier unfassbare Höhen an und fand spät im Spiel seinen Höhepunkt. Hollywood hätte es nicht besser schreiben können.
Den Anfang zum stimmungsgeladenen Schlussakkord machte die überlegte Klasseaktion von HSV-Mittelfeldmann Sambi Lokonga zum verdienten Ausgleich nach gut einer Stunde. Als Luka Vuskovic aber dann einen wirklich unfassbaren Treffer erzielte und den HSV in der 75. Minute plötzlich in Führung brachte, kochte die Stimmung endgültig über. Die letzte halbe Stunde des Nordkrachers wurde zur fußballerischen Offenbarung.
Hamburg hatte das Spiel nun gedreht und lag mit 2:1 in Front, doch die große Freude währte nur kurz, denn der prompt erzielte Ausgleich drei Minuten nach der Hamburger Führung - ausgerechnet durch den gebürtigen Hamburger und einstigen HSV-Nachwuchsspieler Justin Njinmah - ließ den Torjubel der Hamburger schnell wieder wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Plötzlich wieder ergebnistechnische Augenhöhe und ein Duell auf Messers Schneide, bei dem jeder Fehler verhängnisvolle Folgen hätte haben können.
Wer aber glaubte, dass damit der letzte Akt bereits erzählt war und man sich mit einem friedlichen Unentschieden zufrieden geben würde, der irrte sich gewaltig.
Yussuf Poulsen, der bisherige eher tragische Held der Hamburger, wurde in der 82. Minute eingewechselt und war nur zwei Minuten später mit seinem ersten Treffer für den HSV der frenetisch gefeierte Derby-Held. Nach wochenlangen Verletzungsproblemen und einem Hinterherlaufen seiner Form, erzielte der bei seiner Verpflichtung bereits als neuer Hamburger Held gefeierte Stürmer den 3:2-Siegtreffer und wurde seinem ihm bereits vorausgeeilten Ruf im bestmöglichen Moment endlich auch gerecht.
Was in puncto Stimmung nach dem Ausgleich durch Njinhmah zunächst noch im Hals stecken geblieben war, platzte jetzt wie ein Korken aus der Flasche und ließ das Dach des Volksparkstadions beinahe wegfliegen! Bis zum Schluss gingen der packende Fight und das große Zittern auf beiden Seiten weiter - bis zum Abpfiff, auf den man bei diesem Spiel gerne auch verzichtet hätte. Stundenlang hätte man dem emotionsgeladenen Treiben auf dem Hamburger Rasen noch zusehen können und wäre nicht müde daran geworden.
Fußball wie er sein sollte
Kein großes Taktieren und wohl überlegtes Risikomanagement, sondern ein abwechslungsreiches Hin und Her, bei dem bis zum Schluss nicht klar war, welche Aktion das Zünglein an der Waage sein würde und für wen das Pendel letztlich ausschlägt. Ein Kampf, bei dem die Karten bei beiden Teams auf dem Tisch lagen. Abwechslungsreiche Stimmungsausschläge, bei denen man selbst als Außenstehender Täler und Berge von Emotionen durchlief, bis der eigene Körper gar nicht mehr wusste, wo oben und unten war und bei dem man wie gebannt den Blick nicht vom TV-Gerät abwenden konnte.
Eine Stimmung auf den vollbesetzten Rängen, die die Luft zum Vibrieren brachte und jedes noch so kleine Härchen aufstehen ließ. Gänsehaut pur. Der Rahmen geprägt von Flutlicht, Nebel, Pyrotechnik, dreckigen Trikots, Blut, Schweiß und Tränen und den aus tiefster Seele erklingenden Fangesängen, die die eigene Mannschaft über die Ziellinie peitschen sollten. Am Ende gab es einen tragischen Verlierer und einen wiederauferstandenen Gewinner, der seine Burg verteidigte und der die Siegerfaust in den Nachthimmel eines faszinierenden Fußballstadions reckte. Fußballherz, was willst du bitte mehr?!
Alles drin, was ein Derby haben muss
Und hört bitte auf mit "Das Spiel wurde durch die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Mannschaften nach Abpfiff etwas getrübt“ – Papperlapapp!
Ein Derby darf oder muss vielleicht auch genau so enden! Es kam ja schließlich zu keiner massiven Schlägerei oder unrühmlichen Bildern, sondern lediglich zum Entladen aufgestauter Emotionen von Leistungssportlern, die wussten, dass es für einen ganzen Verein und seine weitverbreitete Anhängerschaft hier um alles geht. Und die dafür sorgten, dass die Bundesliga ihren oft auferlegten Staub ablegte und in genau diesem Duell ihre gesamte Faszination verbreitete!
Auch dass der kleine Konflikt nach Abpfiff durch ein paar Hamburger Spieler ausgelöst wurde, die etwas überschwänglich in Richtung der Bremer Bank jubelten – ja, Leute, das ist nun mal Derby, und da gibt es eben andere Gesetze und Maßstäbe. Unschuldig wird die Werder-Bank dabei garantiert auch nicht gewesen sein.
Vor allem in so einem Aufeinandertreffen darf niemand aus Zucker sein. Wer austeilt, muss auch einstecken können und wer provoziert, der muss auch mit Echo leben, wenn es schief geht. Genau so muss so ein bedeutendes Spiel auch verlaufen, und genauso muss es auch enden. Ein Kampf mit dem Messer zwischen den Zähnen, aber danach gibt es trotzdem den ehrlichen Handshake und die gegenseitige Anerkennung.
Das Nord-Derby: Ganz großes Kino und Werbung für die Bundesliga
Das Nord-Derby am Wochenende hat gezeigt, warum man die Bundesliga und ihre traditionsreichen Geschichten so lieben muss. Was die beiden Kontrahenten auf dem Platz daraus gemacht haben, wird noch lange in den Köpfen nachschwingen und auch beim ein oder anderen Rückblick für dieses Gänsehaut-Feeling sorgen. Der HSV ist endgültig zurück im deutschen Oberhaus – und mit ihm ein Spiel, das der deutsche Fußball gebraucht hat!
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