Schwächster Auftritt unter Nagelsmann: 6 Erkenntnisse zur DFB-Pleite gegen Portugal

Der Auftritt der deutschen Nationalmannschaft gegen Portugal wird zum Offenbarungseid. Wir werfen einen Blick auf die Erkenntnisse des Spiels.
Jonathan Tah und Leon Goretzka gaben eine ganz schwache Figur ab.
Jonathan Tah und Leon Goretzka gaben eine ganz schwache Figur ab. / Soccrates Images/GettyImages
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Eigentlich wollte sich die Deutsche Nationalmannschaft für das unglückliche EM-Aus im Viertelfinale nun in der Nations League rehabilitieren. Das Halbfinale gegen Portugal ging aber nicht nur verloren, sondern kennzeichnet auch den wohl schwächsten Auftritt des Teams unter Julian Nagelsmann. Insbesondere nach der 1:0-Führung durch Florian Wirtz verlor die DFB-Elf völlig den Faden und schied verdient mit 1:2 aus.

Wir werfen einen Blick auf die Erkenntnisse des Spieles:

1. Abwehr komplett überfordert: Tah zeigt eklatante Schwächen

Die Dreierkette Tah-Koch-Anton sollte für defensive Stabilität sorgen, jedoch war genau das Gegenteil der Fall. Insbesondere in der letzten halben Stunde bekam Deutschlands Abwehr überhaupt keinen Zugriff mehr auf die flinken Portugiesen. Ja, selbst ein 40-jähriger Ronaldo wirkte im Vergleich zu einem Jonathan Tah noch ziemlich flink und dynamisch.

Es war insbesondere der angehende Bayern-Verteidiger, der einen ganz gebrauchten Abend erwischte. Tah wirkte enorm schwerfällig, ließ sich mehrmals überlaufen oder im Eins-gegen-Eins düpieren. Auch sein ansonsten recht stabiles Stellungsspiel ließ arg zu wünschen übrig.

Anton und Koch machten in den direkten Duellen einen etwas besseren Job, im Spielaufbau waren allerdings alle drei zu fehleranfällig und unkreativ.

Letztlich folgt daraus die Erkenntnis, dass die deutsche Innenverteidigung eigentlich aus Nico Schlotterbeck und Antonio Rüdiger bestehen müsste, um international konkurrenzfähig zu sein. Koch und Anton sind nicht mehr als gute Bundesliga-Spieler und auch Tah scheint nur unter Alonso und in Leverkusen gehobene Klasse zu sein.

2. Zu wenig Präsenz im Mittelfeld: Goretzka katastrophal

Das Münchner Mittelfeld-Duo Leon Goretzka und Aleksandar Pavlovic war definitiv ein Grund für die Niederlage gegen die Portugiesen. Pavlovic war zwar bemüht und hatte das ein oder andere gute Anspiel, seine Fehlerquote war allerdings viel zu hoch.

Goretzka machte einmal mehr mit seiner Passivität im Ballbesitz auf sich aufmerksam. Der Münchner berührte nur 41-mal den Ball, was nach Leroy Sané und Nick Woltemade der schwächste Wert im gesamten Team war. Dabei stand er im Gegensatz zu den genannten Offensivkräften über 90 Minuten auf dem Platz.

Selbst wenn Goretzka mehrmals vorne gefährlich in Aktion getreten wäre, sind so wenige Ballkontakte für einen zentralen Mittelfeldspieler eigentlich ein No-Go. Ein gefährlicher Abschluss rechtfertigt die fehlende Beteiligung im Spielaufbau erst recht nicht.

Auch gegen den Ball ließen Pavlovic und Goretzka Härte in den Zweikämpfen und ein zielgerichtetes Anlaufen vermissen. Pavlovic bestritt immerhin noch fünf Zweikämpfe, Goretzka hingegen null am Boden und nur einen in der Luft. Damit erweist man der ohnehin schon wackligen Abwehr natürlich einen Bärendienst.

Gewiss hätte ein Angelo Stiller helfen können, der es versteht, Bälle zu fordern und zu verteilen. Zudem ist darauf zu hoffen, dass Pavlovic seine verloren gegangene Form mittel- und langfristig wieder findet. Ansonsten dürften auch die Diskussionen bezüglich der Kimmich-Position wieder heiß werden.

3. Auf Kimmich ist Verlass

Apropos Joshua Kimmich: Der DFB-Kapitän hat definitiv wieder gezeigt, dass er zu Recht der Kapitän der Mannschaft ist. Der 30-Jährige war der stärkste und hungrigste deutsche Spieler und hat bewiesen, dass er nicht nur im Mittelfeld, sondern auch hinten rechts zur Spitzenklasse gehört.

Mit seiner Zauber-Vorlage auf Florian Wirtz sorgte er für das spielerische Highlight der Partie. Auf Kimmich ist schlichtweg Verlass. Stellt sich nur die Frage, ob man die Leader-Figur nicht wieder im zentralen Mittelfeld benötigt. Die Alternativen hinten rechts sind aber eben aktuell kaum vorhanden.

4. Offensive kaum im Spiel - Woltemade fremdelt noch

Wer sich vom Trio Sané, Wirtz und Woltemade Zauber-Fußball versprochen hat, wurde schwer enttäuscht. Sané zeigte mit einem schwachen Auftritt in einem großen Spiel einmal mehr, warum ein Abschied kein großer Verlust für die Münchner wäre.

Nick Woltemade fand ebenfalls nicht so richtig ins Spiel und wirkte mit seiner Aufgabe recht überfordert. Der Stuttgarter verstolperte anders als im Vereinsdress viele Bälle, traf falsche Entscheidungen und war nur selten ins Spiel integriert. Immerhin hatte er die größte deutsche Chance in Durchgang eins nach einem herrlichen Zusammenspiel mit Pavlovic. Die Lösung im deutschen Angriff ist er so aber noch nicht.

Selbst Florian Wirtz legte nicht seinen besten Auftritt hin. Der Youngster war besser als Sané und Woltemade, konnte abgesehen von seinem Treffer aber auch selten so richtig brillieren.

5. Dreier-Wechsel von Nagelsmann entpuppt sich als Desaster

Mit dem Dreier-Wechsel Gosens, Gnabry und Füllkrug für Mittelstädt, Sané und Woltemade in der 61. Minute hat Julian Nagelsmann überhaupt kein gutes Händchen gezeigt. Zwei Minuten nach den Wechseln erzielte Portugal den Ausgleich, ehe sieben Minuten später Cristiano Ronaldo den Siegtreffer erzielte.

Zwar waren die ausgewechselten Spieler allesamt nicht wirklich gut, die neu gekommenen aber noch viel schwächer. Insbesondere Robin Gosens wurde von Portugiesen regelrecht schwindlig gespielt. Der Linksfuß war die Verkörperung des Wortes "überfordert".

Keineswegs besser präsentierte sich Serge Gnabry. Der Bayern-Profi wirkte enorm undynamisch und absolut nicht spielfit. Gnabry war an keiner im Ansatz gefährlichen Situation beteiligt und fiel vielmehr mit Fehlpässen auf.

Niclas Füllkrug wirkte nach seiner schweren Saison auch wie ein Fremdkörper und konnte keinen einzigen Stich setzen.

6. Dreierkette hat sich erneut nicht bewährt

In all den Jahren hat es Deutschland immer wieder mit einer Dreierkette probiert, funktioniert hat es allerdings fast nie. Natürlich hatte das DFB-Team das Problem, nicht so richtig eingespielt zu sein, die Systemumstellung hat aber alles noch schlimmer gemacht. Julian Nagelsmann sollte entweder auf ein 4-2-3-1 oder ein 4-3-3-System setzen. Das Experiment mit Dreierkette ist - hoffentlich - zum letzten Mal gescheitert. Gewiss war es aber nicht nur die Nagelsmann-Taktik, sondern vielmehr die Defizite und Unzulänglichkeiten der einzelnen Akteure, die das Spiel negativ beeinflusst haben.


Fazit: Deutschland kann verletzungsbedingte Ausfälle nicht kompensieren

Letztlich waren es vor allem die vielen Verletzungen, die Deutschland das Genick gebrochen haben. Antonio Rüdiger und Nico Schlotterbeck sind individuell die beiden besten deutschen Innenverteidiger. Der Ausfall des Duos konnte in keiner Weise aufgefangen werden. Selbstredend bringen auch Kai Havertz und vor allem Jamal Musiala in der Offensive nochmal deutlich mehr mit als ein noch fremdelnder Woltemade oder ein kaum noch tragbarer Gnabry.

Nicht zu unterschätzen ist auch der Ausfall von Angelo Stiller, der die dringend benötigte Gabe hat, ein Spiel an sich zu reißen und die Bälle sauber und klug zu verteilen. Deutschland hat nicht die nötige Kader-Tiefe, um bei dieser Ausfallliste zur Elite gehören zu können.

Das Fehlen der genannten fünf Spieler hat enorm zum schwachen Auftritt beigetragen. Dennoch rechtfertigt das die Leistung einiger Akteure auf dem Platz natürlich nicht. Neben den Verletzungen begünstigten auch die Unzulänglichkeiten einiger Spieler sowie die Taktik und die Wechsel von Julian Nagelsmann die Niederlage.


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