Wie gut war eigentlich Borussia Dortmund von 2010 bis 2013?
Von Noah Piotrowiak

Zwischen 2010 und 2013 begeisterte Borussia Dortmund Fußballfans in ganz Europa – mit Leidenschaft, Tempo und einem unverwechselbaren Spielstil. In Dortmund formte sich nicht nur ein Team, das zwei deutsche Meisterschaften und einen DFB-Pokal gewann, sondern auch eine Mannschaft, die als Symbol für modernen und emotionalen Fußball galt. Doch wie gut war dieses BVB-Team tatsächlich? War es eine goldene Generation – oder eher ein Produkt kluger Kaderplanung und perfektem Timing? Die Antwort: vermutlich beides. Doch ganz so einfach ist es nicht. Es wird Zeit für eine genaue Betrachtung.
Jürgen Klopp
Womöglich der wichtigste Faktor: Jürgen Klopp – der Mann, der wie kein anderer für die Dortmunder Erfolgsjahre steht.
Am 1. Juli 2008 unterschrieb Klopp bei Borussia Dortmund. Die BVB-Verantwortlichen holten den damals 41-Jährigen vom 1. FSV Mainz 05, wo er sieben Jahre zuvor seine Trainerkarriere begonnen hatte. 2004 führte er den Klub erstmals in die Bundesliga und hielt mit dem Aufsteiger in den ersten beiden Saisons souverän die Klasse. In der dritten Spielzeit folgte schließlich der Abstieg – doch Klopp blieb dem Verein treu, ging mit in die zweite Liga und verpasste den direkten Wiederaufstieg nur knapp: Mit zwei Punkten Rückstand auf Rang zwei und einem 5:1-Sieg gegen den FC St. Pauli am letzten Spieltag beendete er das Kapitel Mainz 05 und unterschrieb kurz darauf in Dortmund.
Nach der Saison 2007/08 herrschte beim BVB Krisenstimmung: Die Spielzeit wurde lediglich auf Rang 13 beendet – und auch in den beiden Jahren zuvor hatte man die Qualifikation für das internationale Geschäft verpasst. Borussia Dortmund war sportlich ins Mittelmaß abgerutscht und drohte, sich dort dauerhaft einzunisten. Es war klar: Es musste sich etwas ändern – und zwar zunächst auf der Trainerbank. Die Verantwortlichen entschieden sich, Thomas Doll nach 49 Spielen und einem enttäuschenden Punkteschnitt von 1,45 zu entlassen. Schnell wurde deutlich, wer als Wunschlösung galt: Jürgen Klopp.
Vier Tage nach der Entlassung von Thomas Doll verkündete Sportdirektor Michael Zorc die Verpflichtung von Jürgen Klopp – der kaum Bedenkzeit brauchte, um dem BVB seine Zusage zu geben. "Es ist für mich eine große Ehre, Trainer des BVB zu sein“, erklärte Klopp auf seiner ersten Pressekonferenz. Damals versprach er "Fußball mit Leidenschaft, der die Zuschauer zufriedenstellt“, wie die Berliner Morgenpost berichtete – ein Versprechen, das Klopp nicht nur einlöste, sondern weit übertraf.
Als Klopp Borussia Dortmund im Jahr 2015 verließ, hinterließ er weit mehr als nur sportliche Erfolge – er hatte den Verein emotional geprägt wie kaum ein anderer Trainer zuvor. Klopp verkörperte all das, was die Fans in Dortmund schätzen: Leidenschaft, Ehrlichkeit, Nahbarkeit. Er war nicht einfach nur der Coach – er war eine Identifikationsfigur, jemand, den die Menschen als "einen von uns“ empfanden. Ein Gesicht, eine Stimme und ein Herz des Vereins an der Seitenlinie.
Als er ging, geschah das nicht, weil seine Zeit abgelaufen war – sondern weil er selbst erkannte, dass ein neuer Impuls notwendig wurde. Jürgen Klopp ging als absolute Legende. Er hinterließ nicht nur eine erfolgreiche Mannschaft, sondern ein neues Selbstverständnis – für Spieler, Klub und Fans. Und er hinterließ dabei einen Maßstab, an dem sich jeder Nachfolger messen lassen musste – ein nahezu unerreichbarer Maßstab. Wer auch immer nach ihm kommen sollte, trat ein schweres Erbe an.
Die Erfolge
Gleich vier große Erfolge feierte der BVB zwischen 2010 und 2013: Die Bundesliga-Meistertitel 2010/11 und 2011/12, den DFB-Pokal-Sieg 2011/12 und den Einzug in das Champions-League-Finale 2012/13.
Die erste Meisterschaft nach neun Jahren feierte der BVB im Mai 2011 – mit sieben Punkten Vorsprung auf Bayer Leverkusen und einer Tordifferenz von +45. Zwar profitierte die Borussia auch von einer vergleichsweise schwachen Saison der Bayern, die die Spielzeit mit "nur“ 65 Punkten abschlossen - doch am Ende ging die Meisterschale absolut verdient nach Dortmund.
In der Folgesaison thronte der BVB erneut an der Spitze: die zweite Meisterschaft in Folge – ein historischer Erfolg, der zuletzt 1994/95 und 1995/96 gelungen war. Doch damit nicht genug: Sportlich legte die Mannschaft unter Klopp noch einmal deutlich zu. Mit beeindruckenden 81 Punkten sicherte sich Dortmund die Meisterschaft mit acht Zählern Vorsprung vor dem FC Bayern – ein weiterer Meilenstein und ein Beleg für die beeindruckende Entwicklung, die der Klub genommen hatte.
Und sie setzten noch einen drauf: Am 12. Mai 2012 krönte Borussia Dortmund eine ohnehin schon überragende Saison mit einem furiosen 5:2-Sieg über den FC Bayern im DFB-Pokal-Finale – und wurde damit Double-Sieger der Spielzeit 2011/12. Die bisher erfolgreichste BVB-Saison im 21. Jahrhundert und der Höhepunkt der Ära Klopp.
Auch wenn die Borussen in der Saison 2012/13 national nicht an die vorherigen Erfolge anknüpfen konnten, übertraf man in der Königsklasse alle Erwartungen: Auf eindrucksvolle und emotionale Weise zog der BVB ins Finale der Champions League ein – und der Herausforderer hieß erneut FC Bayern München. Zuvor hatte man im wohl legendärsten BVB-Spiel der letzten zwei Jahrzehnte den FC Malaga mit zwei Toren in der Nachspielzeit aus dem Wettbewerb geworfen. Es folgte ein berauschendes 4:1 im Halbfinal-Hinspiel gegen Real Madrid – inklusive eines Viererpacks von Robert Lewandowski. Im Endspiel im Londoner Wembley-Stadion unterlag Dortmund schließlich den Bayern mit 1:2 – ein bitteres, aber dennoch denkwürdiges Ende einer außergewöhnlichen Europapokal-Reise.
Der Kader
Ein zentraler Erfolgsfaktor für den Dortmunder Höhenflug zu Beginn der 2010er-Jahre war die Kaderkontinuität: Der Kern der Mannschaft blieb über Jahre hinweg nahezu unverändert - kaum ein Schlüsselspieler verließ den Verein während dieser erfolgreichen Phase. Die eingespielte Achse - Weidenfeller, Subotic, Hummels, Schmelzer, Piszczek, Bender, Kehl, Götze, Blaszczykowski und Lewandowski - hielt dem Klub bis mindestens 2013 die Treue. Und das, obwohl einige von ihnen zweifellos das Potenzial und die Angebote hatten, zu größeren Klubs zu wechseln. Dieses kollektive Bekenntnis zum BVB war ein fundamentaler Baustein für die Titel und die außergewöhnliche Teamchemie jener Jahre.
Auch Felipe Santana, Kevin Großkreutz und Patrick Owomoyela zählten in dieser Zeit zu wertvollen Kaderspielern, die den Erfolgskern von 2010 bis 2013 ergänzten. Sie waren zwar nicht durchgehend erste Wahl, überzeugten jedoch mit Einsatzbereitschaft, Identifikation mit dem Verein und wichtigen Leistungen, wenn sie gebraucht wurden.
Lediglich Shinji Kagawa und Lucas Barrios verließen den BVB nach dem Double-Triumph 2011/12. Ilkay Gündogan stieß erst zur Saison 2011/12 zum Team und entwickelte sich schnell zu einem Schlüsselspieler im Mittelfeld. Marco Reus wiederum kehrte zur Saison 2012/13 zurück in seine Heimatstadt und verstärkte die ohnehin starke Dortmunder Offensive.
Taktik & Spielstil
Möchte man den BVB-Fußball unter Jürgen Klopp mit einem Wort beschreiben, wäre es wohl "Intensität“. Klopp setzte konsequent auf ein aggressives Gegenpressing – mit dem klaren Credo, ohne Ball am gefährlichsten zu sein. Der Ballverlust war kein Rückschritt, sondern der Auslöser für sofortigen Druck auf den Gegner, mit dem Ziel, den Ball möglichst schnell zurückzuerobern und den nächsten Angriff einzuleiten.
Borussia Dortmund agierte unter Klopp meist in einem 4-2-3-1-System gegen den Ball, das sich in Angriffssituationen zu einem 4-2-4 verschob. Im Tor stand mit Roman Weidenfeller ein klassischer Keeper, der kaum ins Spiel mit dem Ball eingebunden war und sich auf seine Rolle als Rückhalt konzentrierte.
Im Zentrum übernahmen zwei Sechser – Kehl, Gündogan, Bender, Sahin – die Verantwortung für den Spielaufbau. Einer von ihnen ließ sich meist früh fallen, um den Ball in tiefer Position aufzunehmen und schnell nach vorne zu bringen. Besonders prägend war dabei die Harmonie zwischen Mats Hummels und Ilkay Gündogan – ein Duo, das sich in Spielintelligenz und Technik hervorragend ergänzte.
Als Kevin Großkreutz auf dem linken Flügel spielte, arbeitete er auch intensiv nach hinten. Das entlastete Marcel Schmelzer, der als klassischer Linksverteidiger vorrangig mit dem Verteidigen beschäftigt war und nur selten weit aufrückte. Mit der Verpflichtung von Marco Reus, der ab der Saison 2012/13 auf dem linken Flügel agierte, änderte sich dieses Zusammenspiel jedoch deutlich: Reus spielte offensiver, zog häufig ins Zentrum und ließ die Außenbahn bewusst offen. Dadurch war Schmelzer gezwungen, deutlich mehr offensive Aufgaben zu übernehmen und regelmäßig weit vorzuschieben, um Breite im Spiel zu schaffen und Überzahlsituationen auf der linken Seite zu ermöglichen.
Auf der rechten Seite überzeugte Jakub Blaszczykowski mit seiner Vielseitigkeit: Er konnte sowohl mit Tempo an seinem Gegenspieler vorbeiziehen als auch ins Zentrum ziehen, um das Spiel im letzten Drittel enger zu gestalten. Dadurch öffneten sich immer wieder Räume auf den Außenbahnen, die Piszczek als Rechtsverteidiger gezielt nutzen konnte. Sowohl der Pole als auch Schmelzer über links verfügten über eine hohe Qualität im Flankenspiel, was Dortmunds Angriffsspiel zusätzlich gefährlich machte.
Im Zentrum glänzte der BVB mit einer technisch herausragenden Achse: Ilkay Gündogan, Mario Götze, Robert Lewandowski und später auch Marco Reus bildeten ein dynamische und fluide agierende Offensive, die sich ständig in den Räumen bewegte, die Positionen tauschte und damit gegnerische Defensivreihen immer wieder vor große Herausforderungen stellte.
Gegen den Ball verfolgten die Dortmunder ein klares Konzept: Alle Spieler arbeiteten konsequent gegen den Ball, mit dem Ziel, ihn so schnell wie möglich zurückzuerobern. Entscheidender Bestandteil war dabei das kollektive Gegenpressing, das durch eine kompakt stehende Mannschaft mit geringen Abständen zwischen den Linien ermöglicht wurde. Die Abwehrkette rückte mutig und hoch auf, um das Spielfeld zu verengen und den Gegner auf kleinstem Raum unter Druck zu setzen. So schuf Dortmund regelmäßig Überzahlsituationen rund um den Ball und zwang den Gegner zu Fehlern – die Grundlage für das schnelle Umschaltspiel, das zum Markenzeichen dieser Zeit wurde.
Das Trio um Watzke, Klopp & Zorc
Das Trio um Jürgen Klopp, Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc war zwischen 2010 und 2013 das Rückgrat des Dortmunder Erfolgs – ohne ihr Zusammenspiel wäre die goldene BVB-Ära nicht denkbar denkbar gewesen.
Hans-Joachim Watzke, als Geschäftsführer, schuf unter schwierigsten wirtschaftlichen Bedingungen die Grundlage für den sportlichen Wiederaufstieg. Nach der finanziellen Krise der frühen 2000er stellte er klare Strukturen her, reduzierte Schulden und traf mit der Verpflichtung Klopps eine der wichtigsten Personalentscheidungen in der Vereinsgeschichte.
Michael Zorc, als Sportdirektor, hatte ein außergewöhnliches Händchen für Transfers. Mit vergleichsweise geringem Budget holte er Spieler wie Hummels, Bender, Lewandowski, Gündogan oder Piszczek. Akteure, die sportlich überperformten und menschlich zum Klub passten. Er formte zusammen mit Klopp ein Team, das perfekt auf dessen Spielidee zugeschnitten war.
Was dieses Trio so besonders machte, war nicht nur fachliche Qualität, sondern tiefes Vertrauen, eine klare gemeinsame Vision und der Mut, unbequeme Entscheidungen zu treffen. Klopp brachte die Idee, Zorc die Spieler, Watzke die Stabilität – und gemeinsam machten sie aus dem BVB wieder einen Spitzenklub in Europa.
Vergleich zur Konkurrenz
Die Konkurrenz, mit der sich Borussia Dortmund, vor allem zwischen 2011 und 2013 messen musste, war gewaltig – der FC Bayern München schwächelte zwar 2010/11, war jedoch, als zur Saison 2011/12 Jupp Heynckes übernahm, in einer Phase, in der der deutsche Rekordmeister Jahr für Jahr mit einem finanziell deutlich überlegenen Kader antrat - und dennoch schaffte es der BVB, sich zunächst sportlich durchzusetzen – und genau das macht den Erfolg dieser Dortmunder Jahre umso beeindruckender.
Zwischen 2010 und 2013 war der FC Bayern mit Spielern wie Franck Ribéry, Arjen Robben, Bastian Schweinsteiger, Thomas Müller, Manuel Neuer und später Javi Martinez nicht nur individuell überragend besetzt, sondern auch europäisch etabliert. 2010 standen die Münchner im Champions-League-Finale, 2012 erneut – und 2013 holten sie das Triple. In genau diesem Zeitfenster konnte Borussia Dortmund dennoch zwei Meisterschaften und einen Pokalsieg erringen – und das mit einem deutlich niedrigeren Budget und einem im Aufbau befindlichen Team.
Auch Vereine wie Bayer Leverkusen, Schalke 04 oder Borussia Mönchengladbach hatten in einzelnen Saisons starke Phasen und machten die Bundesliga zu einer umkämpften Liga. Doch vor allem der Zweikampf mit dem FC Bayern prägte diese Jahre – und es war ausgerechnet der BVB, der die Dominanz des Rekordmeisters für eine Weile durchbrach.
Dass man 2012 vor den Bayern Meister wurde – und das mit acht Punkten Vorsprung - zeigte, wie gut Dortmund eigentlich war. Und nicht zuletzt bewies der DFB-Pokal-Sieg 2012 mit dem 5:2-Finaltriumph über den FC Bayern, dass der BVB in dieser Phase nicht nur mithalten, sondern den Rivalen auch dominieren konnte. Allerdings verlor man den bedeutendsten "Klassiker" in diesem Zeitabschnitt dennoch: das Champions-League-Finale 2013.
Die nationalen Erfolge des BVB zwischen 2010 und 2013 wirken deshalb wie ein kleiner Umsturz in einer Ära, die ansonsten fest in Münchner Hand war – und sind gerade deswegen in der Rückschau so hoch einzuordnen.
Internationale Auftritte
Vom Königsklassen-Finaleinzug 2013 abgesehen, konnte man 2010/11 in der Europa League und 2011/12 in der Champions League nicht überzeugen: In beiden Saisons schied man bereits in der Gruppenphase aus und verabschiedete sich vorzeitig aus dem Wettbewerb - erst 2013 sollte dann eine unvergessliche Saison auf internationalem Topniveau folgen.
Nachdem man sich 2009/10 für die Europa League qualifizierte, scheiterte man in der Folgesaison an einer Gruppe mit dem FC Sevilla, PSG und Karpaty Lviv. Und auch als amtierender deutscher Meister 2011/12 konnte man eine Champions-League-Gruppe, die aus dem FC Arsenal, Olympique Marseille und Olympiakos Piräus bestand, nicht überstehen.
Schwarzgelbes Fazit
Mit Jürgen Klopp an der Seitenlinie gewann der BVB zwei Meisterschaften, einen DFB-Pokal und erreichte das Champions-League-Finale – ein sportlicher Höhenflug wie seit Jahren nicht mehr. Das Trio um Klopp, Zorc und Watzke war dabei besonders entscheidend, da sie gemeinsam aus einem angeschlagenen Klub ein Topteam formten - und das mit einem Spielstil, der für Tempo, Pressing und Leidenschaft stand. Klopp ließ intensiven Gegenpressing-Fußball spielen – spektakulär und erfolgreich - und gewann somit die Herzen der BVB-Anhänger zurück.
Mit einer herausragenden Kaderstrategie und -kontinuität schaffte man es, die Erfolgswelle drei Jahre am Stück zu reiten und drei Titel und ein europäisches Finale mitzunehmen. Die Konkurrenz war national zwar zunächst geschwächt, wurde jedoch immer gewaltiger – und dennoch hielt Dortmund lange mit, bis ins CL-Finale.
Nur international konnte man in zwei von drei Jahren nicht überzeugen - ein kleiner Makel in den Dortmunder Erfolgsjahren von 2010 bis 2013.
Borussia Dortmund war in dieser Zeit emotional, erfolgreich, innovativ – kein dauerhaftes internationales Spitzenteam, aber eines, das in Erinnerung bleibt.
Weitere BVB-News lesen:
feed