Wie Bilal El Khannouss den VfB verzaubert
Von Fabian Küpper

Der Schock bei den VfB-Fans war groß, als der Verein Nick Woltemade kurz vor Transferschluss für bis zu 90 Millionen Euro an Newcastle United verkaufte. Der 23-Jährige hatte schließlich einen kometenhaften Aufstieg hinter sich und war der wichtigste Spieler der Schwaben.
Doch gut einen Monat nach seinem Abschied spricht in Stuttgart kaum noch jemand über Woltemade, das Trikot mit der Nummer elf gehört trotzdem weiterhin zu den Verkaufsschlagern. Für beides verantwortlich: Bilal El Khannouss.
Ruhig und kreativ
Der Marokkaner, der am Deadline Day von Leicester City inklusive einer Kaufpflicht ausgeliehen wurde, ist zusammen mit Ermedin Demirovic der wichtigste Spieler der Stuttgarter Offensive. Während der Bosnier dabei eher für das Toreschießen zuständig ist, ist das Hauptfeld von El Khannouss ein anderes: Er ist für die genialen und überraschenden Momente zuständig. Hier ein überraschender Pass, dort ein angezogenes Dribbling, dabei allerdings stets mit erhobenem Kopf, immer auf der Suche nach dem besser postierten Mitspieler. Er ist ein offensiver Mittelfeldspieler, wie er im Buche steht.
Ist der Marokkaner am Ball, dann zeichnet ihn eine unheimliche Ruhe und Überlegtheit aus. Das sah man auch gegen St. Pauli, als er sein erstes Bundesligator erzielte. Kontrolliert und ohne eine Spur von Hektik schob er den Ball perfekt in die untere Ecke.
Flucht nach vorne
Diese Kreativität und Übersicht drücken sich auch in den Zahlen aus. Beim VfB kreiert El Khannouss pro Spiel 4,0 schusserzeugende Aktionen, mehr als jeder andere Mittelfeldspieler der Schwaben. Gleichzeitig wird deutlich, dass es für El Khannouss im Spiel nur eine Richtung gibt: nach vorne. Pro Partie spielt er laut fbref.com 5,28 sogenannte progressive Pässe. Das sind Zuspiele, die in Richtung des gegnerischen Tores und über mindestens neun Meter gespielt werden. Im Vergleich zu allen anderen offensiven Mittelfeldspielern in den fünf europäischen Top-Ligen liegt er hier im 81. Perzentil, gehört also zu den besten 20 Prozent Europas.
Bei der Dribblingquote sieht es sogar noch besser aus: 53,8 Prozent seiner Dribblings schließt er erfolgreich ab, damit liegt er im 95. Perzentil im europäischen Vergleich. Solch ein Unterschiedsspieler, der mit Pässen wie Dribblings in so einer hohen Frequenz Lücken in gegnerische Verteidigungen reißen konnte, sucht man in der Stuttgarter Offensive abseits von El Khannouss vergebens.
Dabei kommt dem Marokkaner das Pressing-lastige und aggressive Spiel des VfB sehr entgegen. Der 21-Jährige beherrscht dank seiner Zeit in England nicht nur die feine Klinge, sondern ist sich auch für Defensivarbeit nicht zu schade. Mit 2,18 Zweikämpfen pro Spiel, davon 1,22 im mittleren Drittel des Feldes, sortiert er sich bei den offensiven Mittelfeldspielern im 94. bzw. 99. Perzentil ein.
Reflektiert und bodenständig
Dabei agiert der Marokkaner jedoch nie arrogant oder leistet sich Unsportlichkeiten. Vielmehr zeichnet er sich durch eine enorme Bodenständigkeit aus. Gegenüber dem belgischen Portal huma erzählte er einmal: "Wissen Sie, mir hat es nie an etwas gefehlt, ich habe immer alles bekommen, was ich wollte. Aber dann bekommt man plötzlich ein sehr gutes Gehalt und muss klug und vorsichtig sein. Denken Sie nur daran, wie Ronaldinho mit seinem Geld umgegangen ist. Er hat nichts mehr. Er hat alles für Partys und Wetten ausgegeben. Ich kaufe mir manchmal eine teure Jacke und gehe öfter mit Freunden essen, aber ich achte darauf, dass es im Rahmen bleibt."
Solche reflektierten Worte hört man von jungen Profis eher selten, diese Einstellung hat aber auch mit El Khannouss' Werdegang zu tun. Seit er 16 ist, wohnt er alleine, und auch wenn seine Familie ihn immer unterstützt, wisse er, wie er alleine zurecht komme.
Große Zukunft
Mit dieser Einstellung, gepaart mit seinen Fähigkeiten, stehen El Khannouss alle Türen offen. Für die nahe Zukunft heißt sein Zuhause allerdings MHP-Arena. Nach einer schwierigen Saison bei Absteiger Leicester City will er jetzt endlich positive Schlagzeilen produzieren und Erfolge feiern. Und die Wahrscheinlichkeit, dass ihm dieses Vorhaben in Stuttgart gelingt, stehen gut. Mit einem El Khannouss in Top-Form ist für die Schwaben alles möglich.
Von Nick Woltemade spricht dieser Tage zumindest niemand mehr in Stuttgart. Schließlich gibt es jetzt eine neue Nummer elf, die die Fans verzaubert.
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