Stimmungsbericht vom EM-Eröffnungsspiel: Freudentaumel, Frust und Fußballfieber

Die Schweiz ist mit einem 1:2 gegen Norwegen in die EM gestartet. Eine couragierte Leistung und die Stimmung bleiben aber mehr hängen als das Ergebnis. Impressionen aus dem St.Jakob-Park.
Schon jetzt der Moment der EM für die Schweiz: Jubel nach dem Führungstor von Nadine Riesen
Schon jetzt der Moment der EM für die Schweiz: Jubel nach dem Führungstor von Nadine Riesen / Anadolu/GettyImages
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Die wahre Choreographie zum Auftakt dieser Europameisterschaft 2025 war nicht die offizielle Eröffnungszeremonie der UEFA, inszeniert mit glänzenden Stangen, stellenweise aus dem Takt geratenen Tänzerinnen und fahnenschwenkendem Pathos. Die wahre Choreographie spielte sich währenddessen auf den Tribünen ab: Im Takt schwenkten die 34.063 im fast ausverkauften St.Jakob-Park ihre Fächer, um der Hitze zu trotzen, die sich im größten Fußballtempel der Schweiz unter dem tiefen, großen Dach hervorragend entfalten konnte.

Schon zuvor hatten die Schweizer Fans bei einem beeindruckenden Marsch durch die Straßen Basels ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt, den ungewohnten Temperaturen von bis zu 35 Grad tagsüber zu trotzen. Die künstliche Klebrigkeit, die offizielle Turnierzeremonien so an sich haben, wie eine Kugel Himmelblau-Eis, konnte den Enthusiasmus der Schweizer Fans nicht bremsen.

"Eine rote Wand" habe sie beim Einlaufen gesehen, sagte die an diesem Abend auffälligste Schweizerin, Géraldine Reuteler, nach dem Spiel, der 18-jährigen Noemi Ivelj glänzten die Augen. Das EM-Eröffnungsspiel war der beste Beweis für die Power des Heimvorteils. Vor der EM hatte die Nati in vielen Spielen lethargisch und langsam gewirkt, das System saß nicht so richtig, und die jungen Wilden konnten ihre beste Seite nicht präsentieren. Wie ausgewechselt dagegen dieses Schweizer Team in der ersten Halbzeit.

Couragierte Leistung der Schweiz - wie aus dem Lehrbuch zum Fan-Begeistern

In den ersten 45 Minuten lief alles für die Nati. Kapitänin Lia Wälti, die individuell beste Spielerin und Regisseurin, wurde pünktlich wieder fit und von den Zuschauern, von denen viele eine 13 auf dem Rücken trugen, lautstark bejubelt. Natürlich ging der erste Pass an sie, an wen sonst? Wälti demonstrierte ein ums andere Mal ihre Passkünste.

Befeuert von den Rängen, die zwar wenig variabel in ihren Gesängen waren ("Schweizer Nati, allez allez" und "Hopp Schwiiz" mussten als Repertoire reichen), aber dafür engagiert, trieben die Gastgeberinnen ihre Lungen und Beine an ihre Grenzen. Nicht jeder Ball kam an, einige Distanzschüsse flogen in der allgemeinen Nervosität meterweit über den Kasten, oder Flanken gerieten zu weit. Aber dann war da immer eine Spielerin, die so schnell sprintete, dass der Ball doch nicht ins Seitenaus ging, dass der zweite Ball doch gewonnen wurde.

Couragiert auf allen Ebenen war der Schweizer Auftritt, ein Idealtyp davon, wie man die Heimfans bei einem Auftaktmatch begeistert: Stellenweise mit großer Fußballkunst (Sydney Schertenleibs Pass auf Reuteler in der zweiten Hälfte, den kein Ingenieur hätte besser planen können, ein Meisterwerk an Präzision und Spielintelligenz), aber vor allem mit Mut, mit diesem bestimmten Feuer, das sich nur entfachen kann, wenn die schiere Freude, dabeizusein, von den Tribünen auf das Feld prallt und von dort wieder zurück.

Führungstor von Riesen - ein Knäuel des Glücks

Eine starke Last-Minute-Grätsche von Noelle Maritz wurde bejubelt wie ein Traumtor. Die großen Fußballfanatiker sind sie nicht, diese ruhigen Schweizer, aber in der Anfangsphase war da ein Feuer, ein Kribbeln, gekrönt von Nadine Riesens 1:0. Die Schweizerinnen fanden sich in einer Jubeltraube zusammen, als wäre es schon die Nachspielzeit der Verlängerung im EM-Finale, Ersatzspielerinnen und Startelf zusammen in einem Knäuel des Glücks.

Trainerin Pia Sundhage, vor dem Turnier durchaus in die Kritik geraten, war die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Die Schwedin kennt sich mit Heimturnieren aus, sie weiß: Genau das war der emotionale Höhepunkt der EM, der Augenblick, an den sich die Spielerinnen noch lange erinnern werden, die Fans auf den Rängen und auch die vielen Zuschauer vor ihren Bildschirmen - der Marktanteil des Spiels lag bei starken 65,8 Prozent.

Diverses Publikum - aber alle voll dabei

Vielleicht, so wirkte es bis zur Halbzeitpause, war es auch der Schlüsselmoment für eine erfolgreiche EM, der Auftakt für ein kleines Fußballmärchen. Ohne ein wenig Pathos kann man diesen Moment schwer beschreiben, in dem die Nati gegen erneut erschreckend harmlose Norwegerinnen dominierte.

"Peng, Peng, Peng" knallten die Fans bei erfolgreichen Aktionen ihrer Torhüterin, die Kuhglocken läuteten. Dem Publikum war es anzumerken, dass viele nicht zu den regelmäßigen Gästen im Fußballstadion gehören (der Rhythmus beim "Hopp Schwiiz" war doch ausbaufähig, und viele waren mehr mit dem Bau von Papierfliegern beschäftigt als mit dem Anfeuern), aber in dem Moment war das egal.

Die Mittfünfzigerin bei ihrem ersten Fußballspiel, die nur für das Spiel mit Familie aus Norwegen angereist war und vom Finaleinzug ihrer Elf fest überzeugt, der Wälti-Superfan, der FC-Basel-Trikotträger, der mit Frauenfußball zuvor wenig am Hut hatte, der Siebenjährige, der beim Schweizer Führungstor so hoch hüpfte, als wolle er Armand Duplantis' Weltrekorde überbieten - sie alle waren voll dabei.

Die erste Hälfte werden sich die Schweizerinnen im Kopf einrahmen wollen, es sollen die Szenen sein, die die EM prägen. Nach dem Halbzeitpfiff versemmelte sich die Nati mit zwei Defensivpatzern ihre starke Leistung aus Durchgang eins, die Hälfte des Publikums verpasste den norwegischen Doppelschlag, weil sie noch in meterlangen Schlangen für fünf Franken ein Glas Wasser erwerben wollten. Die Quittung für einen seltsam passiven Start in die zweite Hälfte, aber die Schweiz gab sich nicht auf.

Frustrierende Endphase für die Schweiz

Das Feuer lebte nach einem vergebenen Elfer der Norwegerinnen wieder auf, nur um sich nach einem zurückgenommenen Strafstoß für die Schweiz zu verändern, von Euphorie zu Frust, zu einem trotzigen Anfeuern. Frust wegen dem Zeitschinden der Norwegerinnen ab der 60. Minute, wegen der Schiedsrichterin, die dagegen nicht durchgriff, wegen der eigenen zu hektischen Aktionen. Der Freudentaumel verwandelte sich in hitzige Stimmung, passend zu den Temperaturen, und kollektive Verzweifelung bei verpassten Großchancen. Etwas antiklimatisch wirkte das Ende der Partie: Nach dem Spiel war die Luft schnell raus, nur noch an die frische Luft war die Devise der Fans, sodass die Ehrenrunde der Nati etwas enttäuschend wurde.

Das Ergebnis bleibt aber weniger im Gedächtnis als der Moment der Euphorie bei der Führung, und der couragierte Auftritt, der absolute Wille, diese Heim-EM in einen Erfolg zu verwandeln. In der Gruppe A mit Finnland und Island, die in ihrem schwachen Auftaktspiel beide schlagbar wirkten, ist der erste Viertelfinaleinzug bei einem großen Turnier weiterhin drin. Zumindest, wenn die Begeisterung sich wieder so vom Platz auf die Tribünen und zurück überträgt wie an diesem heißen Mittwochabend im Joggeli.


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