Sollten Lennart Karl und Said El Mala zur WM? – Ein Pro und Kontra
Von Fabian Küpper

Als Lennart Karl gegen den FC Brügge zum Dribbling ansetzt, geht ein Raunen durch das Stadion, das sich wenige Sekunden später in Jubel verwandelt. Das Juwel des FC Bayern ließ einem unnachahmlichen Dribbling einen platzierten Schuss ins rechte obere Eck folgen. So krönte er sich mit 17 Jahren und 242 Tagen zum jüngsten deutschen Champions-League-Torschützen aller Zeiten.
In Köln sah man vergangenes Wochenende das gleiche Bild. Said El Mala setzt am linken Strafraumrand zum Dribbling an, zieht in die Mitte und schlenzt den Ball mithilfe der Unterkante der Latte ebenfalls in die obere rechte Ecke.
Längst sind die Rufe nach einer DFB-Nominierung laut geworden, Sky-Reporter Florian Plettenberg forderte nach der Karl-Gala gegen Brügge sogar eine WM-Nominierung für den 17-Jährigen. Aber macht das wirklich Sinn? Ein Pro und Kontra.
Pro: Karl und El Mala bringen frischen Wind
Trotz der zwei Siege gegen Nordirland und Luxemburg ist die DFB-Elf in diesem Jahr von überzeugenden Auftritten weit entfernt. Im Final Four der Nations League setzte es zwei Niederlagen, dazu gab es den blutleeren Auftritt bei der Blamage gegen die Slowakei. Es wird deutlich, dass das Team frischen Wind braucht.
Gerade auf den offensiven Außenpositionen drückt hier der Schuh, die Nationalmannschaft hat aktuell, abgesehen von Florian Wirtz, keinen Spieler im Kader, der für echte Überraschungsmomente sorgen kann. Hier wären El Mala und Karl perfekt: Beide trauen sich viel zu und können jederzeit durch ein Dribbling Lücken in die gegnerische Abwehr reißen und diese in Bewegung bringen.
Kontra: Don’t Believe the Hype
Karl und El Mala sind nicht die ersten Jungstars, denen ein riesiger Hype entgegenschlägt. Ähnliches war vor knapp zwei Jahren bei Paris Brunner zu beobachten, der bei der U17-WM überragte. Auch bei ihm wurde eine DFB-Nominierung gefordert, obwohl er noch nicht einmal ein Bundesligaspiel absolviert hatte.
Heute spielt Brunner bei der AS Monaco, ist von einer Nominierung jedoch meilenweit entfernt. Er ist das jüngste einer langen Reihe mahnender Beispiele, dass man junge Spieler nicht mit Erwartungen. Hoffnungen und Forderungen überladen sollte. Stattdessen sollte man ihnen genug Zeit zur Entwicklung geben und auch Fehler oder kleine Leistungslöcher akzeptieren. Kölns Coach Lukas Kwasniok versucht schließlich nicht ohne Grund, den Hype um El Mala etwas kleinzuhalten.
Pro: Beide sind schon jetzt echte Unterschiedspieler
Es wurde oben bereits angesprochen, Karl und El Mala sind immer für einen Überraschungsmoment gut. Und mit ihren Toren gegen Brügge respektive Augsburg und Hoffenheim haben beide auch bereits gezeigt, dass sie als Unterschiedspieler glänzen können.
Dieser Typ Spieler fehlt dem DFB auf Außen nahezu komplett. Es ist kein Wunder, dass in Bestbesetzung Florian Wirtz auf die linke Offensivseite ausweichen muss, obwohl er lieber im Zentrum spielt. Die Mitte ist dann nämlich für Jamal Musiala reserviert.
Einzig Serge Gnabry ist in seiner aktuellen Form ein Flügelspieler, der im DFB-Kader das Prädikat Unterschiedspieler verdient. Doch der 30-Jährige ist verletzungsanfällig und zudem nicht so dynamisch wie das Youngster-Duo. Zumal Gnabry bei den Bayern ebenfalls im Zentrum ran darf. Eine Rolle, die ihm mittlerweile besser zu liegen scheint.
Kontra: Die Erfahrung
Die WM ist für einen Fußballer das größte, was es gibt. Jedes Kind träumt davon, einmal dort zu spielen. Jede Weltmeisterschaft ist ein globales Ereignis, bei der schon einige Spieler zu Stars reiften und ihren Durchbruch feierten.
Aber: Gerade in der K.o.-Phase wird ein Faktor immer wichtiger: Erfahrung. Die DFB-Elf kann davon ein Lied singen, schließlich schied sie zweimal in Folge bitter im Halbfinale aus, ehe 2014 endlich der große Wurf gelang.
El Mala und Karl spielen gerade ihre erste Saison überhaupt in der Bundesliga. Zwar haben sie schon unter Beweis gestellt, dass sie mit dem Niveau in der deutschen Beletage problemlos mithalten können, eine WM ist aber nochmal ein anderes Kaliber. Keiner von beiden war bisher in solch einer Drucksituation wie sie bei einem WM-K.o.-Spiel vorherrscht. Hier kann schließlich jedes unbedachte Dribbling das Aus bedeuten. Das müssen beide erst noch lernen.
Zumal die taktische Komponente auf Nationalebene noch einmal deutlich an Wichtigkeit gewinnt. Gerade in Spielen gegen Top-Nationen wie Frankreich oder Spanien sind taktische Vorgaben enorm wichtig. Mit ihren instinktiven Dribblings setzen Karl und El Mala zwar immer wieder Überraschungsmomente, können damit aber auch das taktische Gleichgewicht gefährden und die Gegner zum kontern einladen.
Pro: Schwerer ausrechenbar
Schaut man sich das deutsche Offensivspiel in den letzten Partien an, dann wird deutlich: Das Team ist zu einfach ausrechenbar, zu selten kommt die Mannschaft wirklich ins Tempo, während Nick Woltemade häufig isoliert zwischen den Ketten steht.
Häufig ist es ein Handballspiel, das die Deutschen spielen, der Ball wandert von einer Seite auf die andere. Eine zündende Idee haben meistens nur Florian Wirtz oder Joshua Kimmich, ansonsten sah es streckenweise sehr ideenlos aus.
Die beiden Youngstars schaffen hier Abhilfe. Bei Karl und El Mala weiß der Gegenspieler nie, was als nächstes kommt: Dribbling, Pass oder doch Tempoverschärfung? Diese Eigenschaft alleine kann sie für das Spiel der DFB-Elf sehr wertvoll machen. Ebenfalls wichtig: Beide lieben das Tempo, dieses vermisste man bei der DFB-Elf in den letzten Partien häufig.
Kontra: Rollenverständnis
Dieser Punkt ist insbesondere bei El Mala wichtig. Der 19-Jährige ist zwar sehr bodenständig und geerdet, allerdings spielt er in Köln nicht mit echten Weltstars zusammen, wie es Karl in München tut. Daher könnte es gut sein, dass sich der Flügelstürmer erstmal an diese neue Situation und seine neue Rolle gewöhnen muss.
Zudem liebt er das Dribbling und übersieht von Zeit zu Zeit den besser postierten Mitspieler. Es ist fraglich, wie Spieler wie Wirtz, Kimmich oder Musiala damit umgehen, wenn sich das häuft – gerade in einem potenziell entscheidenden Spiel.
Zudem besteht bei beiden Spielern die Gefahr, dass sich der Fokus aufgrund des Hypes zu sehr auf sie verschiebt. Medien würden sich viel auf das Duo fokussieren, beide wären Dauerthema in der Berichterstattung. Das kann den Fokus im Mannschaftsgefüge stören und vom eigentlichen sportlichen Ziel ablenken.
Pro: Wichtiges Signal für den Umbruch
Die Rufe nach einem Umbruch in der Nationalelf sind nicht neu. Schon länger fordern Fans, dass Nagelsmann der neuen Generation eine Chance gibt. Dieses Thema ist aktuell beispielsweise auch bei Noah Atubolu akut, den viele gerne schon jetzt im DFB-Tor sehen würden, schließlich gilt er als kommende Nummer eins.
Mit einer WM-Nominierung von Karl und/oder El Mala würde der Bundestrainer hier ein starkes und vor allem wichtiges Zeichen in Richtung Aufbruch und Umbruch setzen. Beide wären der nächste Schritt der Verjüngungskur und würden die ohnehin schon junge Offensive um Woltemade, Wirtz und Musiala weiter verstärken.
Kontra: Ablenkung vom sportlichen Ziel
Wenn Nagelsmann wirklich einen oder beide zum Turnier in den USA, Kanada und Mexiko mitnimmt, dann wird jede Kamera auf sie gerichtet sein, jeder TV-Beitrag sich auf sie konzentrieren, ebenso wie jeder Post auf Social Media.
Für das Trainerteam wäre das gefährlich, schließlich ist es in so einer Umgebung dann schwierig sich auf die gemeinsame Aufgabe zu fokussieren, die da heißt: WM-Titel. Doch wenn sich alles nur um Karl und El Mala dreht, kann das die kollektive Konzentration stören, da es nur noch um mögliche Startelfeinsätze oder WM-Minuten für die beiden geht. Das wäre dann selbst für Spieler wie Joshua Kimmich eine Herausforderung.
Pro: Leistungsprinzip wird gestärkt
Julian Nagelsmann kündigte bei seinem Amtsantritt an, dass er nicht nach Namen sondern nach Leistung nominieren wird. Von jener Maxime ist er in diesem Jahr etwas abgerückt und in die Muster von Joachim Löw zurückgefallen.
Spielen El Mala und Karl weiterhin so stark auf, dann muss Nagelsmann sie eigentlich nominieren, wenn er das Leistungsprinzip nicht ad absurdum führen will. Schließlich gibt es aktuell keine anderen Flügelstürmer in Deutschland, die so gut in Form sind wie der 19- und der 17-Jährige. Daher wäre eine Nominierung nur folgerichtig, wenn nicht zur WM, dann aber auf jeden Fall zu den nächsten Qualispielen im November.
Spiele | Minuten | Tore | Vorlagen | |
|---|---|---|---|---|
Lennart Karl | 10 | 343 | 1 | 1 |
Said El Mala | 8 | 260 | 3 | 1 |
Kontra: Leistungsschwankungen
Junge Spieler haben häufig große Leistungsschwankungen in ihrem Spiel. Das ist in diesem Alter völlig normal. Bei einer WM ist jedoch die Konstanz entscheidend. Dort kann man sich kein schwaches Spiel erlauben.
Gleichzeitig sind beide aktuell noch dabei, ihr Spiel wirklich zu stabilisieren. Dazu gehören auch elementare Dinge wie Defensivarbeit, Entscheidungsfindung oder Passspiel unter Druck. All das braucht Entwicklungszeit, die sie bei einer WM jedoch nicht hätten.
Fazit: Sollte Nagelsmann El Mala und/oder Karl mit zur WM nehmen?
Es ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite würde dem DFB-Team ein unbekümmerter Instinktfußballer wie Karl oder El Mala sehr gut zu Gesicht stehen – zu groß ist die fehlende Kreativität und das nicht vorhandene Tempo auf den Flügelpositionen.
Zudem würde Nagelsmann mit einer Nominierung das Leistungsprinzip weiter stärken, immer vorausgesetzt, dass beide ihre aktuelle Form annähernd halten können. Und außerdem würde man endlich den so wichtigen Umbruch vorantreiben und ein Signal an andere junge Spieler und Talente senden.
Aber: Wir reden hier von einer WM. Hier kommt es auf Konstanz an, auf enormes taktisches Verständnis. Hier herrscht enormer physischer und psychischer Druck. Jeder Fehler kann das Aus bedeuten. Solch eine Situation kennen beide noch nicht.
Dieser Fakt und die Tatsache, dass sich die Berichterstattung vermutlich sehr auf El Mala und/oder Karl konzentrieren würde und somit die sportliche Konzentration stören könnte, sind allerdings auch gewichtige Gegenargumente für eine Nominierung.
Nichtsdestotrotz sollte Nagelsmann einen der beiden mit einer WM-Nominierung belohnen, immer vorausgesetzt, sie können ihre Form halten. Denn ein bisschen Unbekümmertheit hat noch keinem Team geschadet, zumal das DFB-Team Tempo und Überraschungsmomente über Außen sehr gut gebrauchen kann.
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