Zwischen Pokaltriumph und Aufstiegskampf: Hamburger Hoffnungen auf Kieler Ablenkungen
Von Guido Müller
Die Kieler Sportvereinigung Holstein von 1900 e.V., so der offizielle Name des Klubs, steht vor den größten sportlichen Erfolgen der Vereinsgeschichte seit 109 Jahren. Damals, im Jahr 1912, holten sich die Störche sogar die deutsche Meisterschaft. Fast elf Jahrzehnte später warten ein möglicher Einzug ins Pokal-Endspiel von Berlin und der erste Aufstieg in die Fußball-Bundesliga.
Doch genau diese für den Klub eher ungewohnte Doppel-Belastung in der entscheidenden Phase der Saison könnte sich am Ende als kontraproduktiv erweisen.
Darauf beruhen mittlerweile auch die Rest-Hoffnungen des Hamburger SV, sich in den verbleibenden vier Liga-Spielen (die Kieler haben noch zwei mehr auszutragen) vielleicht doch noch an den Küstenstädtern vorbeizuschieben. Fakt ist: Gewinnen die Kieler alle ihre sechs verbleibenden Punktspiele, können sie von den Rothosen nicht mehr eingeholt werden.
Bringt die DFB-Pokal-Aufgabe in Dortmund die Kieler vom Weg ab?
Doch zwischen den Liga-Aufgaben wartet nun mal die Ablenkung im Pokal. Und natürlich wird ein Spiel, wie es sie am kommenden Samstag in Dortmund (20.30 Uhr) erwartet, etwas mit den Kieler Spielern machen.
Selbst wenn ein jeder davon überzeugt ist, diese Ausgangslage eher als Riesen-Stimulanz zu empfinden. Genau dies kann auch schnell ins Gegenteil umschlagen (Stichwort: Übermotivation).
Dennoch: Wie viele andere in diesem Land traue ich den Kielern im DFB-Pokalhalbfinale gegen den BVB durchaus eine weitere Überraschung zu. Dieses Vertrauen haben sich die Störche durch ihre bislang formidable Performance im K.o.-Wettbewerb mehr als verdient.
Wer die Bayern aus dem Cup schmeißen kann (und das nicht etwa mit Glück, sondern verdientermaßen), braucht sich vor einer Borussia natürlich nicht zu fürchten. Zumal die Favoriten-Rolle ja abermals beim branchenhöheren Gegner liegen wird.
Somit haben die Kieler am Samstag eigentlich nichts zu verlieren. Doch gehen wir einfach mal von einer Niederlage im Signal Iduna-Park aus. Die Frage, die sich im Anschluss stellen würde, wäre: Wie verdaut es die Mannschaft, den ersten Final-Einzug der Vereinsgeschichte kurz vor Ultimo doch noch verpasst zu haben?
Drei Tage nach dem Pokal-Halbfinale wartet der zuletzt starke SV Sandhausen
Viel Zeit zur Verdauung hätten sie in diesem Fall nicht. Schon drei Tage nach dem Pokal-Halbfinale wartet der SV Sandhausen, der die Favoriten zuletzt entweder bezwang (HSV) oder zumindest schwer ins Straucheln brachte (Greuther Fürth).
Selbst noch mitten im Abstiegskampf steckend, haben die Sandhäuser jedenfalls absolut gar nichts zu verschenken.
Und auch wenn wir - der Fantasie mal freien Lauf lassend - von einem Weiterkommen der Kieler im Pokal ausgehen würden: Die Situation würde sich dann für die Kieler psychologisch eher noch zuspitzen.
Man kann sich ausmalen, wieviele Fragen (nicht nur der Kieler Journaille) die Verantwortlichen und Spieler zwischen Finaleinzug und dem großen Endspiel von Berlin (am 13. Mai) beantworten müssten. Es gäbe dann ausreichend Potential, um sich von den Geschicken in der Liga ablenken zu lassen.
Lenken Titel-Träume und europäische Perspektiven die Kieler vom Aufstiegskampf ab?
Aber wer würde es den Spielern verdenken können, vor lauter Pokal-Träumen den Fokus auf den Aufstieg zu verlieren? Man stelle sich zusätzlich nur mal vor, dass vielleicht sogar der SV Werder das Finale erreicht - ohne bis dahin in der Liga gerettet zu sein.
Eine klare Favoritenrolle könnte ich bei einem Finale zwischen Störchen und Werderanern ehrlich gesagt nicht ausmachen.
Noch weitergedacht: Die KSV Holstein würde bei einem durchaus möglichen Final-Triumph gegen den schwächeren zweier möglicher Final-Gegner plötzlich zu einem deutschen Europa-League-Starter 2021/22 mutieren.
Diesen mit dem schwarz-weiß-blauen Herzen geschriebenen Ansichten würden Kieler Fans wohl nur mit einem müden Lächeln begegnen. Und mir entgegnen, dass ich gerade sehr exzessiv das Pfeifen im Walde bemühe - und sehr viel Konjunktiv.
Dem hätte ich wiederum nichts entgegenzusetzen. Aber die Hoffnung stirbt für einen jeden Fan ja bekanntlich erst, wenn mathematisch nichts mehr geht. Davon aber sind wir auch zu diesem Zeitpunkt noch ein Stück weit entfernt. Die KSV in Kiel genauso wie der HSV in Hamburg.