Fast wichtiger als ein Titel: Der BVB muss wieder Geduld lernen

Unruhe und Hektik sind beim BVB lästige Tradition geworden
Unruhe und Hektik sind beim BVB lästige Tradition geworden / INA FASSBENDER/Getty Images
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Der BVB will in der neuen Saison erneut die Deutsche Meisterschaft und damit den FC Bayern und RB Leipzig angreifen. Dieses Vorhaben geht die Borussia wieder mal mit einem neuen Trainer und einer kaum gestillten Titelgier an. Beinahe wichtiger als Silberware sollte aber das Streben nach Geduld sein.


Ja, Borussia Dortmund hat in der abgelaufenen Spielzeit den DFB-Pokal gewonnen. Trotzdem lief es bei der Borussia nicht rund und der Titel am Saisonende war eher Versöhnung, denn Befriedigung. Seit einigen Jahren wirkt der BVB gehetzt, getrieben und unzufrieden. Unter dem sechsten Trainer seit 2014 sollten die Schwarz-Gelben Konstanz über alles andere stellen.

Was auch bedeutet: die Meisterschaft sollte zweitrangig sein, allein deshalb, da diese Erwartung so hoch hängt, dass das Streben danach in Dortmund beinahe toxisch geworden ist. Den Trainer und die Mannschaft an der Schale zu messen, tat dem BVB in den vergangenen Jahren nicht gut. Statt Geduld und Konstanz übte sich die Borussia in Hetze und Stress. Der entstandene Druck forderte Opfer (Peter Bosz, Lucien Favre) und extreme Leistungsschwankungen (nahezu jeder Spieler).

Der BVB stellt sich mit den eigenen Ansprüchen immer wieder selbst ein Bein

Die innere Ruhe ist dem Verein abhanden gekommen. Eine Niederlage konnte in den vergangenen Jahren schnell dafür sorgen, dass der Baum in Dortmund brannte und alles infrage gestellt wurde. Eine längere Durststrecke bedeutete fast immer den K.o. für den Cheftrainer und die völlige Denunzierung der Mannschaft. Wille, Moral und Qualität wurden den Schwarz-Gelben abgeschrieben, sowohl medial, als auch mannschaftsintern.

Die Ansprüche, denen der BVB gerecht werden wollte, gelten sonst nur in Manchester, München, Madrid, Barcelona oder Paris. Da kann Borussia Dortmund nicht mithalten und es zu versuchen, ist genau das Hindernis, das dem Verein in den vergangenen Spielzeiten im Weg stand. Statt Langzeitprojekten setzte der BVB auf den schnellen Erfolg - und scheiterte grandios. Den Neuanfang unter Marco Rose könnte der BVB nun aber tatsächlich als Neuanfang verstehen und die eigenen Ansprüche korrigieren.

Vor nicht allzu langer Zeit war Borussia Dortmund dafür bekannt, Spieler, Mannschaften und Systeme behutsam und geduldig aufzubauen und zu etablieren. Jürgen Klopp war ein Meister dieses Fachs und auch Thomas Tuchel beherrschte diese Kunst. Mit dem unrühmlichen Abschied von Tuchel kam allerdings Hektik in den Verein: Peter Bosz, der beim BVB einen gnadenlosen Offensiv-Fußball etablieren wollte, wurde nach wenigen Monaten und einigen Rückschlägen bereits den Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Auch Lucien Favre ereilte ein ähnliches Schicksal, wenn auch sein Interims-Nachfolger Edin Terzic tolle Erfolge erzielte.

Und doch sollte der BVB gewarnt sein. Setzt man Marco Rose der gleichen Hektik aus, gibt es eigentlich nur zwei Ergebnisse: Erfolg oder Scheitern, Schwarz und Weiß. Konstanz, die in Dortmund dazu geführt hat, dass sich der Verein an der nationalen wie auch internationalen Spitze festsetzen konnte, erfordert Geduld - und vielleicht auch mal über zwei, drei erfolglosere Jahre. Für den schnellen Erfolg ist die Konkurrenz zu stark und der BVB zu instabil; das muss auch mal so festgestellt werden dürfen.

Marco Rose
Marco Rose ist beim BVB vor allem eines zu wünschen: Zeit / Frederic Scheidemann/Getty Images

Was also spricht dagegen, einen Gang zurückzuschalten und eine Mannschaft und Taktiken zu entwickeln, die auf Sicht in jedem Wettbewerb um den Titel mitspielen kann? Leider ganz viel. Das Abschiedsjahr von Erling Haaland und Michael Zorc zum Beispiel: wie schön wäre doch ein erster bzw. letzter Meistertitel für Haaland und Zorc. Und: wie viel besser werden die Chancen ohne das Duo? Ähnliches gilt für die beiden Leitwölfe Marco Reus und Mats Hummels, die vielleicht nicht in ihr letztes BVB-Jahr gehen, aber auch so langsam in den Winter ihrer Karriere eintreten. Zudem hat die Corona-Krise immens viel Geld gekostet; der BVB braucht ein erfolgreiches Jahr, um Ablösesummen zu generieren und Erfolgsprämien einzustreichen.

Für mich sind das allerdings nur vorgeschobene Gründe. Ich glaube, dass sich der BVB so verzweifelt an der Vorstellung und Erwartung, Meister zu werden und den klopp'schen Platz an der Sonne wiederzuerobern, festgebissen hat, dass die Geduld verloren gegangen ist, einen Gang herunterzuschalten. Ausgehend von dieser These sehne ich mir die verlorengegangene Konstanz und Ruhe in Dortmund umso mehr zurück; viel mehr noch, als einen Meistertitel, so schön das auch wäre.