Thomas Müller wird 31! Der überdurchschnittliche Durchschnittsfußballer

DeFodi Images/Getty Images
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Er heißt wie der Durchschnitt. Er sieht aus wie der Durchschnitt. Er benimmt sich wie der Durchschnitt. Ja, selbst fußballerisch ist Thomas Müller irgendwie Durchschnitt. Und gleichzeitig viele Andere überragend. Als solcher Widerspruch in sich feiert der Bayern-Profi heute seinen 31. Geburtstag. Auch von dieser Stelle: Herzlichen Glückwunsch.

Vor einiger Zeit sah ich eine (sehenswerte) Dokumentation über deutsche Bürger, die eines gemein hatten: sie hießen alle Thomas Müller. Insgesamt soll es um die 50.000 Deutschen mit diesem Namen geben. Der Name steht qua seiner großen Zahl somit für das Durchschnittliche in der deutschen Bevölkerung, für das allgemeingültige, für das sich wie ein roter Faden durch die Einwohner ziehende. Müller. Und Thomas. Zwei Platzhalternamen, die für Deutschland stehen, wie John Doe für Amerika (oder wahlweise England) oder Pepe Pérez für Spanien. Wahrscheinlich hat jedes Land dieser Erde "seinen" Thomas Müller.

Das kuriose ist: der Fußballer Thomas Müller war und ist alles andere als durchschnittlich. Obwohl er es von der Summe seiner fußballerischen Primärfähigkeiten eigentlich sein müsste. Da ist er wieder, der Widerspruch. Halten wir mal fest: er kann nicht wirklich gut dribbeln. Er kann auch nicht gut mit sattem Vollspannschuss schießen. Er ist nicht überragend schnell (aber auch nicht langsam). Er selber hat mal gesagt: "Ich kann fast nichts richtig gut im Fußball, aber alles ein bisschen."

Van Gaal gab Müller das Vertrauen

Wenn denn am Ende so ein Fußballer dabei rauskommt - um so besser. Dribbeln? Braucht man gar nicht zu können, wenn man sich einer Schlange gleich an seinen Gegnern quasi vorbeiwindet. Vollspann? Sowieso überschätzt. Ein bisschen weniger Bumms bei gleichzeitig erhöhter Kontrolle (Innenrist ist das Stichwort!) im Moment des Schusses führt dich auch zum Torerfolg. Und Kategorien wie "schnell" oder "langsam" verlieren sowieso ihre Bedeutung, wenn man einem Spieler gegenüber steht, der nicht umsonst "Raumdeuter" genannt wird. Biste langsamer, musste halt etwas früher loslaufen. Ein Spieler wie Müller musste das gar nicht erst lernen. Er hatte es im Gefühl. So wie Louis van Gaal im Gefühl hatte, ihn immer spielen lassen zu müssen.

Im Grunde genommen hat van Gaal Müller in die Nationalmannschaft gehievt. Nicht Löw oder dessen damaliger Assistent (ein gewisser Hansi Flick). Van Gaal sorgte dafür, dass der spinnenbeinige, weder als athletisch noch als pyknisch, sondern (Kretschmer zufolge) als asthenisch zu bezeichnende Teenager schon in seiner Debütsaison (2009/10) permanent im großen Fokus stand. Und Müller wusste diese Bühnen zu nutzen. Das erste Bundesliga-Tor seiner Karriere? Natürlich beim Erzrivalen aus Dortmund. Und weil man auch in Bayern auf einem Bein schlecht steht, legte er im selben Spiel gleich noch eins drauf. Das erste Champions League-Spiel? Natürlich auch mit einem Doppelpack gekrönt. Damals, in Haifa.

Und dann war er im Juni 2010 auf einmal Nationalspieler. Erlebte sein erstes A-Länderspiel über die vollen neunzig Minuten beim ersten WM-Gruppenspiel gegen Australien. Beim 4:0-Sieg gelingen ihm ein Tor und ein Assist. Wie hätte es anders sein sollen? Im weiteren Verlauf des Turniers in Südafrika spielte sich Müller derart in den Vordergrund, dass ihn am Ende des Turniers die ganze Welt kannte. Maradona eingeschlossen. Mit fünf Treffern wurde er nebenbei auch noch Torschützenkönig. Nur im Halbfinale musste er wegen einer Gelbsperre zuschauen. Ich habe heute noch die Erleichterung meiner spanischen Kollegen vor Augen, als klar war, dass Müller (der gerade Argentinien mit einem Tor und einem Pre-Assist erledigt hatte) gegen sie nicht mit von der Partie sein würde.

Das Halbfinale holte Müller dann vier Jahre später nach. Ihr wisst schon: 7:1, und so. Und das 2010 kurz vor ultimo verpasste WM-Finale ebenso. Und wer Müller kannte, wusste schon damals: der verliert kein Finale. Darauf ist er gar nicht ausgelegt. Und zwar auch deswegen, weil er sich einfach nicht so einen Kopf macht. Von Messi und Ronaldo (dem Brasilianer) wissen wir, dass sie vor wichtigen Spielen gerne mal ihren Magen über den Mund entleeren. Einem robusten Naturburschen wie Müller sind derartige Reaktionen wohl eher fremd. Müller geht mit Spaß und einer gewissen Portion Selbstironie an die Sache. Spielentscheidendes kam in jener strahlenden Nacht von Rio zwar nicht. Aber vieles kleine oder vorbereitende. Eben ganz im Stil eines Thomas Müller.

Auch die Ausbootung aus dem DFB-Tross hat dem Urbayern nicht das Lächeln aus seinem Gesicht zaubern können. Läuft seitdem ja auch, für ihn und seinen Klub. Und falls Löw bis zum Juni 2021 doch noch dramatischerweise die Spieler ausgehen sollten, kann man sich ebenfalls fest darauf verlassen, dass Müller nicht die beleidigte Leberwurst oder die sich bitten lassende Diva spielen würde, sondern dem Ruf des Adlers folgen würde. Eben weil er sich nicht als was Besonderes ansieht. Sondern als ganz normalen Menschen. Mit einem ganz normalen Namen. Doch genau das macht ihn so besonders. Oder, wie sein früherer Chef Jupp Heynckes es kürzlich im DFL-Magazin (via goal.com) formulierte, zum "außergewöhnlichsten Spieler der deutschen Fußballgeschichte".