Konstanz oder erneuter Trainer-Wechsel? Die schwierige Entscheidung des HSV

Quo vadis, Dieter Hecking?
Quo vadis, Dieter Hecking? / DeFodi Images/Getty Images
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Ob sich Dieter Hecking darüber freuen kann? Im Gegensatz zu seinen vier Vorgängern auf der Bank des HSV kann der 55-Jährige vorweisen, eine komplette Saison den Dino trainiert zu haben. Zuletzt gelang das Bruno Labbadia in der Saison 2015/16. Doch angesichts der drohenden neuerlichen Totalpleite, Verpassen des Relegationsplatzes inklusive, könnte Heckings erste Saison im Volkspark auch schon seine letzte gewesen sein.

Denn so zuverlässig der Klub in den letzten Jahren seine Saisonziele verpasst hat, so sicher ist jedesmal auch der Ruf eines Teils der Fans (und auch der hiesigen Medien) nach einem neuen Mann auf der Kommandobrücke.

Hecking würde auch in der 2. Liga weitermachen, Boldt hält sich (noch) bedeckt

Die beiden Parteien haben diesbezüglich schon zum Teil ihre Absichten öffentlich kundgetan. Für Hecking "spricht nichts dagegen, hier auch in der 2. Liga weiterzumachen". Sportvorstand Jonas Boldt nahm diese, schon aus dem Jahresanfang stammende Aussage seines Trainers mit der in diesem Business üblichen Zurückhaltung auf. Hecking, so Boldt, sei der erste Ansprechpartner. Was einer Non-Aussage gleichkommt: denn auch für die Kommunikation einer Trennung wäre Hecking zwangsläufig der erste Ansprechpartner.

Ganz klar: so lange die mathematische Möglichkeit besteht, die Saison - wider Erwarten - doch noch zu einem Happy End zu bringen, wird es keine Entscheidung geben. Am kommenden Sonntag könnte Heckings Weg in Hamburg aber bereits beendet sein. Ich selbst hätte mir dieses Szenario im Spätsommer letzten Jahres nicht vorstellen können. Zu überzeugend (wenn auch nicht immer fehlerfrei) agierte die Truppe, schlug den VfB Stuttgart im absoluten Spitzenspiel mit 6:2 (wobei das Ergebnis nicht den Spielverlauf widerspiegelte). Es war eine Aufwärtsentwicklung erkennbar, und nichts deutete auf den abermaligen Leistungsabsturz im letzten Drittel der Saison hin.

Der aber kam. Genauso wie im Vorjahr. Und ja, natürlich kann Hecking nicht selbst die Großchancen in Tore umwandeln. Oder die Bälle hinten verteidigen. So wie es auch Gisdol, Hollerbach, Titz und Wolf nicht konnten. Und genau deshalb könnte man jetzt auch sagen: es liegt halt nicht am Trainer. Achtzehn (!) haben es in den letzten zehn Jahren probiert. Jetzt den Mechanismus wiederzubeleben, den jeweiligen Trainer bei Nicht-Erreichen der Ziele sofort wieder auszutauschen, könnte als Festhalten am Dauerfehler der letzten Jahre (oder schon Jahrzehnte) interpretiert werden. Doch kann man auch schlecht einen ganzen Kader (oder die Hälfte davon) mal ebenso austauschen. Der Trainer bleibt natürlich immer das schwächste Glied in der Kette.

Zudem hat auch Hecking selbst mit einigen unglücklichen Aussagen Zweifel daran gestreut, ob er dauerhaft tatsächlich der richtige Mann für den HSV ist. Dünnhäutig und wenig einsichtig äußerte er sich im Herbst letzten Jahres bezüglich der wachsenden Kritik am Spiel seiner Mannschaft. Beklagte die Schwarz-Weiß-Malerei der lokalen Presse und echauffierte sich über diejenigen, die "mit 50 Kilo Übergewicht vorm Computer hocken" und sich erdreistet hatten, ihre Meinung zum stetig schlechter werdenden Spiel der Rothosen zu äußern.

Mit den gegebenen Möglichkeiten hätte Hecking mehr herausholen müssen

Fakt ist auch, dass Hecking während seiner Zeit beim HSV mit einem für Zweitligaverhältnisse sehr gut aufgestellten Kader arbeiten konnte. Der im Winter sogar nochmal in der Breite verbessert wurde. Wie es das Hamburg-Journal zu Anfang dieser Woche beschrieb: wenn ein solcher Rennwagen stets vorzeitig das Rennen aufgeben muss, ist entweder der Fahrer nicht geeignet - oder der Mechaniker.

Dass der Fahrer (in dem Fall die Mannschaft) vor allem ein psychologisches Problem hat, kann spätestens seit den letzten Minuten von Heidenheim wohl keiner mehr in Abrede stellen. Doch schon zuvor war selbst in meinem heimischen Wohnzimmer in Hamburg spürbar, dass die Nerven der Spieler zum Reißen angespannt waren. Anders ist es nicht zu erklären, dass neun Minuten nach der Führung einige Spieler (Dudziak, van Drongelen) sich bei einer harmlosen Freistoßentscheidung beinahe zu Tätlichkeiten hinreißen ließen. Und dann das panische Geschreie in der Nachspielzeit.

Genau dafür aber zeichnet ein Trainer (bildlich gesprochen also der Mechaniker) verantwortlich. Seiner Mannschaft Zuversicht zu vermitteln - ohne sie dabei durch zu großes Loben einzulullen. Sie in Spannung zu halten - ohne dabei zu überdrehen. Das ist der Spagat, den ein jeder Trainer bewerkstelligen muss. Dass dies Hecking ganz offenbar nicht gelungen ist, liefert seinen Kritikern jetzt alle notwendigen Argumente.

Trainerwechsel - keine Ideallösung aber womöglich das kleinere Übel

Auch ich tendiere mittlerweile zu der Meinung, dass sich Heckings Methoden abgenutzt haben. Andererseits bin ich mir auch darüber im Klaren, dass ein erneuter Richtungswechsel, ein neuerlicher Chef, mit eigenen Ideen und neuen Ansätzen, wieder Zeitverlust bedeutet. Wieder muss das Personal angepasst werden, erneut würde ein Trainer mit Spielern zusammenarbeiten, deren Verpflichtung er nicht zu verantworten hat. Und der Teufelskreis, aus dem man mit Hecking eigentlich herauskommen wollte, würde sich wieder schließen. Doch im entscheidenden Moment den zugeworfenen Rettungsring nicht zu ergreifen, könnte wiederum das sichere Ertrinken (um im Bild zu bleiben) bedeuten.

Wenn die prekäre Lage des Klubs, den ein drittes Jahr im Unterhaus spürbar schmerzen würde, keine tiefgreifende Analyse und ausführliches Nachdenken erfordern würde, könnte man fast geneigt sein, die Münze zu werfen. Zahl - Hecking bleibt, Kopf - Hecking geht. Für beide Szenarien gäbe es bei längerer Überlegung sicherlich Argumente für und wider. Aber beide Szenarien gleichzeitig sind nicht möglich. Der HSV muss sich am Ende entscheiden. Schon am kommenden Sonntag könnte es soweit sein.