Interview: Die Arbeitswelt eines DAZN-Kommentators

So läuft der Beruf des DAZN-Kommentators ab
So läuft der Beruf des DAZN-Kommentators ab / Soccrates Images/Getty Images
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Das Hobby zum Beruf machen - möchte doch jeder, oder nicht? Tom Kirsten hat es geschafft. Seit 2018 ist er als Redakteur Bundesliga und Kommentator Fußball/Darts bei DAZN tätig. Im Gespräch mit 90min gibt der 27-Jährige spannende Eindrücke in seine Arbeitswelt.


"Der hat doch keine Ahnung. Was labert er da für einen Unfug? Weiß der überhaupt, wie man Fußball schreibt?" Freche Ausdrücke und Konfrontationen gegenüber Kommentatoren sind keine Seltenheit. Kritik hagelt es häufig, gelobt wird nur selten. Viele Fußball-Fans avancieren während des Spiels zu unerträglichen Besserwissern. Liegt die eigene Mannschaft zurück, so nervt häufig nicht nur der Schiedsrichter, sondern auch der Mann oder die Frau am Mikrofon.

Dabei sind es gerade die Kommentatoren und Moderatoren, die das Sporterlebnis im heimischen Wohnzimmer erlebbar machen. Die es mit Fakten untermauern, kritisch analysieren und bewerten sowie greif- und diskutierbar machen. Tom Kirsten etwa geht es dabei keineswegs um besonders "reißerische Aussagen", sondern einzig und allein um den Sport an sich.

"Uns geht es nicht nur um die besonders große Schlagzeile. Wir konzentrieren uns auf den Sport."

Tom Kirsten

Heute La Liga, morgen Europa League, nächste Woche englische Pokal-Fights. Das Repertoire eines Kommentators ist ebenso vielfältig wie seine sonstige Arbeitswoche. Langweilig wird es nie. Und das Beste: Prinzipiell jeder kann es auf den Kommentatoren-Sessel schaffen. Wie das gelingt und wie eine typisch untypische Arbeitswoche aussieht, erzählt Kirsten im folgenden Interview.


Interview mit Tom Kirsten

Welche 5 Live-Spiele hast du zuletzt kommentiert? Kommentierst du die Spiele aus dem Studio oder auch mal vor Ort aus dem Stadion?

Kirsten: Die letzten Fußballspiele live waren Cadiz – Real Madrid (La Liga), Slavia Prag – Glasgow Rangers (Europa League, Hin- und Rückspiel), Tranmere Rovers – Sunderland (EFL Trophy) und Swansea City – Manchester City (FA Cup). Dazu kommen zwei Abende in der Premier League of Darts. Du merkst also schon, es variiert sehr stark zwischen den Ligen (und auch Sportarten). Aufgrund der aktuellen Situation werden nahezu alle Events aus dem Studio ,oder wie wir sagen "Box", in München-Ismaning kommentiert. Aus dem Stadion habe ich noch nie kommentiert – das wäre auf jeden Fall ein Traum, der in Erfüllung gehen würde.

Welche Liga kommentierst du am liebsten?

Kirsten: Schwer zu sagen. Ich glaube, es ist genau das, was DAZN auch auszeichnet: Der Mix macht's. Am wohlsten fühle ich mich in der Bundesliga und 2. Bundesliga – da kenne ich mich am besten aus, zumal ich neben dem Kommentieren (auch Moderieren) redaktionell im Bundesliga-Team arbeite. Ansonsten mag ich den englischen Fußball sehr.

Welches Stadion hat dir bisher am meisten den Atem verschlagen?

Kirsten: Ich würde nicht sagen, dass es DAS eine Stadion gibt. Als Fußballfan mag ich vor allem die älteren Stadien mit Tradition, aus denen regelmäßig ein Hexenkessel wird. Außerdem möchte ich möglichst nah am Spiel sein, also auch am Spielfeld. Da fallen mir natürlich die englischen Stadien ein (z.B. das alte Craven Cottage in Fulham/London). Das beruflich atemberaubendste Erlebnis war wahrscheinlich das Hamburger Stadtderby 2019 am Millerntor auf St. Pauli.

Wie ist das, als Fußball-Kommentator eine Vorliebe für einen Klub zu haben? Glaubst du, diese Vorliebe ist immer gänzlich abzulegen? Oder muss das vielleicht auch gar nicht?

Kirsten: Geht für mich völlig in Ordnung. Für fast alle meiner Kollegen ist dieser Beruf auch ein Hobby. Und so haben viele Kollegen auch schon seit der Kindheit ihre Lieblingsvereine. Ein Muss ist das natürlich nicht. Hauptsache man versteht den Sport – und hat ihn optimalerweise auch mal selbst gespielt. Ganz wichtig ist aber - wie du ja schon selbst sagst - das "Fan-Dasein" für den Kommentar gänzlich abzulegen und objektiv zu bleiben, z.B. bei Schiedsrichterentscheidungen. Sonst funktioniert es natürlich nicht.

Bekommt man als Field-Reporter einige Vereinsinterna besser mit? Du hast beispielsweise Julian Nagelsmann interviewt. Wie ist das so? Quatscht man vorher zusammen? Gerät man in einen detaillierten und intensiveren Austausch?

Kirsten: Grundsätzlich sind wir als Journalisten natürlich darauf eingestellt, Dinge zu erfahren, um sie dann berichten zu können. Durch Interviews erhofft sich, glaube ich, jeder Journalist etwas Interessantes herauszubekommen. Wir von DAZN sind aber weder ein News- noch ein Boulevard-Sender, dem es nur darum geht, eine besonders starke Schlagzeile zu bekommen. Wir konzentrieren uns auf den Sport und das jeweilige Live-Spiel bzw. die aktuelle sportliche Situation. Die Trainer, Verantwortlichen und auch Spieler befinden sich rund um ein Spiel natürlich auch im Fokus auf den Sport.

Als Field-Reporter wählen wir daher häufig auch einen taktischen Ansatz – und binden das Interview direkt in unsere Analysen während der Sendung ein. So habe ich mir im Fall von Julian Nagelsmann mit ihm zusammen vorab eine Analyse-Szene aus unserer Sendung angeguckt, um danach im Interview direkt darüber sprechen zu können. So hat der Interview-Partner auch direkt das Gefühl, dass es uns nicht um eine reißerische Aussage geht – sondern eben um den Sport.

Bei gesetzten Interviews (unter der Woche) ist natürlich auch mehr Zeit für längere Vorgespräche, um warm zu werden und sich aufeinander einstellen zu können. Ich persönlich habe mir mal vorgenommen, mir vor Interviews (egal welcher Form) die Frage zu stellen, was ich als klassischer Fußballfan eigentlich von dem Trainer/Spieler etc. wissen möchte – also was interessiert mich. Und das frage ich dann auch.

Gibt es auch manchmal einen typischen Arbeitstag für dich? Wenn ja, wie sieht der aus?

Kirsten: Natürlich gibt es Muster, gerade in der Vorbereitung auf ein Live-Spiel (z.B. bewährte Info-Quellen wie Websites, Podcasts oder Insider/Bekannte) oder redaktionelle Abläufe (z.B. Meetings). Einen typischen Arbeitstag gibt es aber tatsächlich nicht. Das macht den Job auch aus – und alles andere als langweilig. Und die Sportwelt schläft ja sowieso nicht. Da kann schon morgen der nächste Trainer entlassen werden.

Was würdest du jungen Leuten, die ebenfalls davon träumen, Fußballspiele zu kommentieren, mit auf den Weg geben?

Kirsten: Vor nicht einmal vier Jahren habe ich selbst noch studiert und davon geträumt, irgendwann mal kommentieren zu dürfen. Damals habe ich es nicht für möglich gehalten, dass ich schon zwei, drei Jahre später regelmäßig live kommentiere. Das zeigt, dass – so kitschig es klingt – alles möglich ist, wenn man daran glaubt und auch etwas dafür tut. Heißt: Erfahrungen sammeln und sich ausprobieren, aber nicht zu schnell zu viel zu wollen. Es gab und gibt auch bei mir immer wieder Momente, in denen mal nicht alles so läuft. Das ist völlig normal.

Danke für das Interview und viel Erfolg auf deinem weiteren Weg, Tom!