Ich vermisse Dich jetzt schon, Super-Depor!
Von Guido Müller
Als Fußball-Fan hat man es gut. Man ist deklarierter Anhänger eines bestimmten Klubs, aber dies ist durchaus vereinbar mit Sympathien, die man für andere Mannschaften hegen kann. Mein Verein ist der HSV. Doch in Nordspanien, ebenfalls in einer Hafenstadt angesiedelt, gibt es einen anderen, der mir während meines spanischen Exils einige der schönsten Momente der jüngeren Fußballhistorie beschert hat. Leider ist Deportivo La Coruña nun erstmals seit 1974 wieder in der Drittklassigkeit verschwunden. Ein Nachruf.
Super-Depor, so nannten sie dich schon, als ich noch als Tourist und von Cúpidos Pfeil getroffen regelmäßig nach Spanien kam. Damals verzauberte ein gewisser Bebeto das im Dornröschenschlaf der postindustriellen Restrukturierung schlummernde Hafenstädtchen. Als ich noch nicht endgültig in Madrid installiert war, im Jahr 1994, warst du schon dicht vor deinem ersten großen Triumph. La Liga wartete in Riazor auf dich. Du musstest sie nur noch abholen.
Djukic wird zum Kutzop von La Coruña
An jenem Mai-Abend musste ich an Kutzop denken und an das klatschende Geräusch von Leder, das gegen Holz prallt. Auch wenn Djukic' Elfmeter nicht mal die Entschuldigung des Torgestänges anführen konnte. Dein Michael Kutzop war Miroslav Djukic. Djukic, der eisenharte Serbe in der Innenverteidigung, Djukic, der so einsam und verlassen am Elfmeterpunkt stand, bereit durch die Pforten des Himmels in die Ewigkeit zu schreiten. Doch die Tore schlossen sich, ehe man überhaupt das Wort Penalty aufsagen konnte. Und die Liga flog im atlantischen Nachthimmel davon. Vielleicht für immer, dachten einige. Nein, nur für ein Jahr aufgeschoben, dachte ich mir.
Nach meiner endgültigen Landung in der Hauptstadt, im Jahr zwei nach Djukic, spieltest du weiterhin den schönsten Fußball der Liga. Jogo bonito und eisenharte Verteidigung, das waren die beiden Elemente, die du auf so ästhetische Weise miteinander zu verknüpfen wusstest. Deine Trainer, angefangen vom ewigen Arsenio Iglesias, der dich in vier verschiedenen Amtszeiten insgesamt zwölf Jahre leitete, über die Irrtümer John Toshack, Carlos Alberto und Jose Manuel Corral, bis zum großen Javier Irureta, formten Stück für Stück eine Weltklassemannschaft im Schatten der Großen.
2000: Spanischer Meister - zum ersten Mal in der Klubgeschichte!
Irureta, der manchmal etwas kauzig wirkende Baske, gab dir die Ernsthaftigkeit mit auf den Weg, mit der du dich nun endlich krönen solltest. Sechs Jahre nach Djukic' verschossenem Elfmeter wurden alle Fragen nach der Gerechtigkeit im Fußball von dir beantwortet. Es gibt keine Gerechtigkeit, nur das unbeirrbare Festhalten an Träumen und Idealen. Und manchmal wird man dafür belohnt. So wie sich diese Generation Millennium für all die Mühen und all die Rückschläge der Vergangenheit belohnte. Campeón de La Liga 1999/2000: Super-Depor.
So wie wir Fans am 2. November 2002 belohnt wurden. Nicht mit Toren, denn die fielen nicht an diesem Abend zwischen Deportivo und den Königlichen aus Madrid. Aber mit dem vielleicht besten Fußball-Spiel der Geschichte, das ohne Treffer auskam. Ein Spiel für die Ewigkeit. Noch heute ärgere ich mich, es damals nicht aufgenommen zu haben. An dieser Stelle der Aufruf: wer in Besitz einer Aufnahme dieses Matches ist, soll sich bitte bei mir melden. Zahle Liebhaber-Preis. Ein Spiel ohne Tore - aber ansonsten hatte dieses Duell mit den Königlichen alles, was ein Spiel haben muss.
Technische Kabinettstückchen (kein Wunder, wenn Spieler wie Roberto Carlos, Figo, Zidane oder Ronaldo Nazario auf der einen Seite stehen, und Akteure wie Mauro Silva, Fran, Victor oder Makaay auf der anderen), schwindelerregende Pass-Stafetten, vereitelte Großchancen: alles gab es in diesem Spiel, und fast alles im Minutentakt. Nur eben keine Tore. An diesem Abend merkte ich: man braucht sie nicht, wenn alle Spiele so geführt werden wie dieses.
2002: Super-Depor vermasselt Real die Geburtstagsparty
Danke auch noch mal für den Centenariazo. Das heißt fürs "In die Suppe -Spucken" am Tag des 100. Geburtstages von Real Madrid. Kein Spiel durfte an diesem 6. März 2002 gespielt werden. Und zwar weltweit. Nur dieses Pokalfinale (natürlich im Bernabéu) der Königlichen. Du warst der geladene Gast. Doch zum Blumenstraußabgeben taugte deine Truppe damals nicht. Du warst zu gut, um nur beifallklatschend Spalier zu stehen. Wenn selbst ein Magier wie Djalminha keinen Stammplatz in der ersten Elf sicher hatte... Valerón, dieser Spargel, war von Zizou an diesem Abend kaum zu unterscheiden. Selbst an diesem besonderen Tag für die weltweite Real-Gemeinde wolltest und konntest du deine Identität nicht preisgeben. Alte Allianzen zwischen Galicien und der Zentralgewalt in Madrid hin oder her.
2004: AC Mailand wird im Estadio Riazor vorgeführt
Danke auch für dieses 4:0 gegen das nicht mehr ganz so große, aber wiederbelebte Milan anno 2004. Das sollte zwar ein Jahr später ein noch größeres Waterloo, im Finale höchstselbst, erleben - doch die Nacht von Riazor werden die Rossoneri ebenfalls nie vergessen.
Danke für all diese schönen Momente, Depor. Super-Depor vielmehr. Du hast den Weg gewiesen für all die Klubs, die nicht aus Madrid oder Barcelona, nicht aus Valencia oder Sevilla kommen. Jetzt ist dieser Weg vorläufig unterbrochen. Es gilt nun, ein paar Brocken aus dem Weg zu räumen, ehe die Fahrt irgendwann wieder weitergehen kann. Vielleicht wird es Jahre dauern, vielleicht Jahrzehnte. Ganz fremd ist mir dieses Gefühl nachvollziehbarerweise nicht.
Doch ich weiß, dass du wiederkommen wirst. Wie die Gezeiten an den Rias Altas. Unverrückbar. Unzerstörbar. Zu groß, um von uns Menschen dominiert zu werden. Und irgendwann werden im Riazor wieder die Gesänge angestimmt, die cánticos deiner blauweißen Fans. Und sie werden wieder einstimmen in das beschwörende Trommeln der bombos - und sie werden schreien wie damals: "Superdepor! Superdepor! Super-super-Depor!"