HSV: Beim Debütanten-Ball eingeschlafen - und nicht wieder aufgewacht!

Die Rothosen brachten sich mal wieder um die Früchte ihrer Arbeit
Die Rothosen brachten sich mal wieder um die Früchte ihrer Arbeit / Martin Rose/GettyImages
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Bei der größten Kulisse im Volksparkstadion seit dem März 2020 erinnerte nicht nur die große Zahl der Fans an Vor-Coronazeiten. Auch der Hamburger SV beging im Heimspiel gegen Tabellennachbarn Fortuna Düsseldorf (1:1) mal wieder dieselben Fehler wie seit Anbeginn der Zweitklassigkeit im August 2018.


Die positiven Dinge deshalb einfach mal vorweg: 37.000 Zuschauer machten das Spiel schon vor dem Anpfiff zu einem Happening. Sport1-Co-Kommentator (und Ex-Rothose) Martin Harnik lobte die Unterstützung der Fans. Das sei, so Harnik, "schon etwas sehr Besonderes in Hamburg. Mit welcher Leidenschaft die Fans die Mannschaft hier unterstützen. Auch die Geduld, die sie diesem jungen Team weiterhin geben."

Positiv war auch, dass Robert Glatzel mit seinem ersten Schuss und nach der gefühlt ersten Flanke in den gegnerischen Strafraum völlig überraschend auf 1:0 stellte.

Zu diesem Zeitpunkt waren bereits 19 Minuten gespielt und in den dem Führungstor unmittelbar vorausgehenden hatte eher die Fortuna den Eindruck gemacht, demnächst in Führung zu gehen. Aber - so läuft das manchmal. Aus dem Nichts in Führung gehen - irgendwie ja auch eine Qualität.

Robert Glatzel
Traf in den letzten vier Spielen vier Mal: Robert Glatzel / Martin Rose/GettyImages

Mit seinem sechsten Tor im neunten Spiel entwickelt sich der gebürtige Münchener immer mehr zum Transfer-Erfolg.

Sechs Minuten nach der Führung war der HSV dann auf einmal in Überzahl. Prib trat Leibold unglücklich, aber durchaus ahndenswert in den Unterschenkel - Schiri Christian Dingert korrigierte seine ursprüngliche Gelbe Karte und schickte den Düsseldorfer nach Ansicht der Video-Bilder mit glatt Rot direkt vom Platz.

Stattliche Kulisse, ein treffsicherer Stürmer und ein Mann mehr - man kann es schlechter treffen als Heimmannschaft.

HSV regelmäßig nicht in der Lage, vorteilhafte Situationen auszunutzen

Doch der HSV wäre nicht der HSV, wenn er solche Vorteile für sich zu nutzen verstünde. Ah, eine positive Sache habe ich noch vergessen: Robin Meissner gab sein Startelfdebüt. Der 20-jährige Hamburger kämpfte sich über neunzig Minuten immer mehr in die Partie und hätte sogar zum strahlende Helden werden können.

Aber der Reihe nach. Zunächst schien es erst einmal darauf hinauszulaufen, dass der HSV mit der numerischen Überlegenheit im Rücken nun Nägel mit Köpfen zu machen versuchte. Optisch phasenweise drückend überlegen erspielten sie sich aber auch nur selten wirklich klare Torchancen.

So ging es beinahe zwangsläufig mit der knappen Führung für die Hausherren in die Pause.

Nach Wiederanpfiff dann über die ersten zehn Minuten hinweg das gleiche Bild: der HSV drückte, kam jetzt durch Glatzel (52.) und Meissner (56.) auch zu passablen Chancen - nutzte sie aber nicht. Stattdessen stand das Team auch in dieser Phase immer gefährlich hoch - und war so anfällig für Konter.

Ausgerechnet Ex-HSVer Khaled Narey lieferte heute ein starkes Spiel ab und brachte die Hamburger Abwehr mit seinen schnellen Läufen auf dem rechten Flügel ein ums andere Mal in Verlegenheit.

Doch irgendwie wurde er dann auch zu einer Art tragischen Figur. Denn in der 59. Minute war er auf einmal völlig allein durchgebrochen und lief ungehindert auf Heuer Fernandes zu. Wahrscheinlich hatte er zu viel Zeit zum Nachdenken.

Khaled Narey, Tim Leibold
Khaled Narey sorgte heute für einigen Alarm in der HSV-Abwehr / Martin Rose/GettyImages

Seine Idee jedenfalls, irgendwann den mitgelaufenen Hennings zu bedienen, antizipierte der ebenfalls zurückgeeilte Meffert ganz stark und leitete den Ball zum Eckball für die Gäste. Da hätte Narey mehr draus machen müssen.

Ihre Wirkung auf den Gegner verfehlte diese Großchance für die Fortuna allerdings dennoch nicht. Denn der HSV wurde nun vorsichtiger. Leider ging das einher mit immer schläfriger vorgetragenen Angriffen, denen komplett die Dynamik aus der Endphase der ersten und Anfangsphase der zweiten Hälfte fehlte.

Im Grunde genommen lud der HSV mit seiner ganzen Körpersprache den Gegner wieder einmal dazu ein, in ein eigentlich verlorenes Spiel zurückzukommen. Harnik - aus eigener schmerzhaften Erfahrung heraus - bedauerte diesen Aspekt ebenfalls, der auch kein neuer sondern, wie schon gesagt, seit Anfang an in der 2. Liga zu beobachten ist.

Debüts für Alidou und Muheim

Doch am Ende will ich dieses "Weder Fisch noch Fleisch-Fazit" (vom Resultat her!) lieber um zwei weitere positive Aspekte dieses heutigen Abends erweitern.

Zum einen das Profi-Debüt des jungen Eigengewächses Faride Alidou (20), zum anderen das Saison-Pflichtspieldebüt für Neuzugang Miro Muheim. Auch Aue-Held Tommy Doyle und Bakery Jatta kamen noch zu ein paar (allerdings wirkungslosen) Minuten.

Alidou konnte während seiner knappen halben Stunde durchaus überzeugen, machte einen frechen Eindruck und wird nicht das letzte Mal dabei gewesen sein.

Muheim wiederum hatte während seines zwanzigminütigen Auftritts Licht und Schatten zu bieten. Vom möglichen Sündenbock bei seinem kapitalen Schnitzer kurz vor Schluss (als er das Abspringen des Balles völlig falsch einschätzte) bis zum Beinahe-Helden in der Nachspielzeit, als er im Düsseldorfer Strafraum nach David-Flanke völlig blank zum Kopfball kam. reichte die Bandbreite.

Lobenswert zu erwähnen ist ebenfalls, dass die Mannschaft bis zum Schluss dran blieb und versuchte, wie schon gegen Sandhausen, den Lucky Punch doch noch irgendwie zu setzen. Doch dafür war heute dann einfach zu wenig Präzision und Dynamik im Spiel der Hamburger.

Was mit diesem Punkt am Ende anzufangen ist, wird man Ende der Saison sehen. Momentan erscheint er fürs Leben zu wenig und fürs Sterben zu viel. Also eigentlich alles wie in Vor-Coronazeiten.

Die HSV-Noten:

1. Tor und Abwehr

Tim Leibold
Kleiner Schreckmoment bei Tim Leibold / Martin Rose/GettyImages

Heuer Fernandes: sah beim Ausgleichstor nicht ganz glücklich aus. Ansonsten solide - wenn auch nur selten geprüft. Note 4

Leibold: versuchte viel, allein der Ertrag blieb aus. Fleißig, aber häufig auch nicht genau genug. Blieb bei Pribs rüdem Einsteigen zum Glück unverletzt. Note: 4

Schonlau: Ließ sich ein paar Mal von Narey überlaufen und ging mir bisweilen zu oft in riskante Eins-gegen-Eins Duelle als letzter Abwehrmann. Einige gute eröffnende Pässe in die Schnittstellen im Mittelfeld. Note: 4

David: Könnte noch etwas mehr nach vorne preschen und sich mehr zutrauen. Recht gute Ballverteilung auf die Außen und ein paar gut gemeinte Chipbälle ohne Präzision. Auch er ging ein Mal sehr riskant in ein unnötiges direktes Duell. Hinten ansonsten solide und weitgehend fehlerlos: Note: 3

Gyamerah: Fing recht dynamisch an, baute dann aber immer mehr ab. Sein Fehler war der Ausgangspunkt für die Narey-Großchance Anfang der zweiten Halbzeit. Note: 4

2. Mittelfeld

Anssi Suhonen, Edgar Prib
Suhonen mitten im Gefecht / Martin Rose/GettyImages

Meffert: Stopfte viele Löcher. Vor allem in der 59. Minute. bei besagter Narey-Chance. Nicht immer fehlerfrei, aber sehr effizient in den Zweikämpfen. Note: 3

Suhonen: Enorm fleißig, aber auch sehr unglücklich in seinen Aktionen. Dennoch wünscht man sich als HSV-Fan irgendwie, mehr von dem jungen Finnen zu sehen. Note: 3

Reis: Deutet sein Potential zwar immer wieder an - macht dann aber viel zu wenig draus. Bisweilen zu lässig und sorglos in der Zweikampfführung. Note: 4

3. Sturm

Robin Meissner
Sonny Kittel und Robin Meißner blieben glücklos / Martin Rose/GettyImages

Kittel: Heute nicht so entscheidend wie schon in anderen Spielen in dieser Saison. Immer mal wieder mit einer genialen Idee, über neunzig Minuten aber leider viel zu selten. Note: 4

Glatzel: Erster Schuss - erstes Tor. Mit seinem sechsten Tor im zehnten Spiel liegt der Mittelstürmer absolut im Soll. Heute hätte er sogar noch ein zweites machen können. Note: 3

Meissner: Zunächst wirkte der Hamburger Jung ob der Kulisse fast ein wenig eingeschüchtert. Spielte sich immer mehr frei und hätte in der 55. auf 2:0 stellen können. Note: 4

4. Einwechselspieler

Moritz Heyer
Der Gemütszustand der HSV-Fans nach dem Abpfiff / Martin Rose/GettyImages

Heyer: kam in der 63. für Suhonen und konnte keine großen Akzente mehr setzen. Note: 4

Alidou: kam in der selben Minute für Meissner. Versuchte gleich, mit Sololäufen für Alarm in der Düsseldorfer Abwehr zu sorgen. Hatte in der 77. Minute sogar das 2:1 auf dem Fuß. Erfrischender Auftritt. Note: 3

Muheim: ersetzte in der 70. Minute Tim Leibold - und hätte kurz vor Schluss durch einen Stellungsfehler fast den Siegtreffer der Gäste ermöglicht. In der Nachspielzeit hatte er dann sogar den Siegtreffer für sein Team auf dem Kopf. Note: 4

Doyle: konnte in den vier Minuten (plus Nachspielzeit) nicht mehr viel ausrichten. Keine Note

Jatta: siehe Doyle