Niederlandes Elftal im Krisen-Modus: Kritik an Trainer de Boer wächst

Niederlandes Nationaltrainer Frank de Boer erfährt zurzeit viel Kritik
Niederlandes Nationaltrainer Frank de Boer erfährt zurzeit viel Kritik / Fran Santiago/Getty Images
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Die Zeit bis zur Europameisterschaft schwindet, die Nationalmannschaften treffen letzte Vorbereitungen. So auch das Team der Niederlande, wo Trainer Frank de Boer unbedingt ein 5-3-2 umsetzen möchte. Von den Spielern gibt es öffentlich kaum Unterstützung, teilweise sogar Zweifel, während die Fan-Kritik immer lauter wird. Die Elftal befindet sich im Krisen-Modus.


Die AD, eine niederländische Tageszeitung, fasst es am Freitag passend zusammen: "Das Spielsystem, die Torwartwahl, die Kommunikation, die dummen Ausrutscher des Trainers: Fast alles wird rund um Oranje diskutiert. Testspiele sagen wenig aus, aber glatt und problemlos verläuft die Vorbereitung auf die Europameisterschaft nicht wirklich."

In neun Tagen, also am Sonntag der nächsten Woche, startet die Niederlande in die EM. Im Abendspiel geht es gegen die Ukraine, den ersten Gruppengegner. Die weiteren Kontrahenten: Österreich und Nordmazedonien.

Normalerweise könnte man schnell und ohne sich groß auszukennen sagen, dass die Elftal der klare Favorit in dieser Gruppe C ist. Die Mannschaft ist klar besser als die der anderen Nationen, gespickt mit tollen Spielern wie Frenkie de Jong, Matthijs de Ligt, Memphis Depay und so vielen mehr. Doch ausgehend von der aktuellen Unruhe, den vielen Kontroversen und der stetig wachsenden Kritik an Trainer Frank de Boer scheint ein souveränes Weiterkommen durchaus gefährdet zu sein.

International friendly match"The Netherlands v Scotland"
Gegen Schottland musste die Niederlande ein 2:2 hinnehmen / ANP Sport/Getty Images

Achtelfinale "dat absoluut maximale"? Elftal zwischen Trainer-Kritik, Formations-Experimenten und schlechter Stimmung

Zurzeit macht ein satirischer Song im deutschen Nachbarland die Runde. "We komen tot de achtste Finale, dat is absoluut het maximale", wird darin gesungen. "Wir kommen ins Achtelfinale, das ist das absolut Maximale." Damit wird der eigentlich standardmäßige Optimismus rund um die Nationalelf auf die Schippe genommen. Passend zu einer Zeit, in der von diesem Optimismus nur noch wenig zu spüren ist.

Im Zentrum der Kritik steht de Boer, der die Mannschaft im späten Sommer des letzten Jahres übernommen hatte. Als Nachfolger von Ronald Koeman war es klar, dass er dieses große Turnier begleiten würde. Nun sorgt vor allem seine anvisierte Umstellung auf ein 5-3-2 für Sorgenfalten. Es ist eine komplizierte und augenscheinlich forcierte Abkehr vom traditionellen 4-3-3.

Matthijs de Ligt, Frank de Boer
Im Trainingscamp führte de Boer vor allem mit de Ligt intensive Unterhaltungen / ANP Sport/Getty Images

Das Problem: Bislang greift diese Formation und das damit verbundene System nicht. Am Dienstag kam man beim Test gegen Schottland nicht über ein 2:2-Remis heraus. In der Qualifikation gab es u.a. nur ein 2:0 gegen Litauen, gegen die Türkei wurde noch Ende März 2:4 verloren. Gegen andere namhaftere Teams wie Italien oder Spanien (in der Nations League) gab es nur Unentschieden oder Niederlagen. Ansonsten eher knappe Erfolge wie gegen Polen (1:0 und 2:1) oder Bosnien-Herzegowina (0:0 und 3:1).

Diese Spiele haben über die letzten Monate stattgefunden, also im direkten Vorlauf zur EM. Nur die letzten Auftritte standen im Fokus der Dreier- beziehungsweise Fünferkette. Nicht nur, dass diese Änderungen ohnehin sehr kritisch beobachtet werden. Sie werden auch noch kurz vor dem prestigeträchtigen Duell vorgenommen.

Für diese Experimente scheint de Boer nicht einmal den Rückhalt seiner eigenen Spieler zu haben. Nach dem Remis gegen Schottland wurde de Ligt gefragt, ob es ein falscher Gedanke sei, das 5-3-2-Experiment sei gescheitert und man müsse zum 4-3-3 zurück. Seine Antwort: "Nein, ich denke, dass das ein gerechtfertigter Gedanke ist."

Das Abwehrtalent weiter (via Nos): "Natürlich sind manche Spieler an ein 5-3-2 gewöhnt, einige aber nicht. Somit muss eine Entscheidung getroffen werden. Ich selbst bin es gewohnt im 4-3-3 zu spielen, dadurch ist es für mich eine ziemliche Veränderung. Ganz besonders wenn ich als linker Innenverteidiger spielen muss, was ich noch nie gemacht habe."

Auch Depay äußerte sich zu dieser Thematik: "Der Trainer möchte an und mit verschiedenen Formationen arbeiten. Wir haben das 5-3-2 auch schon gegen Italien [1:1] gespielt, er möchte, dass wir das in diesen Spielen einüben." Rückhalt und Sicherheit auch der eigenen Spieler hört sich anders an. Offenbar gibt es auch interne Streitigkeiten über die Ausrichtung des Coaches.

Im niederländischen Fernsehen betonte Experte Ibrahim Affelay auch, dass eingesetzte Spieler wie Wout Weghorst Flanken brauchen. De Boer habe betont, dass ein Stürmer wie er in dieser Formation seine Stärken ausnutzen kann. Die rhetorische Frage des Ex-Profis: "Und wie viele Flanken hat er heute bekommen? Keine. Die Spieler wollen sagen, wie es ist - aber sie können es nicht."

Doch längst sorgen nicht nur diese unverständlichen Versuche für Frust und ein Abstumpfen des sonst gewöhnlichen Optimismus. Auch die Sturheit des sogenannten Bondscoaches fällt auf. So wurde er gefragt, dass diese Formation doch sicherlich gescheitert sei. "Nein, nein. Wir haben sie nur einmal trainiert, sodass ich nicht erwartet habe, dass wir den Gegner vom Feld spielen. Ich bin mir sicher, dass wir mit damit sehr gut spielen können", erklärte er seine Sicht. Ob die Zeit dafür nicht viel zu kurz sei? "Nein, heute wollte ich einfach das 5-3-2 spielen. Ich denke diese Formation ist exzellent."

Namen werden verwechselt, aussortierte Spieler äußern Unmut - der niederländische Optimismus ist verflogen

Doch auch fernab von Formationen und Taktiken gibt es Ärger. Dass de Boer, der von Jose Mourinho einmal als "schlechtester Trainer der Premier League" (damals fünf Spiele bei Crystal Palace) bezeichnet wurde, hier und da auch schon Spieler verwechselt und Namen durcheinandergeworfen hat, ist zwar ärgerlich - das geht bei aller Unruhe aber sogar noch unter.

Ein weiteres Beispiel für die schlechte Stimmung ist die anfangs bereits angesprochene Torwartauswahl. Jasper Cillessen gehörte eigentlich fest zu den Torhütern, die mit zur EM fahren sollten. Ende Mai wurde er positiv auf Covid-19 getestet - offenbar der Grund dafür, dass de Boer ihn aus dem Aufgebot strich.

Jasper Cillessen
Jasper Cillessen hatte mit seiner Berufung zur EM gerechnet / Soccrates Images/Getty Images

Der Keeper selbst zeigte sich aber sehr frustriert (Zitat via Oranjefußball): "Als die Auswahl bekannt gegeben wurde, war ich noch sein erster Keeper. Er wusste schon damals, dass ich positiv getestet war", so der 32-Jährige, der beim FC Valencia unter Vertrag steht. Um seinen Unmut machte er keinen Hehl: "Der Schlag wird noch lange nachhallen. Der Schmerz liegt hauptsächlich darin, dass ich diesen Schlag nicht kommen sah."

Die Vorhersage des Songs, die Elftal würde als absolutes Maximum ins Achtelfinale kommen, erscheint inzwischen und schmerzlicherweise gar nicht allzu weit entfernt. Derzeit ist es offenbar nicht möglich, das große Talent in dieser Auswahl auf den Platz zu bringen. Deshalb richtet sich die Kritik gegen Frank de Boer, der aber eher mit fragwürdigen Experimenten beschäftigt ist.