Dieser Moment, wenn du spürst, dass gerade eine Legende geboren wird!

Seit gestern jüngster Bundesliga-Torschütze aller Zeiten: Youssoufa Moukoko
Seit gestern jüngster Bundesliga-Torschütze aller Zeiten: Youssoufa Moukoko / Pool/Getty Images
facebooktwitterreddit

“Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne”, schrieb einst Hermann Hesse. Nun war es gestern nicht das erste Bundesligaspiel für Youssoufa Moukoko, nicht einmal der erste Startelfeinsatz für den BVB, seit der Teenager am 20. November dieses Jahres seinen sechzehnten Geburtstag feiern und sich somit auch rein formal für die Vergleiche mit den Erwachsenen seines Sports qualifizieren konnte - aber für mich als TV-konsumierender Fußballfan war es eine Premiere. Also irgendwie auch ein Anfang. 

Geteilt mit Millionen über das Land verteilter Zeugen. Und der Zauber wirkte - von Beginn an.

Aus fast jeder Aktion Moukokos sprach unendliche Klasse

Er begann mit einem Move Moukokos an der Außenlinie, bei dem er, die Gesetze der Schwerkraft scheinbar mühelos herausfordernd, einen kaum zu kontrollierenden, weil von zwei eisernen Abwehrspielern beschützten Ball, nicht nur vor dem Übertreten besagter Linie bewahrte, sondern ihn in derselben Bewegung zurück ins Spiel und an den neben ihm postierten Mitspieler abgab. 

Für einen Moment schienen sich die zeitlichen Dimensionen zu verschieben - und ich sah die Reinkarnation eines fast gleichaltrigen Brasilianers, der vor mehr als sechzig Jahren, im vorübergehenden schwedischen "Exil", begann, eine Weltgeschichte des Fußballs zu schreiben. Diese katzenartigen Bewegungen, diese elastische Geschmeidigkeit, freilich auch der fast unverschämten Jugend dieses Ausnahmetalents geschuldet - sie erinnern allesamt an O Rei. 

Als er dann ein paar Minuten später einen abgeprallten Befreiungsschlag des Berliner Gegners in einer perfekten Symbiose aus Zeit-und Raumverständnis aufnahm, in den feindlichen Strafraum eindrang und einen Pass spielte, den jeder Mitspieler gewünscht, aber keiner der auf den Platz stehenden - Gegner eingeschlossen -  hätte vorhersehen können, dürfte er auch die Zweifel des eingefleischtesten Skeptikers beiseite geräumt haben. Meine jedenfalls waren verflogen. Wie alt ist der nochmal? 

Ein Teenager führt die erfahrenen Spieler

Auf dem Platz wirkte er wie der erfahrene Platzhirsch. Die Hummels und Reus und Cans, die der Premiere beiwohnten - nicht sie waren es, die Moukoko an die Hand nahmen und ihm auf seinen ersten Live-Minuten beistanden, sondern er war es, der sie mit seiner jugendlichen Unbekümmertheit mitriss. 

Nur der von Legenden nichts wissende Pfosten verhinderte, dass sich das Naturschauspiel auch gleich in die Statistiken verewigen konnte. 

Doch die Natur lässt sich nicht bändigen. Erst recht nicht, wenn sie beidfüßig daherkommt. 

Was Moukoko in Halbzeit eins mit dem rechten Fuß nicht gelang, dass gelang ihm - das Echo des Pfostenkrachers hallte da immer noch nach - mit dem linken. "Wie hättet ihr es denn gern?", schien Moukoko mit kindlichem Übermut zu fragen.

Und gab auch gleich noch die Antwort höchstselbst: gnadenlos, netzzerreißend, mit erwachsenem Ernst - und in der sich anschließenden Freude doch so unschuldig wie ein kleines Kind.

Kein einstudierter Torjubel mit imaginären Telefonen oder andeutenden Gesten, die nur dem engsten Kreis zu interpretieren vorbehalten sind. Einfach nur die weltumgreifende Freude eines Sechzehnjährigen, der dabei ist, die Erwachsenenwelt um sich herum auf den Kopf zu stellen. 

Erinnerungen an Ronaldo und Raúl

Bei Moukokos Torjubel, mit weit ausgebreiteten Armen, fast wie ein Flugzeug durch die Alte Försterei schwebend, musste ich an Ronaldo, den Brasilianer (noch einen!) denken. Auch für il fenomeno war das Tor an sich immer wichtiger, als die als Reaktion darauf inszenierte Freudendramatik. 

Mit Pelé und Ronaldo kehrten gestern zwei Vertreter aus dem Land des Rekordweltmeisters in meine Erinnerung zurück. Den einen habe ich nur über konserviertes (oder digitalisiertes) Archivmaterial spielen sehen, die Karriere des anderen gleichsam von der Wiege (in Eindhoven) an, über die Stationen in Barcelona, Mailand und Madrid, bis zum Ende mitverfolgen dürfen. Moukoko, das ist mir seit gestern klar, wird sich, wenn nichts Gravierendes dazwischenkommt, in diese Ahnenreihe eingliedern. 

Ein wenig hatte es gestern auch was von Raúls Debüt für die Königlichen in Saragossa, anno 1994. Parallele: damals wie heute verlor das Team des als kommenden Heilands verkündeten Talents. Doch damals wie heute war das Ergebnis am folgenden Tag gar nicht mehr so wichtig. Wer will sich schon über den Verlust von drei Punkten beklagen, wenn er gerade Geburtszeuge einer Fußball-Legende geworden ist?