DFB-Frauen bei WM 2023 unter Druck: Kann Deutschland seinen Höhenflug fortsetzen?

Die DFB-Frauen
Die DFB-Frauen / CHRISTOF STACHE/GettyImages
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Von ran.de-Autor Justin Kraft


Nach der starken EM 2022 liegen auf dem DFB-Team vor der WM 2023 gewisse Erwartungen. Doch vor dem Auftaktspiel am Montag gegen Marokko gibt es einige Herausforderungen und Sorgen, die Martina Voss-Tecklenburg mit ihrem Team angehen muss.

Fassungslosigkeit, Enttäuschung, große Fragezeichen - nach Abpfiff standen Lina Magull und Alexandra Popp zusammen auf dem Platz und redeten darüber, was gerade passierte. Mit 2:3 verlor das DFB-Team die Generalprobe vor der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland gegen Sambia.

Sambia, das ist die Nummer 77 der FIFA-Weltrangliste. Magull hatte die Hände in die Hüften gestemmt und blickte in die Ferne. Popp schien nach Erklärungen zu suchen. Beide zählen zu den Führungsspielerinnen des Teams, beide sind Kapitäninnen bei den wichtigsten deutschen Klubs: FC Bayern und VfL Wolfsburg.

Es ist gewaltig Sand im Getriebe vor diesem großen Turnier - und das lässt sich nicht nur an der Gestik der Spielerinnen ablesen. Der Druck ist bei der WM ohnehin schon enorm, doch die Gefahr, durch ein schlechtes Abschneiden die weitere Entwicklung des Sports in Deutschland negativ zu beeinflussen, erhöht das Gewicht auf den Schultern.

Was beim DFB-Team positiv stimmt

Die gute Nachricht für die DFB-Frauen ist, dass sie diese Situation bereits kennen. Vor der Europameisterschaft in England vor fast genau einem Jahr hatte ihnen kaum jemand den Einzug ins Finale zugetraut - nicht mal sie selbst. Sowohl die Vorbereitung als auch die Testspiele liefen maximal unglücklich.

In einer Gruppe mit Spanien und Dänemark drohte ein frühes Aus. Doch die Geschichte ist bekannt: Deutschland schaffte es nicht nur ins Endspiel, sondern begeisterte mit Powerfußball. Defensiv robust und stabil, in den Umschaltmomenten blitzschnell und gefährlich.

Martina Voss-Tecklenburg und ihr Team verstanden es damals gut, aus der Rolle der Außenseiterinnen einen Vorteil zu ziehen. Besonders deutlich wurde das gegen Spanien (2:0) und Frankreich (2:1). Die Mischung aus technisch anspruchsvollem und athletischem Fußball begeisterte nicht nur die deutschen Fans.

Vor allem der Teamspirit wurde damals hervorgehoben. Das DFB-Team präsentierte sich als Einheit und verbreitete gute Laune bei allen Beobachterinnen und Beobachtern. Guter Fußball und eine überragende Teamdynamik - der Titel fehlte am Ende, doch gerade im Kontrast zu den trostlosen Auftritten der Männer entstand ein regelrechter Hype um das Team.

Deutschland weiß also, wie man innerhalb kürzester Zeit den berühmten Bock umstoßen kann.

Was beim DFB-Team nachdenklich stimmt

Doch da kommt die schlechte Nachricht ins Spiel: 2023 ist die Situation vielleicht doch nicht so vergleichbar. Zwar mögen die Ergebnisse vor Turnierstart wieder nicht stimmen, doch das Underdog-Image wird man ihnen nicht mehr abkaufen.

Deutschland reist als Vize-Europameister an und zählt damit automatisch zum Kreis der Favoritinnen. Das wird auch die Herangehensweise des Teams zwangsläufig beeinflussen. Bei dieser WM wird sich das Team darauf einstellen müssen, häufiger selbst das Spiel in die Hand zu nehmen. Abwarten, kontern und defensiv stabil stehen reicht nicht mehr.

Gerade der Ballbesitzfußball war in den vergangenen Jahren immer wieder ein Problem. Deutschland hat hervorragende Spielerinnen in seinen Reihen, aber die Abläufe sind gegen tiefstehende Gegnerinnen nicht so stimmig wie beispielsweise bei Spanien oder Frankreich. Die erfolgreiche EM scheint diese Baustelle vergessen gemacht zu haben. Doch sie ist noch da.

Oftmals fehlen offensiv die Ideen, die Spielerinnen werden ungeduldig, neigen dazu, überhastete Entscheidungen zu treffen. Brasilien hat das beim Testspiel im April in Nürnberg hervorragend ausgespielt. Aus einer tiefen Defensivformation heraus ließen sie Deutschland anrennen und konterten schließlich messerscharf. Eine 1:2-Niederlage, die bereits andeutete, dass dieses Jahr schwer werden könnte.

DFB-Team: Vorsicht vor den Gruppengegnern

Bei der WM spielt das DFB-Team in der Gruppe H gegen Marokko (24. Juli, ab 10:30 Uhr im Liveticker auf ran.de), Kolumbien (30. Juli, ab 11:30 Uhr im Liveticker auf ran.de) und Südkorea (3. August, ab 12:00 Uhr im Liveticker auf ran.de). Auf den ersten Blick ein angenehmes Warmlaufen.

Allerdings könnte diese Gruppe deutlich gefährlicher werden als die vermeintliche Hammergruppe bei der EM. Gegen Dänemark und Spanien konnte Deutschland das dynamische, abwechslungsreiche und intensive Spiel zeigen, das sie so stark macht. Diesmal wird man aller Voraussicht nach dreimal tiefe Defensivreihen knacken müssen.

Um in einen guten Flow zu kommen, wird es nicht nur möglichst drei Siege benötigen, sondern auch überzeugende Auftritte. Müht man sich ins Achtelfinale, könnte das Selbstvertrauen weiter leiden. Und schon in der Runde der letzten 16 wartet wahrscheinlich Frankreich oder Brasilien. Spätestens dann muss der Rhythmus also stimmen.

Druck beim DFB-Team - Voss-Tecklenburg gefordert

Die größte Herausforderung ist aber wohl der Druck, den sich die Spielerinnen auch selbst machen. "Den Druck versuche ich ein bisschen auszublenden", erklärte Kapitänin Popp zwar im Interview mit Sports Illustrated, doch "natürlich liegt auch das Thema Frauenfußball auf unseren Schultern".

Man habe eine "gute Ausgangsposition geschaffen. Mit dieser WM können wir das Ganze bestätigen". Es wird auch darum gehen, sich weiter zu emanzipieren und den immer mitschwingenden Vergleich zu den Männern weiter loszuwerden, dem Fußball vielleicht sogar weiterhin einen eigenen Anstrich zu verpassen. Einen, der das Team wieder in den Vordergrund und Egoismen in den Hintergrund rückt.

Eigentlich sollte die Begeisterung für diesen vielschichtigen Sport ohnehin nicht davon abhängen müssen, ob Deutschland bei einem großen Turnier erfolgreich ist oder nicht. Doch die Realität ist eine andere, der Druck dadurch zusätzlich erhöht.

Für die Bundestrainerin ist es in Summe vielleicht das schwerste Turnier, in das sie bisher gegangen ist. Voss-Tecklenburg ist erfahren und abgezockt genug, um damit umzugehen. Und sie ist im Umgang mit den Spielerinnen in den zurückliegenden Jahren gewachsen.

Sie versteht es mittlerweile gut, einen Teil der Last von den Spielerinnen zu nehmen. Das ist besonders bei der jungen Generation entscheidend. Lena Oberdorf, Klara Bühl, Jule Brand, Lena Lattwein, Sydney Lohmann – Deutschland hat zahlreiche hochveranlagte Fußballerinnen.

Vielleicht ist es sogar die wichtigste Aufgabe von Voss-Tecklenburg, die Köpfe dieser Spielerinnen freizumachen, ihnen klarzumachen, dass sie in erster Linie für sich und das Team spielen – und nicht dafür, Menschen zu überzeugen, die ihr Urteil davon abhängig machen, wie erfolgreich dieses Turnier verläuft.

Kann sich Deutschland von der Erwartungshaltung befreien und eine ähnliche Jetzt-erst-recht-Dynamik entwickeln wie im Sommer 2022, dann kann diese WM aller Umstände zum Trotz ähnlich verlaufen.

Vielleicht dreht sich das aktuelle Bild der Fassungslosigkeit, der Enttäuschung und der großen Fragezeichen dann doch wieder schneller, als aktuell anzunehmen wäre.

Und vielleicht stemmt Magull dann nicht mehr die Hände in die Hüften, sondern einen Pokal in den Himmel von Sydney. Zuzutrauen ist diesem Team jedenfalls alles.


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