Der FC Barcelona braucht eine neue Vision - ohne Messi!

LLUIS GENE/Getty Images
facebooktwitterreddit

Der FC Barcelona im Spätherbst des Corona-Jahres 2020: sportlich alles andere als überzeugend, was sich vor allem im Klassement der heimischen Liga widerspiegelt, institutionell durchgeschüttelt nach dem Rückzug von Vereinspräsident Josep Maria Bartomeu und finanziell am Rand des Abgrundes wandelnd.

Und dann wäre da ja noch der drohende Abschied von Lionel Messi im kommenden Sommer. Wobei das eine (aufgezehrte Geldreserven) auch mit dem anderen (Messis Megagehalt) zu tun hat. Ganz sicher ist: Es gab in der Vergangenheit sicherlich schon bessere Momente, Barcelona-Fan zu sein, als diese Monate zwischen jener 2:8-Katastrophe gegen den FC Bayern und diesen grauen und tief hängenden Novembertagen.

Ein 1:3 zuhause gegen Real - und keinen kümmert´s

Bei all diesen Widrigkeiten, mit denen der Klub zuletzt fertig werden musste, fiel eine 1:3-Heimniederlage gegen den Erzivalen Real Madrid im heimischen Liga-Betrieb fast schon nicht mehr ins Gewicht. Dieses 1:3 von vor einigen Wochen mag exemplarisch am besten darstellen, wie schwer die durch Corona noch befeuerte Krise bei den Azulgrana wirklich ist. Oder vielmehr: der Umstand, wie sie aufgearbeitet wurde.

Vor noch nicht allzu langer Zeit wären die Gazetten der Mittelmeermetropole nach einer solchen Abreibung durch den "Lieblingsfeind" voll der Aufschreie und Rufen nach Veränderung (im Denken vieler Journalisten und auch Fans immer gleichgesetzt mit Verbesserung) gewesen. Nicht so im Corona-Herbst 2020.

Es scheint als hätte sich die Masse der Vereinsmitglieder und Sympathisanten schon in einer Art fatalistischer Resignation mit dem unvermeidlichen abgefunden. Denn jeder Spieler, auch ein Lionel Messi, wird nicht jünger. Und was gestern noch ein zu gerechtfertigtes Jahresgehalt (für den besten Spieler der Welt seiner Epoche) darstellt, kann morgen schon zu einer Hypothek werden, deren unvermeidliche Bedienung die gesamte restliche Entwicklung des Vereins behindert.

Dieser bestimmte Moment könnte die Phase um den 14. August dieses Jahres herum gewesen sein. Lächerlich gemacht, in seinen Grundfesten erschüttert, vor der ganzen Welt als Spielball in Händen eines gnadenlosen Gegners verhöhnt, hätte man diesen Moment zum vorzeitigen Rückzug nutzen können.

Missglückter Versuch, das Rad der Geschichte aufzuhalten

Doch in dem zum Scheitern verurteilten Versuch, die Zeit anzuhalten (oder gar zurückzudrehen) übersahen die Macher in Can Barça die natürlichen Gegebenheiten. Messi blieb - auch weil der FC Barcelona von vornherein keinen Willen aufbrachte, sich die Offerten zumindest mal en detaille anzuschauen. Barcelona ohne Messi (zumal noch aktiv)? Davon wollten die Bosse nichts wissen. Wollten nicht diejenigen sein, denen Jahre später eventuell vorgehalten würde, den größten Spieler seiner Zeit ohne Not ziehen gelassen zu haben.

Doch manchmal kann ein Abschied auch der Beginn von etwas Neuem sein. Muss nicht jedes abgeschlossene Kapitel gleich das Ende der gesamten Geschichte bedeuten. Doch diesen Mut, einen Abschnitt (so schön und erfolgreich er auch war) zu beenden, bevor es die vom Menschen nicht zu dominierenden Faktoren tun, den hatten sie nicht in Barcelona.

Anders als zum Beispiel bei Real Madrid, das vor zwei Jahren seinerseits sein portugiesisches Flaggschiff nach Turin verkaufte. Ja, auch in Italien (der härtesten Liga der Welt, was Defensivkünste betrifft) hat CR7 fortan geknippst. Und somit denen Nahrung gegeben, die seinen Verkauf für einen strategischen Fehler hielten. Doch am Alten festhalten, bis es dir in den Händen zerbröselt, war noch in den seltensten Fällen eine gute Idee.

Aller Menschen Organisationen und Errungenschaften leben von der Erneuerung. Jedes Haus muss ab einem bestimmten Zeitpunkt regelmäßig kontrolliert werden, jede Maschine gewartet. Jeder Zusammenschluss von Menschen muss sich immer wieder hinterfragen und sich den gegebenen sozialen Veränderungen stellen. Wer das nicht hinbekommt, wird am Ende keine Hoheitsgewalt über die Geschichte haben. Denn die wird immer von den Siegern geschrieben.

Präsidentschaftswahlen im Januar als Zäsur

Beim FC Barcelona finden im Januar die Präsidentschaftswahlen statt. Es ist davon auszugehen, dass einige der Kandidaten mit der Karte Messi spielen werden. Doch kann ein Spieler, der bei Beginn der Spielzeit 2021/22 das 34. Lebensjahr erfüllt haben wird, wirklich das Zentrum eines neuen Projektes sein? Bei allen Verdiensten, die er sich erworben hat und bei allen Erfolgen, die ohne ihn womöglich nicht zustande gekommen wären, kann die Antwort eigentlich nur lauten: nein.

Doch die Schlangenbeschwörer spielen mit dem Trumpf der Nostalgie. Seht her: so schön es war, so schön soll es wieder werden. Wer als Fan darauf reinfällt, ist am Ende der Gelackmeierte. Denn der Zahn der Zeit nagt an allen. Von Pelé über Cruyff und Maradona bis zu Zidane, Cristiano Ronaldo und eben Lionel Messi. Die einen erkannten es frühzeitig selbst - und beendeten ihre Karriere aus eigenem Antrieb. Andere mussten erst in schwächere, ihnen eigentlich ungemäße Ligen wechseln, um aus dem Traum der Unsterblichkeit zu erwachen. Wie sagte einmal ein berühmter sowjetischer Staatsmann: wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Umgemünzt auf den Fußball könnte man sagen: wer zu spät loslässt, den bestrafen die Ergebnisse. Und am Ende die eigenen Fans.