Christian Gross als neuer Schalke-Coach: Bringt er die fehlenden Aspekte mit?

Für Schalke kommt Christian Gross - auf Wunsch Jochen Schneiders - aus der Trainer-Rente zurück
Für Schalke kommt Christian Gross - auf Wunsch Jochen Schneiders - aus der Trainer-Rente zurück / STRINGER/Getty Images
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Christian Gross wird der vierte Trainer auf Schalke in der laufenden Saison. Er, so der Wunsch eines alten Bekannten in Form von Sportvorstand Jochen Schneider, soll den Traditionsklub vor dem Abstieg bewahren. Auf den ersten Blick ergeben sich viele Zweifel, wenige Vorteile aber vor allem die Frage, was man mit einem "harten Hund" überhaupt bezwecken möchte.

Nach David Wagner, Manuel Baum und Huub Stevens wird Christian Gross bereits der vierte Trainer sein, der den FC Schalke 04 in der aktuellen Spielzeit betreut. Seit dem vergangenen Mai war der 66-Jährige eigentlich in der Trainer-Rente, wollte ursprünglich nur noch als Berater oder Ausbilder von anderen Fußballlehrern tätig werden. Nach stattlichen acht Jahren kehrt er in den europäischen Fußball zurück, vor zehn Jahren war er zuletzt in der Bundesliga aktiv.

Dieses Engagement im deutschen Fußball wird vermutlich ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass Jochen Schneider den Schweizer als den aus seiner Sicht besten Kandidaten auserwählt hat. Der S04-Sportvorstand war als Sportdirektor beim VfB Stuttgart aktiv, als Gross den Klub in der Saison 2009/10 vor dem zwischendurch drohenden Abstieg gerettet und schlussendlich sogar auf Platz sechs geführt hat. Auch Tottenham Hotspur bewahrte er 1997 vor dem Schritt in die zweite Liga. An dieser Stelle entspringt offenbar die Hoffnung, dass ein ähnlicher Turnaround auch in Gelsenkirchen möglich wäre - nicht mit der Europa League als Ziel, sondern mit dem Klassenerhalt als große Aufgabe.

In Stuttgart arbeitete Gross zwar nur kurz, insgesamt aber sehr erfolgreich
In Stuttgart arbeitete Gross zwar nur kurz, insgesamt aber sehr erfolgreich / AFP/Getty Images

Gross bringt Autorität und eine harte Hand mit - aber braucht Schalke das überhaupt?

Nun stellt sich natürlich die Frage, ob man es dem neuen Trainer zutraut, Schalke in der 1. Liga zu halten. Blickt man in die Kommentarspalten im Netz, so überwiegt die Skepsis eindeutig. Der ein oder andere Fan fragt sich schon, wer im März als Coach Nummer fünf vorgestellt wird. Ob dieser hypothetische Fall dann an Gross und seiner Arbeit, oder eher an den mehr als komplizierten Umständen liegen würde, ist zunächst zweitrangig. Dabei wäre doch die Frage viel wichtiger, was er für Fähigkeiten und Punkte mitbringt, die der Mannschaft bislang zu Erfolgen fehlten?

Schon früh nach der Freistellung von Manuel Baum, die einige Fans übrigens kritisch gesehen hatten, hieß es aus diversen Medienberichten, man suche nun nach einem "harten Hund". Einer, der die Mannschaft - die dem Vernehmen nach zuhauf aus Egoisten besteht - richtig anpacken und zusammenraufen kann. Einer, der auch mal laut und ungemütlich wird, wenn es nicht nach seinem Plan läuft. Einer, der mit seiner Ansammlung an Erfahrung die richtigen Schritte einläuten soll.

Das teilweise fehlende Vertrauen in Jochen Schneider führt zu zu ebendiesem in seine Trainerauswahl
Das teilweise fehlende Vertrauen in Jochen Schneider führt zu zu ebendiesem in seine Trainerauswahl / TF-Images/Getty Images

Aber sind das die Faktoren, die der Schalker Truppe bisher wirklich fehlten? Blickt man auf die Spiele und Auftritte, so fehlt es vor allem am reinen Spiel an sich. Die Defensive durch zu viele und häufige Fehler zu löchrig, die Offensive mit ganz wenigen Ausnahmen viel zu ungefährlich, als dass man im deutschen Fußball-Oberhaus mehrere Duelle für sich entscheiden könnte. Am Willen und an der Leidenschaft hat es in dieser Saison bislang deutlich seltener gelegen, als an den spielerischen Auftritten, dass Woche für Woche nicht gewonnen wurde.

Eigentlich wäre also ein Trainer dringend notwendig, der dem Team wieder Lust am Fußballspielen vermitteln kann. Eine Art Schleifer als Trainer, wie Felix Magath gerne genannt wurde, der eher auf Autorität, eine deutliche Ansprache setzt und primär über Kampf kommt, der kann erfolgreich sein. Allerdings sprechen die Zeichen der Zeit eher dagegen. Solche Trainertypen waren vor etwa zehn Jahren noch mit Erfolg und vielen Anfragen gesegnet - also aus jener Ära, wegen der Gross nun von Schneider ausgewählt wurde, die aber längst vorbei zu sein verspricht.

Christian Gross hat eine ungewöhnliche Trainer-Vita - und war eigentlich schon in Rente
Christian Gross hat eine ungewöhnliche Trainer-Vita - und war eigentlich schon in Rente / MICHAEL LATZ/Getty Images

Diese letzten Jahre, in denen neue Trainer(-typen) in den Sport kamen, oder in denen sich andere weiterentwickelt haben, hat er in Saudi-Arabien und Ägypten verbracht. Dort war er erfolgreich, das sollte man nicht verschweigen. Stets mit einem Punkteschnitt von mindestens 2,06 bis zu 2,30 (via transfermarkt), dazu der ein oder andere Titel mit Al-Ahli Dschidda und Zamalek SC. Die möchte und darf ihm auch niemand nehmen, auch kleinzureden braucht man sie nicht. Die Frage, ob sie aussagekräftig genug sind, um die Qualifikation für diese S04-Mission zu haben, darf und sollte man dennoch stellen.

Viele Trainer kamen, viele Trainer gingen - Gross hat sich eine Chance beim S04 verdient

Wo man also auf der einen Seite die berechtigten Zweifel festhalten kann, muss man andererseits jedoch auch darauf verweisen, dass gefühlt jeder Trainertyp bei Königsblau schon ausprobiert wurde. Dass eine generelle Philosophie fehlt, zu der dann passende Coaches geholt werden, ist ein wichtiges, aber anderes Thema. Während die Vorzeichen also eher deutlich gegen Gross sprechen, gab es in der (auch jüngeren) Vergangenheit aber auch keine, die für die Gegenteile sprachen.

Eben weil Schalke seit einigen Jahren kein gesundes Umfeld bieten zu können scheint, wie für Spieler auch für Trainer, ginge der Verein ohnehin ein sehr großes Wagnis ein - völlig egal, wie der Trainer hieße, welches Alter, welche Schwerpunktsetzung und welche Vita. Dass zusätzlich durch die sehr schwere Aufgabe des Klassenerhalts eine Mischung entsteht, die Optimismus kaum zulässt, spricht ebenfalls eher gegen den Schweizer. Aber sie würde auch gegen jeden anderen Kandidaten sprechen.

Deshalb kann man es, bei allen vermeintlich berechtigten Zweifeln und Sorgen, auch ganz diplomatisch formulieren: Wenn man es grundsätzlich sowieso keinem Trainer mit gutem Gewissen zutrauen würde, den Abstieg zu verhindern, kann man Christian Gross auch eine Chance geben. Das sollte man ohnehin, schließlich sollte sich jeder in einem neuen Job beweisen dürfen. Am Ende würde man sich doch auch viel lieber positiv überraschen lassen, als negativ.