Bayerns Torwart-Karussell beginnt sich zu drehen - Wie groß ist das Risiko?
Von Christian Gaul

Nach der Verpflichtung von Alexander Nübel bietet sich beim FC Bayern auf der Torhüter-Position ein seltenes Bild - gleich drei Schlussmänner haben nachweislich das Niveau für einen Bundesliga-Stammplatz zwischen den Pfosten, dazu gesellt sich mit Christian Früchtl ein großes Talent. Dass alle vier Keeper in der kommenden Saison in München unter Vertrag stehen werden, ist nahezu ausgeschlossen.
Schon lange vor Manuel Neuers Vertragsverlängerung bis 2023 war klar, dass es Alexander Nübel vom FC Schalke zu den Bayern ziehen wird. "Der FC Bayern hat uns gegenüber nie einen Hehl daraus gemacht, dass man den Vertrag mit Manuel Neuer verlängern möchte. Wir waren über diesen Schritt von Anfang an informiert" - zwar äußerte sich Nübels Berater Stefan Backs nach Bekanntgabe von Neuers Treueschwur diplomatisch gegenüber Sport1, doch wirklich nachvollziehbarer ist der Schritt Nübels dadurch nicht geworden.
Manuel Neuer wird nicht aus Mitgefühl auf Einsätze verzichten, der Ehrgeiz des Welt-Torhüters ist immer noch zu groß. Somit wird Nübel in der kommenden Saison einen Großteil seiner Zeit auf der Ersatzbank verbringen - womöglich macht er kein einziges Spiel für die Bayern. Für die Entwicklung eines 23-Jährigen, der bereits Stamm-Torhüter bei einem Bundesligisten war, ist dieses Szenario sicherlich nicht förderlich.
Doch die Situation steht erst einmal, demnach werden sich einige Veränderungen im Kader ergeben.
Ulreich und Früchtl vor dem Abschied
Nübels Wechsel lässt sich mit dem damals ebenso unverständlichen Transfer von Sven Ulreich vergleichen. Im Sommer wechselte Ulreich als 27-Jähriger vom Stammplatz in Stuttgart zum Bankplatz bei den Bayern. Für die Münchener war dies natürlich optimal, hatten sie mit Ulreich doch einen starken Vertreter, sollte Neuer ausfallen. 45 Bundesliga-Einsätze reichten Ulreich für fünf Meisterschaften, doch mit der jetzigen Konkurrenz durch Nübel wird es eng.
Ulreichs Vertrag läuft im Sommer 2021 aus, unwahrscheinlich ist, dass er sich in seinem letzten Jahr freiwillig mit einem Platz auf der Tribüne zufrieden geben wird. Denn die Bayern-Verantwortlichen haben klar betont, dass Nübel als erster Herausforder für Neuer in die kommende Spielzeit gehen wird. Ulreich wird schon seit längerem den Markt sondieren und bei einem adäquaten Angebot zuschlagen - schließlich ist der 31-Jährige noch weit von seinem Karriere-Ende entfernt.
Früchtl hingegen brennt auch auf regelmäßige Einsätze in der Bundesliga oder der 2. Bundesliga. In der Dritten Liga verhalf er Bayerns Zweitvertretung in der abgelaufenen Saison zum Meistertitel, dass ein Bundesligist ihn dafür nun gleich den Posten des Stamm-Torhüters anbieten wird, ist jedoch zweifelhaft. Vielmehr würde sich eine Leihe zu einem ambitionierten Zweitligisten anbieten, damit der 20-Jährige zu Spielpraxis kommt.
Eventuell findet sich Früchtl auch mit der Rolle als Nummer Drei ab und bleibt in der zweiten Mannschaft, doch egal, wie er sich entscheidet - in den Kampf um die Nummer Eins wird er nicht eingreifen können.
Risiko für die Bayern
Berücksichtigt man die genannten Faktoren, dann kann es für die Bayern in der nächsten Saison zu einem Worst-Case-Szenario kommen:
Ulreich und Früchtl verlassen (leihweise) den Verein und Nübel soll Neuer unter Druck setzen. Doch Neuer rechtfertigt mit weiterhin überragenden Leistungen seinen Platz an der Spitze. Für den ambitionierten Nübel könnte es dann schwer werden, sich mit dem Bankplatz abzufinden und besonders wenn er dann mal gefragt sein sollte, Top-Leistungen abzurufen.
Dass er auf Schalke von den ständigen Diskussionen um ihn beeinflusst war, konnte man an zahlreichen Aussetzern auf dem Platz erkennen. Diese Anfälligkeit könnte ihm in der kommenden Saison zu schaffen machen, auch wenn in den kürzlich statt gefundenen ersten Trainingseinheiten der vier Torleute natürlich eine super Stimmung herrschte.
Trainer Hansi Flick zeigt sich zufrieden mit dem momentanen Überangebot. "Wenn man sieht, was die vier für eine Qualität haben, das ist beeindruckend. Darüber bin ich sehr froh", sagte er gegenüber der Bild. "Was mit Ulreich und Früchtl passiert, das ist Zukunft. Sie sind jetzt dabei in den nächsten Wochen und darüber freue ich mich“, lässt Flick zwar durchblicken, dass es entsprechende Gedankenspiele gibt, doch der Ernst beginnt für die Bayern dann, wenn der Druck wieder größer wird.
Vorerst gilt es, in der Champions League zu bestehen - und für die Königsklasse ist Nübel noch nicht spielberechtigt.