AC Milan auf der Erfolgswelle: Gelingt sogar der ganz große Wurf?

AC Milan schwimmt auf einer Erfolgswelle
AC Milan schwimmt auf einer Erfolgswelle / Emilio Andreoli/Getty Images
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Als Milan-Fan muss man sich in den vergangenen Wochen regelmäßig die Augen reiben. Die Rossoneri schweben von einem Erfolg zum anderen, lassen sich scheinbar durch nichts aus der Ruhe bringen und zählen zu den formstärksten Teams in ganz Europa. Ist der ganz große Wurf möglich?

Es ist gerade mal ein gutes Jahr her, da lag die AC Mailand am Boden. Der stolze Klub aus der Lombardei, der mit sieben Champions-League-Titeln noch immer die zweitmeisten hinter Real Madrid im Trophäenschrank stehen hat, legte (mal wieder) einen Fehlstart nach Maß in die Serie A hin. Nach zwölf Spieltagen standen bereits sieben Niederlage zu Buche, die Rossoneri fanden sich auf Tabellenrang 14 wieder, nur vier Zähler vor den Abstiegsrängen. Nach vielen trostlosen Jahren ohne Königsklasse, die bei Milan-Fans als 'Banter Era' in die Vereinsgeschichte eingehen, fühlte sich diese Saison wie ein neuer Tiefpunkt an.

Beinahe überflüssig zu erwähnen, dass zu diesem Zeitpunkt der Trainer längst gewechselt worden war: Stefano Pioli hatte den erst vor Saisonbeginn verpflichteten Marco Giampaolo abgelöst, doch auch unter dem gutmütigen Glatzkopf stellte sich zunächst keine Besserung ein. Als Milan kurz vor Weihnachten auch noch mit 0:5 von Atalanta Bergamo gedemütigt wurde, sah es so aus, als würde dieser Verein, der weltweit eine ganz besondere Strahlkraft besitzt, nie wieder aus dem Mittelmaß herauskommen.

Probleme auch neben dem Platz

Zu allem Überfluss gab es nicht nur auf dem Platz reichlich Probleme, sondern auch in der Führungsetage. Hinter dem Rücken von Paolo Maldini (Milans Technischer Direktor) und Zvonimir Boban (Chief Football Officer) kontaktierte CEO Ivan Gazidis klammheimlich Ralf Rangnick, um abzuklopfen, ob er sich ein Engagement bei den Rossoneri vorstellen könnte. Maldini und Boban waren alles andere als amused, als sie davon aus den Zeitungen (!) erfuhren - schließlich sei das nicht Milans Stil, im Verborgenen irgendwelche geheimen Verhandlungen zu führen, obwohl Pioli noch im Amt war.

Nicht nur im Milanello, sondern auch in der Casa Milan brannte es lichterloh.

39 Jahre und noch immer pure Weltklasse: Zlatan Ibrahimovic
39 Jahre und noch immer pure Weltklasse: Zlatan Ibrahimovic / Francesco Pecoraro/Getty Images

Doch rückblickend muss man sagen, dass diese Turbulenzen der Startschuss in eine erfolgreiche Zeit waren. Nach dem 0:5-Debakel setzte Milan - in Person von Boban - alles daran, einen gewissen Zlatan Ibrahimovic zu verpflichten. Und mit dem Schweden kamen auch der Erfolg und die Gier nach Siegen zurück. Denn Mittelmaß, das ist allen klar, wird von einem Ibrahimovic in keinster Weise toleriert. Wer nicht mitzieht, bekommt den Zorn des Schweden zu spüren. Und mal ehrlich: Mit Zlatan willst du dich nicht anlegen.

Was aber häufig untergeht: Neben Ibra kam im Winter noch ein weiteres Puzzleteil, das maßgeblich an Milans Höhenflug der letzten Monate beteiligt ist - Simon Kjaer. Anfangs belächelt, was die Rossoneri denn mit dem wollen, hat sich der Däne zu einem der Topverteidiger der Serie A aufgeschwungen. Mit ihm steht die Mailand-Defensive bombensicher; die Voraussetzung für die vielen Siege, die Milan mittlerweile einfährt.

Mit Zlatan und Kjaer: Milan fängt sich

Kaum waren die beiden Routiniers da, trat erste Besserung ein. Milan kletterte in der Tabelle wieder nach oben und setzte sich auf den Europa-League-Plätzen fest. Ein zarter Erfolg, der von der Coronakrise jedoch unterbrochen wurde. Doch auch hier muss man rückblickend sagen: Die Coronapause war das Beste, das Milan passieren konnte.

Die internen Probleme in der Führungsetage wurden geklärt (auch wenn dazu Bobas Entlassung nötig war), das Team konnte sich sammeln und Piolis Ideen verinnerlichen. Was ebenfalls nicht zu unterschätzen ist: Pioli ist ein Trainer, der viel Wert auf eine exzellente Teamchemie legt und den Menschen im Fußballer nicht vergisst - in Zeiten einer weltweiten Pandemie ganz sicher nicht verkehrt, wenn der Trainer die Stimmung oben halten kann und sich in besonderer Art und Weise um die Spieler sorgt.

Nach dem Restart eilten die Rossoneri jedenfalls von Erfolg zu Erfolg, gefühlt waren auch die leeren Stadien für das überwiegend junge Team ein Vorteil. Bis Saisonende verlor die Pioli-Elf kein einziges Spiel mehr, weshalb sogar Ralf Rangnick eingestehen musste, dass es keinen Sinn ergeben würde, wenn er das Traineramt übernähme.

AC Milan tritt endlich wie ein Spitzenteam auf!

In der aktuellen Saison setzte Milan diese Entwicklung nahtlos fort. Was im Gegensatz zu den Vorjahren erfreulich - und eben anders - ist: Die Rossoneri schießen Tore! Jahrelang war das Offensivspiel der Mailänder ein Graus, aus der oberen Tabellenhälfte gehörte AC Mailand regelmäßig zu den Teams mit der schlechtesten Trefferquote. Aktuell besitzt Milan nach Stadtrivale Inter dagegen den zweitbesten Angriff (nur das mit den Elfmetern muss die Pioli-Elf noch ein wenig üben...).

Und: Milan nutzt endlich einmal die Patzer der Konkurrenz aus! In den Vorjahren waren die Rossoneri regelmäßig schlichtweg zu dumm, Ausrutscher der anderen Teams auch mal zu verwerten. Sobald Mannschaften wie die Roma, Lazio, Atalanta oder Napoli, die vermeintlich auf Augenhöhe waren, Punkte liegen ließen, leistete sich auch Milan einen Klops. Da konntest du als Mailand-Fan dein Haus drauf verwetten.

Heute ist auch das anders: An diesem Wochenende patzte Juve gegen Benevento, Atalanta gegen Hellas und Lazio gegen Udinese. Und Milan? Gewinnt seine Partie gegen Florenz (übrigens ohne Ibrahimovic, Bennacer und dem coronainfizierten Pioli an der Seitenlinie) souverän mit 2:0 - im Stile eines Spitzenteams.

Milans Ziel: Champions-League-Teilnahme - oder sogar der Scudetto?

All das führt natürlich zur Frage: Was ist für die AC Mailand in dieser Saison drin? Vor Beginn der Spielzeit hätte jeder Milanista sofort unterschrieben, wenn der Einzug in die Champions League gelänge - zuletzt waren die Rossoneri in der Saison 2013/14 in dem größten aller Vereinswettbewerbe, der quasi zur Milan-DNA gehört, vertreten. Die Sehnsucht, die Champions-League-Hymne mal wieder zu hören, ist quälend groß und wird mit jedem Jahr Abstinenz unerträglicher.

Trotz des herausragenden Saisonstarts wird jeder rund um Milanello sagen, dass die Rückkehr in die Königsklasse weiterhin das große und primäre Ziel ist.

Aber ist nicht auch noch mehr möglich? Die nationale Konkurrenz ist in keiner guten Verfassung, Serienmeister Juventus zum Beispiel so schwach wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr. Lazio und Atalanta, die Überraschungsteams der letzten Jahre, liegen bereits neun (!) Zähler hinter Milan und zollen der Mehrfachbelastung in der Champions League spürbar Tribut. Selbst Inter, vor der Saison neben Juve als Titelkandidat Nummer eins ausgemacht, ist fünf Punkte hinter dem Stadtrivalen und ebenfalls kein Team, vor dem man Angst haben müsste.

Diese Ausgangslage, gepaart mit dem Fakt, dass Milans Entwicklung seit nunmehr neun Monaten einfach steil nach oben zeigt, lässt Träume zu, dass man in dieser Saison zumindest bis zum Schluss ein Wörtchen um den Scudetto mitreden kann. Denn die großartigen Ergebnisse, die Milan einfährt, sind längst keine Eintagsfliege mehr.

Wer das vor einem Jahr behauptet hätte, dem hätte jeder Milanista den Vogel gezeigt.