Welche Klubs profitieren von Geisterspielen?
Von Guido Müller
Geisterspiele! Das, was eigentlich wie ein Albtraumszenario für den Fußball daherkommt, entpuppt sich immer mehr zum Rettungsanker. Denn nur mit Spielen unter Ausschluss der Öffentlichkeit kann die Saison auf irregulär-regulärem Weg beendet werden. Geisterspiele wären das geringere Übel gegenüber einem vollständigen Abbruch. So sehen es die DFL und wohl auch die allermeisten Profiklubs. Doch was machen Geisterspiele mit den Mannschaften? Profitiert womöglich das eine oder andere Team davon?
"Man hatte das Gefühl, es ist ein Trainingsspiel", sagte Mönchengladbachs Christoph Kramer, als er nach dem Geisterspiel von letzter Wochen gegen den 1. FC Köln zu seinen Eindrücken befragt wurde. Interessanterweise sprach er auch davon, dass es sich auf dem Feld "sogar anstrengender angefühlt" habe, als unter normalen Umständen. Doch das kann auch nur ein exklusives subjektives Gefühl des Weltmeisters von 2014 ("Entschuldigung, ist das hier das WM-Finale?") sein.
Klar ist: Ein Spiel unter Ausschluss der Öffentlichkeit ist etwas Besonderes. Die ganze, nur in einem anständig gefüllten Stadion beinahe physisch zu spürende, Atmosphäre, die Kraft, die allein durch die Wucht der schieren Zahl auf einen Stadionbesucher (und natürlich auch auf die sportlichen Hauptdarsteller) wirkt, ist durch nichts zu ersetzen.
Und deshalb ist im Regelfall ein Ausfall eines Spieles immer seiner Austragung ohne Fans vorzuziehen. Doch die Regeln sind seit einiger Zeit komplett außer Kraft gesetzt. Und der Terminkalender weiterhin prall gefüllt. Wenn es denn ab dem 19. April die Gesamtlage erlaubt, werden Geisterspiele die einzige Möglichkeit sein, den überlebenswichtigen Spielbetrieb am Laufen zu halten.
Und schon werden Fragen aufgeworfen: Begünstigt das in irgendeiner Art und Weise die eine oder andere Mannschaft? Wenn ja, warum?
Wer qualitativ gut ist, bleibt es auch ohne Zuschauer
Mit einem nüchternen analytischen Blick kann man wohl folgende Regel aufstellen: Je besser eine Mannschaft personell aufgestellt ist, umso weniger wird ihr Leistungspotential von sekundären Faktoren (wie Zuschauer, Wetter, Platzverhältnisse usw.) beeinträchtigt. Bayern München ist schließlich in den vergangenen Jahren nicht deshalb sieben Mal in Folge deutscher Meister geworden, weil sie so tolle Fans haben. Die haben sie zwar auch - und mit durchschnittlich 75.000 Zuschauern in der heimischen Allianz-Arena auch nicht zu knapp -, doch die Bayern wären wohl auch ganz ohne Fans in den letzten Jahren mehr als einmal deutscher Champion geworden.
Im Grunde genommen hat die Frage viel mit der menschlichen Psyche zu tun: Wer sich seinem Gegner per se unterlegen fühlt (was für die meisten der Bayern-Gegner wohl zutrifft), kann aus dem Umstand, wenigstens seine Fans in großer Zahl hinter sich zu wissen, durchaus ungeahnte Kräfte schöpfen. Wie oft wird das Bild des "zwölften Mannes" bemüht, wenn eine vom Papier her schlechtere Mannschaft in der Lage war, einem favorisierten Gegner ein Bein zu stellen?
Nun gibt es Fans - und es gibt Fans. Und deshalb gibt es auch Klubs, in denen die Verbindung zwischen Mannschaft und Anhängern schon aus traditionellen (und vielleicht auch soziologischen) Gründen stärker ist, als in anderen Vereinen.
Klubs mit traditionell "heißblütigen" Fans sind nun im Nachteil
Im Kopf habe ich da, wenngleich ohne direkten aktuellen Bezug, den 1. FC Kaiserslautern.
In meiner Kindheit und frühen Jugend war für mich das Stadion auf dem Betzenberg das Sinnbild einer fast uneinnehmbaren Festung. Eine Trutzburg, die vor allem abends, wenn das gleißende Flutlicht bis auf die Stadt unten im Tal herabschien, zu einem wahren Hexenkessel werden konnte. Die Bayern jedenfalls, die schon in den siebziger Jahren die Vormachtstellung in Deutschland innehatten, bezogen in der Pfalz überproportional oft heftige Prügel. Die Punkte, so der eine oder andere Bayern-Star damals, könne man gleich mit der Post in die Pfalz schicken.
Auch ein Klub wie Werder Bremen, der uns Deutschen in den achtziger Jahren fantastische Europapokalabende (gegen Spartak Moskau, Dynamo Ost-Berlin, Olympique Lyon oder RSC Anderlecht) geschenkt hat, ist ein anschauliches Beispiel dafür, welchen Einfluss auf ein Spiel die gelungene Fusion zwischen Fans und Mannschaft haben kann. Mit einem fast schon fanatisch unterstützenden Publikum im Rücken sind diesen beiden Klubs unzählige Spiele gelungen, die wohl nur so, mit der Wucht ihres Anhangs, gelingen konnten.
Aber nicht jedesmal sind die Rollen bei einem Bundesliga-Spiel klar verteilt. Im Falle von zwei eher gleichstark einzuschätzenden Mannschaften kann dann der Faktor Heimvorteil den Ausschlag geben. Aber Psychologie ist etwas Erratisches, passt sich jeder äußeren Veränderung an. Es gibt ja auch genügend Fälle von Teams, die vor eigenem Publikum, das vielleicht eine bestimmte - überhöhte! - Erwartungshaltung hat, beinahe wie gelähmt wirken.
Für manche Klubs könnten Geister-Heimspiele sogar von Vorteil seien
Der HSV ist dafür ein gutes Beispiel. Zwar war über manche Saison hinweg auch der Volkspark (vor und nach dem Umbau) eine echte Bastion und Punktegarant - aber oft genug hab ich auch Spielzeiten ertragen müssen, in denen sich die Mannschaft in der Fremde weitaus leichter tat als im eigenen Stadion.
Zusammenfassend könnte man vielleicht sagen: Die Mannschaften, die für gewöhnlich vor einem lauten, begeisterungsfähigen Publikum spielen, werden sich mit dem lock-out der Fans schwerer tun, als die Teams, die eher eine ruhigere Fan-Base haben.
Doch komisch oder - um es mit den Worten von Christoph Kramer zu sagen - "wie ein Trainingsspiel" dürfte es wohl fast allen vorkommen, wenn denn irgendwann (vielleicht schon ab dem 19. April) diese Spiele, die eigentlich keiner will, über die Bühne gehen.