Eskalation oder Konsens? Borussia Mönchengladbach und die Fanproblematik

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Nachdem die im Heimspiel gegen die TSG Hoffenheim von Teilen der eigenen Ultras geschmacklos präsentierten Proteste hohe Wellen schlugen, sah sich der Manager von Borussia Mönchengladbach in der Folge zu einer drastischen Ankündigung gezwungen - bei wiederholter Überschreitung der Grenzen der freien Meinungsäußerung seitens der eigenen Zuschauer werde die Mannschaft laut Max Eberl den Platz umgehend verlassen. So nachvollziehbar dieser Schritt des Vereins in Richtung der Wahrung der Eigeninteressen ist, so sehr entfernt er die beiden Parteien voneinander. 

Gerade im Hinblick auf den engen Saisonendspurt in der Bundesliga könnte diese Thematik Gift für die Ambitionen der Borussia bedeuten, befindet sie sich doch sportlich gesehen nach wie vor mehr als im Soll. 90min wagt eine Gegenüberstellung der konträren Ansichten und begibt sich auf die Suche nach dem Konsens zwischen Verein und eigener Fanszene.

Kurz nach Wiederanpfiff präsentierten Teile der Gladbacher Ultras am 23. Spieltag ein Plakat mit dem Konterfei des Hoffenheimer Mäzens Dietmar Hopp in einem Fadenkreuz. Darunter konnte man lesen: "Hurensöhne beleidigen einen Hurensohn und werden von Hurensöhnen bestraft." Daraufhin unterbrach der Unparteiische Dr. Brych die Partie und Max Eberl versuchte die Fans vom Entfernen der Banner zu überzeugen. Einige Minuten später war die Protestaktion beendet und das Spiel lief zerfahren bis zum Schlusspfiff weiter. Die überwiegende Mehrheit der Zuschauer war nur noch mit Bekundungen der Unmut gegenüber den Ultras beschäftigt und das Geschehen auf dem Rasen wurde zur Nebensache. 

Stein des Anstoßes - niveaulos gestaltete Proteste gegen Dietmar Hopp

Nach dem Spiel gaben sich ​Verantwortliche wie Medien sehr emotional und ließen die in der heutigen Zeit dringend nötige Sachlichkeit vermissen - denn natürlich sind die Geschehnisse in der Kurve und deren spontane Bewertung aus der Emotion heraus eingebettet in einen zunehmenden Zustand der Pauschalisierung und des Verfalls der konsensorientierten Diskussionskultur in der Gesellschaft. Um eine Annäherung zwischen dem Verein und seinen Ultras zu erreichen, muss man beiden Lagern die Möglichkeit und den Auftrag geben, die eigenen Handlungen zu rekapitulieren und sich gegebenenfalls bei seinem Gegenüber zu entschuldigen - mindestens jedoch verlangt die Situation eine neutrale Berichterstattung.

Hanau

Um es gleich vorwegzunehmen: Abgesehen davon, dass die Protestaktion eine Form von Hetze und Hass darstellt und den selben zeitlichen Rahmen besetzt, ist die Verquickung der Plakate gegen Hopp mit den Gräueltaten von Hanau in gewissen Punkten unverantwortlich. Sicher hätten die Aktivisten aufgrund der Sachlage von dem Protest absehen können, doch weder war dieser durch die Anschläge motiviert, noch lässt sich in irgendeiner Art eine Verbindung zum Begriff des "Rechtsterrorismus" herstellen. Als der Stadionsprecher die Entfernung der Transparente forderte und die Borussia in seiner Formulierung sinngemäß auch explizit von Rechtsradikalismus ​distanzierte, konnten viele Zuschauer die Plakate gar nicht sehen - in der Live-Übertragung wurden sie zuerst nicht gezeigt und viele Menschen im Stadion standen außer Sicht (dahinter, seitlich). Sicherlich sind beide Vorfälle ähnlichen Ursprungs im Bezug auf die wahrnehmbare Verrohung der Manieren, doch mit Antisemitismus oder rechtem Terror hatte diese Aktion nichts gemein.

Die Sicht der Ultras

Diese Überschrift ist schon falsch, denn "die Ultras" gibt es in diesem Zusammenhang nicht. Es handelt sich um einen groben Zusammenschluss mehrerer Gruppierungen mit unterschiedlichen Ansätzen und Graden der Radikalisierung - normale Bürger die einem Beruf nachgehen und Choreographien und Auswärtsfahrten durch Spenden und Eigenkapital möglich machen, sowie der zu beleuchtende Teil an politisch motivierten Radikalen.

Die Protestaktion wurde von einigen wenigen Individuen in eine selbstverständlich inakzeptable da menschenverachtende und niveaulose Form gegossen und der eigentliche Kontext war im Prinzip nur den Gestaltern klar. Man nutzte die selbe Visualisierung, welche den Fans von Borussia Dortmund mittlerweile Hausverbot in Sinsheim eingebracht hat, und spielte mit der Kopie der Grafik und der Wortwahl auf die vom DFB verhängte Kollektivstrafe der gesamten Anhängerschaft des BVB an. Hierzu sei gesagt, dass der DFB selbst äußerte, auf die Sippenhaft zu verzichten und sich dennoch dem Drängen Hopps oder dem politischen Druck beugte. 

"Kollektivstrafen abschaffen" - die Wahl der Form verhinderte das Vermitteln der Botschaft

Diese Thematik als Aufhänger für einen öffentlich vorgetragenen Protest zu nutzen, ist nachvollziehbar und richtig. Doch abgesehen von der miserablen Umsetzung muss den verantwortlichen Aktivisten klar gewesen sein, dass die meisten anderen Stadiongänger und Fernsehzuschauer den Kontext nicht herstellen können und nur die reine Provokation der Plakate sehen. Wenn man jemandem mit der Faust ins Gesicht schlägt, dann hört derjenige nicht zwangsläufig besser zu. 

Nun aber jeden einzelnen Ultra für die Umsetzung des Protestes verantwortlich zu machen ist eindeutig falsch, da auch hier eine Pauschalisierung vorliegen würde. Der Vorstand des "Fanprojekts Mönchengladbach (FPMG)" bringt es in seiner Verlautbarung auf den Punkt: "Wer Gewalt sucht, hat in unserer Kurve nichts zu suchen! Daher sagen wir eindeutig nicht: Ultras raus!, sondern Kriminelle raus!" Eventuell wäre eine beschwichtigende Aktion der aktiven Szene mit Verstand im nächsten Heimspiel der Gladbacher anzuraten, leider geht es am 25. Spieltag ausgerechnet in die Partie gegen Borussia Dortmund - in der aktuellen Gemengelage wird diese Begegnung sportlich, sowie sportpolitisch als hochbrisant einzustufen sein.

Die Sicht des Vereins  

"Hornochsen" nannte Eberl die Plakatisten nach dem Spiel und legte einige Tage später nach: "Passiert so etwas oder etwas Vergleichbares noch einmal und der Schiedsrichter unterbricht das Spiel, dann gehen wir als Mannschaft vom Platz. Als klares Statement. Als klares Zeichen."

Während man diese Ankündigung schon als sehr drastische Maßnahme einordnen kann, wirft vor allem sein Wunsch nach einer "Selbstreinigung" der Kurve Fragen auf. Zwar gehe es ihm nicht darum, "jetzt kollektiv mit der Gießkanne irgendjemanden zu bestrafen", doch hoffe er, dass "wenn nicht wir sie finden, dann vielleicht andere in der Fankurve". Diese Verlautbarung wird auf wenig Gegenliebe im engen Umfeld der Ultras stoßen. Auch wenn der Ansatz Eberls nicht komplett falsch erscheint, ist er mindestens unglücklich kommuniziert.    

Will hart durchgreifen und hofft auf die Mithilfe der Fans - Max Eberl

Sicherlich steht auch Eberl unter dem Druck der momentan angespannten gesellschaftspolitischen Lage und tut gut daran, sich klar gegen Hetze und Hass zu positionieren. Doch ebenso wie auf der anderen Seite ist die Form der Kritik ausschlaggebend für die weitere Entwicklung. Der Manager scheint nach seinem Verständnis lange genug geredet zu haben - er will jetzt Taten sprechen lassen. Ob seine Aussagen die Situation so stark verschärfen, dass es zum endgültigen Bruch zwischen Verein und Anhängern kommt oder er dadurch eine Revolution der Kurve auslöst, bleibt abzuwarten.

Der Ball liegt bei den Fans

Max Eberl präsentiert sich fortlaufend offensiver - in sämtlichen Bereichen seines Schaffens. Angefangen mit der vorzeitigen Entlassung von Dieter Hecking und der Verpflichtung von Marco Rose, über die Neuorientierung im Bereich "Rentenverträge aus Dankbarkeit" oder die kürzlich bekannt gewordene Trennung vom langjährigen U23-Coach und ehemaligen Gladbacher Stürmer Arie van Lent - Eberl geht den Weg des Erfolges konsequent weiter.

Ein Opfer der offensiven Gladbacher Strategie: Arie van Lent

Natürlich bleibt der familiäre Zusammenhalt weiterhin eines der Markenzeichen der Borussia, doch implementiert der Manager die nun geforderte nötige Stärke in die Führung eines erfolgreichen Vereins und schießt eventuell mit seinem Handeln in der momentanen Krise über das Ziel hinaus - so oder so hat er seinen Zug gemacht und die Ultra-Szene zur Reaktion gebeten. Das FPMG fasst die nun erforderlichen Schritte wunderbar zusammen:

"Wir sind Borussia! Und Borussia steht für andere Werte. Es liegt nun an den Borussen, die sich dem Ultra-Gedanken verschrieben haben, sich zu entscheiden. Ihr seid ein Teil unserer Gemeinschaft und könnt Euch nur selbst aus dieser Gemeinschaft heraus begeben. Wir wollen das nicht, aber wir wollen erst Recht keine Kriminellen in unseren Reihen schützen, durch die der gesamte Verein dauerhaft zu leiden hat. Der Ball liegt nun in Euren Reihen. Seid Euch Eurer Verantwortung bewusst! Für Borussia und für uns alle, als Borussen!"

Die Reaktion wird man spätestens im Heimspiel gegen Borussia Dortmund erwarten können - bis dahin sollte jeder Beteiligte versuchen, so sachlich wie möglich und so kritisch wie nötig auf einen Konsens hinzuarbeiten.