Mesut Özils Rücktrittserklärung im Wortlaut

facebooktwitterreddit

Hier ist die komplette übersetzte Rücktrittserklärung von Mesut Özil im Wortlaut:

​​"Wahrscheinlich hat mich in den letzten Monaten am meisten die Misshandlung des DFB gestört, spezifisch diejenige von DFB-Präsident Reinhard Grindel. Nach meinem Foto mit Präsident Erdogan wurde ich von Joachim Löw gebeten, meinen Urlaub abzubrechen und nach Berlin zu kommen, um eine gemeinsame Stellungnahme zur Richtigstellung der Sachlage zu  geben. Während ich versucht habe, Grindel meine Herkunft und damit das Foto zu erklären, war er viel mehr daran interessiert, über seine eigenen politischen Meinungen zu reden und meine Stellung herabzusetzen. Obwohl seine Handlungsweise herabsetzend war, haben wir uns darauf verständigt, dass die Konzentration auf den Fußball und die anstehende WM das beste wäre. Deshalb war ich nicht beim DFB-Media-Day während der WM-Vorbereitung dabei. Ich wusste, dass Journalisten, die nur Politik und nicht Fußball diskutieren, mich attackieren werden, obwohl die Debatte nach einem TV-Interview mit Oliver Bierhoff vor dem Spiel gegen Saudi Arabien in Leverkusen als beendet galt. 

​Während dieser Zeit habe ich auch den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier getroffen. Im Gegensatz zu Grindel verhielt sich Steinmeier wirklich professionell und zeigte Interesse daran, was ich zu meiner Familie, Herkunft und meinen Entscheidungen zu sagen hatte. Ich erinnere mich daran, dass am Meeting nur ich, Steinmeier und Ilkay Gündogan teilnahmen, während Grindel darüber verärgert war, dass er nicht dabei sein durfte um seine eigene politische Agenda anzutreiben. Ich habe mich mit Steinmeier darüber verständigt, dass wir eine gemeinsame Stellungnahme zur Thematik veröffentlichen, in einem weiteren Versuch, vorwärts zu kommen und sich auf den Fußball zu konzentrieren. Grindel war aber darüber verärgert, dass sein Team nicht die erste Stellungnahme veröffentlichte und genervt, dass Steinmeiers Presseabteilung in dieser Sache die Führung übernahm. 

​​Seit dem Ende der Weltmeisterschaft geriet Grindel aufgrund seiner Entscheidungen vor dem Turnierstart unter großen Druck, und dies zu Recht. Zuletzt sagte er öffentlich, dass ich meine Handlungen erklären sollte und machte mich für die schlechten Resultate in Russland verantwortlich, obwohl er mir in Berlin gesagt hat, dass das Thema beendet sei. Ich spreche jetzt nicht für Grindel, sondern weil ich es will. Ich werde nicht länger als Sündenbock für seine Inkompetenz und Unfähigkeit, seinen Job richtig auszufüllen, dastehen. Ich weiß, dass er mich nach dem Foto nicht mehr in der Mannschaft haben wollte, und hat auch seine Meinung auf Twitter ohne jegliche Konsultation publiziert, aber Joachim Löw und Oliver Bierhoff haben sich für mich eingesetzt und unterstützten mich. In den Augen von Grindel und seinen Unterstützern bin ich nur ein Deutscher, wenn wir gewinnen, aber ein Einwanderer, wenn wir verlieren. Dies passiert, da ich - obwohl ich meine Steuern in Deutschland zahle, Schulen in Deutschland Spenden gebe und mit Deutschland die WM 2014 gewonnen habe - weiterhin nicht von der Gesellschaft akzeptiert werde. Ich werde wie ein 'Anderer' behandelt. Ich habe im Jahre 2010 den Bambi als Beispiel für erfolgreiche Integration in die deutsche Gesellschaft, 2014 das Silberne Lorbeerblatt von der Bundesrepublik Deutschland bekommen und war 2015 Deutscher Fußballbotschafter. Aber offensichtlich bin ich kein Deutscher...? 

Gibt es irgendwelche Kriterien für das vollständige Deutschsein, die ich nicht erfülle? Meine Freunde Lukas Podolski und Miroslav Klose werden nie als Deutsch-Polen bezeichnet, wieso werde ich dann als Deutsch-Türke bezeichnet? Durch die Bezeichnung Deutsch-Türke werden Menschen mit einer Familie aus mehr als einer Nation unterschieden. Ich bin in Deutschland geboren und wurde hier ausgebildet, wieso akzeptieren also Menschen nicht, dass ich ein Deutscher bin?

Seite 2

​Grindels Meinungen kann man auch woanders finden. Bernd Holzhauer (ein deutscher Politiker) nannte mich einen "Ziegenficker" wegen des Erdogan-Fotos und meiner türkischen Herkunft. Zudem hat Theater-Chef Werner Steer mir gesagt: "Verpiss dich nach Anatolien", ein Ort in der Türkei, wo viele Einwanderer ansässig sind. Wie ich es schon in der Vergangenheit gesagt habe: mich wegen der Herkunft meiner Familie zu kritisieren und zu beleidigen ist eine schändliche Linie zum Überschreiten, und Diskriminierung als Werkzeug für politische Propaganda zu nutzen ist etwas, das sofort im Rücktritt dieser respektlosen Personen resultieren sollte. Diese Menschen haben mein Foto mit Erdogan als Gelegenheit genutzt, um ihre zuvor verborgenen rassistischen Tendenzen zu offenbaren, und dies ist für die Gesellschaft gefährlich. Sie sind nicht besser als der deutsche Fan, der mir nach dem Spiel gegen Schweden sagte: "Özil, verpiss dich du scheiß Türkensau. Türkenschwein hau ab." Ich will die Hassmail nicht mal diskutieren, die bedrohenden Telefonanrufe und Kommentare in den sozialen Medien, die ich und meine Familie bekommen haben. Sie alle repräsentieren das Deutschland der Vergangenheit, ein nicht für neue Kulturen offenes Deutschland, ein Deutschland, auf das ich nicht stolz bin. Ich bin mir sicher, dass viele stolze Deutsche, die eine offene Gesellschaft gutheißen, mir beistimmen würden.

​In Sie, Reinhard Grindel, bin ich enttäuscht, aber nicht über ihre Handlungen überrascht. Im Jahre 2004, als sie ein Bundestagsabgeordneter waren, sagten sie, dass "Multikulturalität in der Realität ein Mythos und eine lebenslange Lüge ist", während sie bei Gesetzgebungsverfahren gegen doppelte Staatsangehörigkeiten und Bestechungsstrafen wählten und sagten, dass die islamische Kultur viel zu sehr in vielen deutschen Städten verwurzelt sei. Dies ist unverzeihlich und unvergessbar. 

Die Behandlung, die ich vom DFB und vielen anderen bekommen habe, bringt mich dazu, dass ich nicht mehr das Trikot der deutschen Nationalmannschaft tragen möchte. Ich fühle mich unerwünscht und denke, dass all meine Errungenschaften seit meinem Debüt im Jahr 2009 vergessen wurden. Menschen mit rassistisch diskriminierendem Hintergrund sollte man nicht erlauben, beim größten Fußballverband der Welt zu arbeiten, der viele Spieler mit doppelter Herkunft hat. Solche Haltungen reflektieren einfach nicht die Spieler, die sie angeblich repräsentieren. Schweren Herzens und nach langen Überlegungen habe ich mich dazu entschlossen, wegen den letzten Begebenheiten nicht länger für Deutschland auf internationaler Ebene zu spielen, solange ich dieses Gefühl des Rassismus und der Respektlosigkeit verspüre. Früher habe ich das deutsche Trikot mit solchem Stolz und solcher Aufregung getragen, aber dies ist heute nicht mehr der Fall. Diese Entscheidung zu treffen war für mich sehr schwer, da ich immer alles für meine Mannschaftskameraden, die Trainer sowie die gute Menschen Deutschlands gegeben habe. Wenn aber hochrangige DFB-Offizielle mich so behandeln, wie sie es getan haben, meine türkischen Wurzeln nicht respektieren und mich für politische Propaganda selbstsüchtig nutzen, dann ist genug genug. Deshalb spiele ich nicht Fußball, ich werde mich nicht zurücklehnen und nichts dagegen tun. Rassismus sollte nie akzeptiert werden."​