Noch lange nicht in WM-Form: 3 niederschmetternde Erkenntnisse zum DFB-Team
Von Hendrik Gag

Am Ende hat die DFB-Elf die Aufgabe erledigt bekommen. In Luxemburg gewann die deutsche Nationalmannschaft mit 2:0 durch einen Doppelpack von Nick Woltemade. Freude konnte dennoch nicht aufkommen. Besonders in Halbzeit eins hatte Deutschland einen erschreckenden Auftritt hingelegt.
Der Underdog aus Luxemburg, Nummer 97 der Weltrangliste, war über große Teile die bessere Mannschaft. "Wir hätten ein Gegentor verdient gehabt. Aber wir haben keines gekriegt, da können wir uns glücklich schätzen", sagte Bundestrainer Julian Nagelsmann nach Abpfiff.
Seine Mannschaft ist noch weit davon entfernt, um den WM-Titel im kommenden Sommer mitspielen zu können. Das hat spätestens dieser Freitagabend gezeigt. Doch woran hapert es konkret? Diese drei Aspekte fielen in Luxemburg besonders auf.
1. Alte Probleme gelöst, neue geschaffen
Zum Beginn die positive Erkenntnis: Die deutsche Nationalmannschaft hat endlich einen treffsicheren Stürmer auf Top-Niveau.
Seit dem Rücktritt von Miroslav Klose 2014 haben Jogi Löw, Hansi Flick und Julian Nagelsmann zahlreiche Namen im Sturmzentrum ausprobiert. Egal ob echte Stoßstürmer wie Mario Gomez oder Niclas Füllkrug oder falsche Neuner wie Mario Götze oder Kai Havertz - niemand war die langfristige Antwort.
Mit Nick Woltemade hat der DFB nun endlich seinen Stürmer für die nächsten Jahre gefunden. Doch in den letzten Jahren war der fehlende Neuner häufig die größte Schwachstelle in einer ansonsten funktionierenden Mannschaft. Nun ist Woltemades Abschlussqualität einer der wenigen Aspekte, die im deutschen Spiel positiv auffallen.
Neue Probleme verhindern, dass das DFB-Team mit einem kaltschnäuzigen Stürmer in die Weltspitze aufsteigen kann.
2. Stars rufen ihr Potenzial nicht ab
Eines der größten dieser Probleme ist: Zu viele Spieler, die in ihren Vereinen regelmäßig Top-Leistungen bringen, rufen diese im DFB-Team nicht ab. Symbolisch für dieses Phänomen standen am Freitagabend Jonathan Tah und Serge Gnabry.
Beide sind in dieser Saison Leistungsträger beim FC Bayern, der vielleicht zurzeit besten Mannschaft in Europa. Doch am Freitag wirkten beide zeitweise überfordert mit dem Gegner aus Luxemburg.
Gnabry blieb bis zu seiner Auswechslung in der 66. Minute völlig blass. Tah strahlte nicht die gleiche Sicherheit aus, die ihn im Bayern-Dress auszeichnet.
In der 36. Minute brachte der Innenverteidiger Keeper Oliver Baumann mit einem katastrophalen Fehlpass unter Druck. Der Hoffenheimer konnte gerade noch rechtzeitig klären. Ansonsten hätte der krasse Underdog wohl zur Führung getroffen. Dass Tah eine ähnlich schlechte Entscheidung im Bayern-Dress trifft, ist derzeit nur schwierig vorstellbar.
Und auch Leon Goretzka, der im Gegensatz zu Tah und Gnabry in München kein unumstrittener Stammspieler ist, fällt im DFB-Dress deutlich negativer auf als beim FCB.
An individueller Qualität mangelt es dem Team nicht. Die Probleme liegen deutlich tiefer, wenn so viele Spieler in guter Form plötzlich neben sich stehen.
3. Zu viele Profile fehlen
Um zu erklären, warum so viele Spieler ihr Potenzial nicht abrufen, ist eine von Nagelsmanns Lieblingsvokabeln dieser Woche nützlich: Profile. Der deutschen Mannschaft fehlen zu viele Profile, um als Mannschaft zu funktionieren und so das Beste aus jedem Spieler herauszuholen.
Oder vereinfacht gesagt: Die deutschen Spieler ergänzen sich nicht. Die Schwächen des einen werden nicht von den Stärken des anderen aufgefangen.
Es gibt zu viele wichtige Fähigkeiten, die niemand im Team mitbringt. Das hat der Bundestrainer unter der Woche zwischen den Zeilen zugegeben, als er über die Nominierung von Leroy Sané sprach und diese mit seinem Profil begründete.
Keine Dribbler verfügbar
"Es wäre schwieriger für ihn gewesen, nominiert zu werden, wenn wir sechs oder sieben Spieler seines Profils hätten", so Nagelsmann. Bedeutet: Der Bundestrainer will einen Dribbler auf dem Flügel dabei haben. Es gibt aber keine andere Option als Sané.
Daher ist der ehemalige Bayern-Star dabei, obwohl seine Leistungen in der Türkei überschaubar sind. "Die von mir erwarteten Statistiken hat er noch nicht erreicht", gab Nagelsmann zu.
Es bleibt ihm aber keine Wahl. Denn: Um Erfolg zu haben, braucht es einen Spieler auf den Außenpositionen, der seinen Gegner im Eins-gegen-Eins schlagen kann.
Bis auf Sané bringt im aktuellen DFB-Kader nur der Kölner Said El Mala das Profil mit. Einzig ein Spieler von Galatasaray mit vier Torbeteiligungen (drei Tore, ein Assist) in zwölf Süper-Lig-Spielen und ein 19-Jähriger mit insgesamt zehn Bundesliga-Einsätzen können diese wichtige Aufgabe erfüllen. Bei diesem Satz sollten im Hinblick auf die WM alle Alarmglocken angehen.
Probleme auf vielen Positionen
Und ja: Sanés Leistung war in Luxemburg nicht das Problem. Trotzdem stehen Nagelsmanns Aussagen unter der Woche stellvertretend für die Probleme auf vielen Positionen.
Auch ein Sechser, der Physis und gutes Passspiel vereint, fehlt. Joshua Kimmich und Aleksandar Pavlovic könnten gemeinsam die Lösung für die Doppelsechs sein. Kimmich muss jedoch regelmäßig als Rechtsverteidiger ran. Weil dort ein Spieler von internationalem Format fehlt.
Und so kommen die Spieler beim DFB in eine Mannschaft, in der ein Rädchen nicht ins andere greift. Dort zu funktionieren ist selbst für die Bayern-Stars, die es gewohnt sind, Teil eines perfekt abgestimmten Uhrwerks zu sein, nicht leicht.
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