Gruselige Zahlen: Der HSV hat ein Stürmer-Problem
Von Lennart Fitzler

"Wir wissen, dass wir in jedem Spiel bei unseren 100 Prozent sein müssen. Und selbst, wenn wir bei diesen 100 Prozent sind, kann es in der Bundesliga trotzdem so sein, dass es nicht reicht, Punkte oder einen Sieg zu holen." Das hatte HSV-Trainer Merlin Polzin zuletzt nach der Partie in Leipzig über seine Mannschaft gesagt und damit ein Problem festgemacht, welches den HSV in der laufenden Saison noch öfters ereilen könnte. Prompt bewahrheitete sich dieses bittere Problem erneut.
Der Hamburger SV spielte in den letzten Wochen durchaus ansehnlichen Fußball, keine Frage – nur das Toreschießen blieb auf der Strecke. Einzig beim Heimspiel gegen Mainz kamen die Rothosen in dieser Saison in einen Torrausch (4:0). Das zeigt auch die Torstatistik: Die Rothosen konnten in acht Spielen bisher nur sieben Tore erzielen. Zweitschlechtester Wert in der gesamten Liga.
In einer Negativ-Statistik besser als Champions-League-Teilnehmer
Schaut man als HSV-Fan auf die Zahlen, kann einem angst und bange werden. Die Hanseaten schossen in den ersten acht Bundesliga-Partien insgesamt unglaubliche 114-Mal auf das gegnerische Tor – und erzielten mickrige sieben Tore! Das sind deutlich mehr Schüsse, als beispielsweise der BVB (106) und Eintracht Frankfurt (97) abgegeben haben.
"Wir hatten zuletzt viele Spiele, in denen wir besser waren."
- Yussuf Poulsen zu den letzten Partien
Dazu kommt, dass der HSV in den letzten vier Spielen immer mehr Torschüsse als das gegnerische Team vorweisen konnte. Gegen Wolfsburg stand es zuletzt 27:6 nach Schüssen aufs Tor für den HSV. Dennoch gewannen die Wölfe mit 1:0 und konnten aus ihrer Sicht wichtige drei Punkte aus dem Volksparkstadion entführen. Wichtige drei Punkte, die Merlin Polzin und seiner Mannschaft sicherlich genauso gutgetan hätten. "Wir hatten zuletzt viele Spiele, in denen wir besser waren", wird Kapitän Yussuf Poulsen in einem Bericht der BILD zitiert. Wieso also gewinnt der HSV nicht mehr?
Zahlen und Fakten | HSV | Rest der Bundesliga |
|---|---|---|
Schüsse für ein | 16 Schüsse | 5 Schüsse (Bayern o. Frankfurt) |
Torlose Partien | 5 Spiele | Keine Mannschaft bisher so schlecht außer Gladbach (6) |
Großchancenver- | 20% | 52% |
xGoals-Wert: | 10,5 | Keine Mannschaft bisher so schlecht |
Hat der HSV ein Stürmer-Problem?
Das wohl am größten diskutierte Thema beim HSV derzeit ist definitiv die Mittelstürmer-Personalie. In allen bisher gespielten Bundesliga-Partien war Ransford Königsdörffer von Anfang an gesetzt, doch der war der bisher formschwächste Spieler des gesamten Kaders. Der 24-Jährige kam in diesen acht Spielen bisher auf keine einzige Torbeteiligung – nicht einmal seinen Elfmeter gegen Wolfsburg konnte er verwandeln.
Es mangelt dem Deutsch-Ghanaer einfach an Selbstbewusstsein und ein wenig Spielglück, denn Chancen hatte Königsdörffer bisher auf jeden Fall genug, um sein erstes Bundesliga-Tor zu erzielen. Der verschossene Elfmeter gegen Wolfsburg dürfte sein fehlendes Selbstbewusstsein nochmal verschlimmert haben. Der HSV hat also faktisch einen "Stürmer", der keine Tore schießt. Die anderen beiden Alternativen, Yussuf Poulsen und Robert Glatzel, konnten bislang auch noch nicht überzeugen.
Poulsen kam in der 64. Spielminute in die Partie, konnte aber nicht viel vor dem Wolfsburger Tor ausrichten. Es war ersichtlich, dass dem Dänen nach seinen Verletzungen Spielpraxis fehlte. Bobby Glatzel saß sogar nur auf der Tribüne. Eine Entscheidung, die laut Trainer Polzin unheimlich schwer gewesen sein soll, die aber als Fan überhaupt nicht zu verstehen war. Glatzel bekam zuletzt unter Polzin überhaupt keine Chance mehr, wurde immer Königsdörffer untergeordnet, weil dieser Polzins taktische Vorgaben deutlich besser umsetzen würde.
An dieser Stelle muss man aber festhalten: Der HSV hat ein Stürmer-Problem. Ein Stürmer wie Königsdörffer, der zwar taktische Vorgaben umsetzt, aber keine Tore schießt, reicht im deutschen Oberhaus einfach nicht aus. Ein Stürmer wie Poulsen, der zwar vorangeht und seine Sache als Kapitän durchaus gut macht, aber immer wieder verletzt ist und dadurch kaum Spielpraxis erfährt, reicht einfach nicht aus. Und einen Stürmer mit der Qualität eines Glatzel zu degradieren, erscheint in der aktuellen Torflauten-Situation wie eine kindische Machtdemonstration des Trainers.
Fakt ist: Von den zahlreichen Flanken von den Außenbahnen im Wolfsburg-Spiel hätte Robert Glatzel mindestens eine per Kopf verarbeiten können.
Was muss sich ändern?
Rotation muss her. Königsdörffer hatte mehr als genug Chancen, um sich in der Bundesliga zu beweisen – jetzt sind Glatzel oder auch Poulsen an der Reihe. Königsdörffer benötigt eine Pause auf der Bank, um sich seiner alten Stärken wieder bewusst zu werden und vor allem um ihn aus der Schussbahn des öffentlichen Drucks zu nehmen. Wenn Merlin Polzin das nicht erkennen sollte, dürfte man an seiner Fähigkeit als Mannschaftsführer zweifeln.
Außerdem sollten sich die HSV-Bosse im Winter einmal auf dem Transfermarkt umschauen. Da der Vertrag von Königsdörffer im kommenden Sommer ausläuft, könnte man schon jetzt nach einer Alternative schauen, einem ähnlichen Stürmer-Typen, der aber gleichzeitig noch mehr Torgefahr ausstrahlt. Denn sollte Königsdörffer in den nächsten Wochen weiter unterperformen, sollte man sich beim HSV überlegen, ob man einen solchen Spieler wirklich langfristig binden will, zumal er zu den Topverdienern im Kader aufsteigen will.
Fest steht also: Es können nicht nur die Flügelstürmer und Mittelfeldspieler für HSV-Tore sorgen, es braucht einen Mittelstürmer, der nicht nur der Mannschaft auf dem Platz hilft, sondern eben auch Tore schießt. Ob das einer aus den eigenen Reihen ist oder ein Neuzugang im Winter, bleibt abzuwarten. Außerdem muss der HSV generell an seiner Effizienz vor dem gegnerischen Tor arbeiten – genügend Möglichkeiten, um Tore zu erzielen, sind ja da. Ansonsten könnte es dunkel werden in Sachen Klassenerhalt, denn ohne Tore wird man in der Bundesliga, auch mit eigentlich sonst schönem Fußball, nicht bestehen.
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