Geht der Titeltraum weiter? Die Tipps zum DFB-Halbfinale gegen Spanien
Von 90min-Redaktion

Nach diesem Viertelfinale gegen Frankreich brauchen die DFB-Frauen erstmal ein wenig Zeit: Zum emotionalen Herunterkommen, und zum Erholen der müden Muskeln. Zu zehnt hatte Deutschland gegen die Französinnen über 110+ Minuten stark dagegengehalten, vor keinem Sprint und keiner Grätsche zurückgeschreckt.
Mit dem Sieg im Elfmeterschießen bekam das Viertelfinale seinen würdigen Abschluss und geht schon jetzt als eins der legendärsten Spiele einer Frauen-EM in die Geschichtsbücher ein. Allzu viel Zeit bleibt aber nicht, um die Nerven zu beruhigen und die Beine auszustrecken. Am Mittwoch, 23. Juli, um 21 Uhr, treffen die DFB-Frauen im Züricher Letzigrund auf die Weltmeisterinnen aus Spanien. Die 90min-Tipps zum Spiel.
Adriana Wehrens: Die Reise geht weiter
Was eine Leidenschaft und Laufleistung hat die deutsche Nationalmannschaft im Viertelfinale gegen Frankreich auf den Platz gebracht! Die wenigsten hätten nach der durchwachsenen Gruppenphase erwartet, dass das DFB-Team noch zu so einem Auftritt im Stande gewesen wäre. Gegen die Französinnen war genauso dieser Einsatzwille notwendig, doch gegen Spanien wird allein das nicht reichen. Die amtierenden Weltmeisterinnen und Favoritinnen auf den Titel sind nicht nur für ihr Tiki-Taka-Spiel bekannt, sondern auch für ihre Abgezocktheit, gerade gegen große Gegner.
Beim letzten Aufeinandertreffen bei Olympia 2024 im Spiel um Platz Drei ist Deutschland zwar mit 1:0 und einem gehaltenen Elfmeter kurz vor Schluss als Sieger vom Platz gegangen, gilt allerdings trotzdem als Außenseiter im anstehenden Duell. Immerhin haben die Spanierinnen bei dieser Europameisterschaft bisher alle Spiele gewonnen und sich vor allem in der Offensive in bester Torschusslaune präsentiert, wie etwa mit Stürmerin Esther González, welche die EM-Torschützinnenliste mit vier Treffern anführt. Und nebenbei stehen mit Aitana Bonmatí und Alexia Putellas ja auch noch die beiden Weltfußballerinnen der letzten Jahre in der Startelf, die nur schwer in den Griff zu bekommen sind.
Vom DFB-Team muss zusätzlich zur zuletzt gezeigten Laufleistung und Körperlichkeit nun auch das Spielerische wieder stimmen, was in Unterzahl gegen Frankreich noch schwierig zu erreichen war. Personaltechnisch könnte ich mir gut vorstellen, dass die Abwehrkette aus der Partie gegen Frankreich mit Kleinherne – Minge – Knaak – Kett bestehen bleibt bzw. eventuell die zurückkehrende Wamser als Rechtsverteidigerin beginnt. Statt der gesperrten Nüsken wäre Sydney Lohmann die offensivere Option, während Sara Däbritz dem Aufbauspiel mehr Stabilität verleihen könnte.
Wenn die deutsche Mannschaft eine ähnlich starke Leistung wie im Viertelfinale abliefern kann, wird alles möglich sein. Gegen Spanien erwarte ich ein enges Spiel auf Augenhöhe, das Deutschland letztendlich in der Verlängerung mit 2:1 für sich entscheidet.
Helene Altgelt: Doppelter mentaler Vorteil reicht gegenüber doppeltem spielerischen Nachteil nicht
Als "bestia negra" wird Deutschland in Spanien bezeichnet: Als schwarzes Monster, die Angstgegnerinnen von La Roja. In seiner Geschichte konnte Spanien noch nie gegen Deutschland gewinnen, und besonders schmerzhaft war die letzte Niederlage. Bei Olympia 2024 verlor das favorisierte Spanien im Match um die Bronzemedaille gegen Deutschland. Damit haben die DFB-Frauen eigentlich einen doppelten mentalen Vorteil.
Erstens eben diese Historie als Angstgegnerinnen - die auch beim Viertelfinale gegen Frankreich wohl schon eine Rolle gespielt hat -, und zweitens die beeindruckende Leistung in Unterzahl gegen Frankreich. Eine Leistung, die Spanien ganz klar signalisierte: Dieses deutsche Team wird nicht leicht zu schlagen sein, es kann aus den widrigsten Umständen ein Comeback feiern, kann in Form von Ann-Katrin Berger die unmöglichsten Bälle von der Linie kratzen, und wird in Zweikämpfen extrem unangenehm sein. Außerdem konnte Spanien selbst beim glanzlosen 2:0 gegen die Schweiz im Viertelfinale wenig Selbstvertrauen schöpfen.
Dem gegenüber steht allerdings ein doppelter fußballerischer Nachteil: Erstens sind die deutschen Beine nach höchst intensiven 120 Minuten müde - Aitana Bonmati hatte sich schon vor dem Spiel eine Verlängerung erhofft, und bekam ihren Wunsch erfüllt, zweitens sind selbst die Beine, die nur müde und nicht verletzt sind, rar. Gerade in der Abwehr geht Deutschland auf dem Zahnfleisch, Bundestrainer Wück muss immerhin kaum unangenehme Entscheidungen treffen - die Elf stellt sich selbst auf. Zudem die individuelle Qualität auch vor den Verletzungen deutlich geringer war als die Spaniens.
Was zählt also mehr? Ich glaube, dass ein zweites Wunder immer noch schwerer ist als das erste. Zudem sich, bei aller Euphorie, im Viertelfinale spielerische Schwächen zeigten. 50% Passquote sind selbst zu zehnt sehr schwach, einige Offensivmöglichkeiten wurden miserabel ausgespielt. Die Schweiz scheiterte trotz einer über weite Strecken sehr starken Verteidigungsleistung gegen Spanien, weil sie ebendiese Situationen auch nicht nutzen. Ich tippe auf ein 2:1 für Spanien in der regulären Spielzeit.
Carmen Stadelmann: Folgt das Wunder von Zürich auf das Wunder von Basel?
So ganz habe ich das Viertelfinale gegen Frankreich noch nicht verarbeitet, mental bin ich noch im St.Jakob-Park und bejuble jede Klärungsaktion der deutschen Nationalmannschaft. Die Stimmung dort trug nicht nur die Spielerinnen ins Halbfinale, sie euphorisierte auch alle Zuschauenden. Doch genau diese Euphorie kann so trügerisch sein. Nach dem Viertelfinalkrimi war ich mir sicher: Die DFB-Frauen gewinnen diese Europameisterschaft.
Mit ein paar Tagen Abstand wird aber immer deutlicher, dass auf das Wunder von Basel das Wunder von Zürich folgen muss. Die Hürde könnte dabei größer nicht sein. Die Spanierinnen sind die Titelfavoritinnen Nummer Eins und wurden diesem Anspruch im bisherigen Turnier auch gerecht. Ihr Spielstil ist klar: dominant, kurze Abstände, aggressives Gegenpressing und genaues Kurzpassspiel.
Womit sie allerdings nicht klarkommen, ist eine destruktive Spielweise des Gegners – und genau das zeigten die DFB-Frauen gegen Frankreich par excellence. Zudem sind die Spanierinnen nicht unverwundbar, so haben sie im defensiven Umschaltspiel einige Probleme. Eigentlich decken die Stärken des deutschen Teams die Schwächen der Weltmeisterinnen ideal ab.
Doch Spaniens Mannschaft ist gespickt mit Weltklasse. Spielerinnen wie Aitana Bonmati, Alexia Putellas oder Claudia Pina werden sicherlich Wege finden, um Deutschland wehzutun. Hinzu kommt, dass Christian Wück auf gleich mehrere Spielerinnen verzichten und seine Startelf abermals umschmeißen muss. Besonders schwer dürfte dabei die Gelb-Sperre von Sjoeke Nüsken wiegen.
Doch auch hier sehe ich eine Chance: Bisher zeigte sich, dass sich Wück auf alle Ergänzungsspielerinnen im Kader verlassen kann. Sei es eine Franziska Kett, Carlotta Wamser oder Sophia Kleinherne – diese Spielerinnen haben Bock, sich zu zeigen und das spiegelt sich auch auf dem Rasen wider. Mein Tipp ist ein knapper 2:1-Sieg für die deutsche Nationalelf. Zwar wird Spanien spielerisch die deutlich bessere Mannschaft sein, doch letztendlich entscheidet dann die gute alte deutsche Mentalität das Spiel - und die DFB-Frauen werden die Partie tatsächlich mal zu elft beenden.