Die DFB-Frauen im EM-Formcheck: Das Mittelfeld - Kreativität nach Umbruch?
Von Helene Altgelt

Klar, die Stürmerinnen schießen die Tore und die Verteidigerinnen klären, was es so zu klären gibt. Aber die wahren Fußball-Intellektuellen wussten natürlich schon immer um die Wichtigkeit des Mittelfelds: Die Schaltzentrale, durch die das ganze Spiel läuft. Spanien, das dominanteste Team im Frauenfußball der letzten Jahre, konnte diesen Status nicht nur, aber doch vor allem durch ein extrem ballsicheres und spielintelligentes Mittelfeld um Aitana Bonmati und Alexia Putellas erreichen.
Auch bei den DFB-Frauen wird die Leistung des Mittelfelds für den Erfolg bei der EM entscheidend sein. Ohne Lena Oberdorf, die noch an den Folgen ihres Kreuzbandrisses laboriert, wird Deutschland mit einem international eher unerfahrenen Mittelfeld in das Turnier gehen. Wie steht die Elf von Christian Wück im internationalen Vergleich da? Der Formcheck.
Das Wück-Profil im Mittelfeld: Cleverness und Ballsicherheit
Am Ball kann das Mittelfeld der DFB-Frauen einiges, das steht außer Frage. Im zentralen Mittelfeld werden wohl Elisa Senß und Sjoeke Nüsken auflaufen, vielleicht auch Sydney Lohmann, und auf der Zehn wird wohl Linda Dallmann starten. Alles Spielerinnen, die sich in engen Räumen wohlfühlen, die sich auch mal clever mit einem Dribbling befreien können, die ballsicher sind. Das ist diejenige Qualität, die das DFB-Mittelfeld am stärksten ausmacht, und sie von anderen Teams abhebt (Spanien mal ausgenommen). Gerade gegen Teams, die ein hohes Pressing spielen, kann diese Qualität wertvoll sein.
Wie aber kommt der Ball vom Mittelfeld in den Angriff? Dort hat Bundestrainer Christian Wück verschiedene Optionen zur Verfügung. Elisa Senß spielt gerne den Ball in die Schnittstelle, Sydney Lohmann nimmt ihn am liebsten selbst mit, Sjoeke Nüsken kann feine Seitenverlagerungen spielen und Linda Dallmann steckt schön durch.
Es gibt also viel Variabilität im Angriffsspiel - die wird aber auch nötig sein. Bei der WM 2023 fehlte es genau an diesen Überraschungsmomenten, das Offensivspiel der DFB-Frauen war zu statisch und vorhersehbar. Seitdem haben sich viele Teile des Teams verändert, besonders aber das Mittelfeld: Keine der Startelfkandidatinnen von Wück stand im letzten WM-Gruppenspiel gegen Südkorea in der Startelf, lediglich Lohmann wurde eingewechselt. Wück und sein Vorgänger Hrubesch haben erkannt, dass es frischen Wind im Mittelfeld braucht, und Spielerinnen wie Nüsken und Senß gefördert.
Genug Erfahrung und Physis für die EM im Mittelfeld von Deutschland?
Das wirkte erfrischend, allerdings gibt es auch Kritikpunkte beim deutschen Mittelfeld. Die Schaltzentrale von Wück ist international relativ unerfahren - Nüsken war zwar diese Saison Stammspielerin bei Chelsea in der Champions League, aber Senß spielte mit Frankfurt nicht international, und Dallmann war bei Bayern München nicht immer gesetzt. In kritischen Situationen könnte es etwas an Ruhe mangeln - aber das ist vielleicht der Preis, den es zu zahlen gilt, um mehr Kreativität zu bekommen.
Mit Sjoeke Nüsken hat das deutsche Mittelfeld auch eine Spielerin in seinen Reihen, die ihre Torgefahr bereits unter Beweis gestellt hat - die restlichen Mittelfeldspielerinnen sind dagegen bisher weniger als wichtige Goalgetterinnen aufgefallen.
Genauso wichtig wie die individuelle Leistung dürfte beim Mittelfeld aber die Taktik von Bundestrainer Christian Wück sein, gerade gegen den Ball. Gegen Österreich und die Niederlande, in den letzten zwei Nations-League-Spielen, fuhren die DFB-Frauen ein durchaus riskantes Pressing, durch das viele Bälle abgefangen wurden. Aber gegen Spielerinnen, die den Pressingmechanismus durchblicken und denen die Kugel am Fuß kleben bleibt, könnte es schwieriger werden. Die ganz große Physis hat Deutschland in Abwesenheit von Lena Oberdorf nicht im Kader, auch wenn Elisa Senß durchaus giftig spielen kann.
DFB-Mittelfeld weniger eingespielt als andere Teams
Ob das Pressing funktioniert wie geplant, hängt auch von der Eingespieltheit ab - dieser Punkt könnte für Deutschland noch zum Nachteil gegenüber anderen Teams werden. Denn in der Formation Senß-Nüsken-Dallmann oder auch Senß-Lohmann-Dallmann wurde bisher wenig gespielt, seit dem Aus von Martina Voss-Tecklenburg als Bundestrainerin gab es zahlreiche Personalrochaden im Mittelfeld. Bei anderen Teams kennt man sich im Mittelfeld teils seit der U19 - damit entsteht eine Art der Verbindung, die schwer in wenigen Tagen Trainingslager aufzuholen ist. Das Duo Senß-Nüsken kam sich in einigen Spielen ein wenig in die Quere, zu oft wollten beide die gleichen Räume besetzen.
Das Fazit zum Mittelfeld: Deutschland hat viele talentierte Spielerinnen, und mit Sara Däbritz oder Laura Freigang auch starke Backups. Die nötige Kreativität und Ballsicherheit unter Druck bringen sie mit, und unter Wück ist ein klares Anforderungsprofil an die Mittelfeldspielerinnen erkennbar. Aber bei der EM könnte dieses international verhältnismäßig unerfahrene Mittelfeld dennoch in einigen Momenten überfordert sein.
Spanien beim Mittelfeld das Maß aller Dinge
Wie sieht es aber im internationalen Vergleich aus? Spanien setzt im Mittelfeld hier die Maßstäbe: Die Kombination aus Patri Guijarro auf der Sechs und vor ihr Aitana Bonmati und Alexia Putellas ist schon jahrelang erprobt. Und das nicht nur in den "camisetas", den Trikots des Nationalteams, sondern auch den blau-roten Jerseys des FC Barcelona. Seit 2016 (!), seit fast zehn Jahren also, spielt das Trio dort schon zusammen, und seit mindestens sieben Jahren als klare Stammspielerinnen. Alle drei Spielerinnen befinden sich technisch wie von der Passqualität her auf dem höchsten Niveau - stoppen kann man dieses Mittelfeld kaum, höchstens neutralisieren.
Aber, Glück für Deutschland: Bei den anderen Mitfavoritinnen sieht es etwas weniger furchterregend aus. Bei England sieht es ganz danach aus, als würde Trainerin Sarina Wiegman mit Georgia Stanway in der Startelf planen - eine mutige Entscheidung, denn Bayerns Mittelfeldspielerin hat unbestrittene Qualitäten, aber ist gerade erst von einem Kreuzbandriss zurückgekommen. Mit Keira Walsh und Jess Park gibt es neben ihr natürlich viel Qualität, besonders Walsh ist auf der Sechs für ihr gutes Auge für den unerwarteten Pass bekannt.
Das französische Mittelfeld um Grace Geyoro, Sandie Toletti und Amel Majri hat viel Erfahrung, ist von der individuellen Qualität aber nicht unbedingt viel stärker als das deutsche, während die Niederlande mit Sherida Spitse oder Jackie Groenen noch EM-Heldinnen von 2017 dabei haben, aber langsam, aber sicher einen Umbruch benötigen.
Fazit
Das Prunkstück schlechthin des deutschen Teams wird das Mittelfeld wohl nicht mehr werden - dafür mangelt es an Eingespieltheit und Erfahrung. Die Spielerinnen des Mittelfelds müssen bei der EM beweisen, dass sie als Kollektiv funktionieren können, aber auch, dass sie individuell mal das Ruder herumreißen und das Team anführen können. Für eine recht neue Formation keine leichte Aufgabe - aber die Form in den letzten Spielen hat gestimmt, und mit einem klaren Anforderungsprofil an die Spielerinnen hat Wück eine eindeutige Idee gezeigt, wie sein Mittelfeld funktionieren soll.
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