Die DFB-Frauen im EM-Formcheck: Die Abwehr - Wie groß ist die Baustelle noch?

Sind die DFB-Frauen bereit für die EM? Im 90min-Formcheck prüfen wir, wie Deutschland im Vergleich mit den anderen Topnationen dasteht. Teil 2: Die Abwehr.
Kapitänin und wichtige Stütze in der Abwehr: Giulia Gwinn
Kapitänin und wichtige Stütze in der Abwehr: Giulia Gwinn / Jan Fromme - firo sportphoto/GettyImages
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In den letzten beiden Spielen der DFB-Frauen vor der Europameisterschaft stand mit zehn geschossenen Toren vor allem die Offensive der deutschen Elf im Fokus. Erwähnenswert ist aber auch, dass das Team von Bundestrainer Christian Wück sowohl gegen die Niederlande als auch gegen Österreich eine weiße Weste wahren konnte. Diese vermeintliche Sicherheit in der Abwehr ist keine Selbstverständlichkeit, denn noch wenige Wochen zuvor galt die Defensive der Frauennationalelf als größte Baustelle des Trainerteams - doch wie groß ist diese Baustelle noch?

Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich zuerst ein Blick auf die Kaderliste der deutschen Nationalmannschaft. Wück sorgte bei der finalen Nominierung für wenig Überraschung und nimmt die Spielerinnen mit, die auch zuletzt in den Kreisen der DFB-Frauen verweilten. Einzig Sara Doorsoun musste in den sauren Apfel beißen, da sie es nicht in den EM-Kader geschafft hat. Dementsprechend bilden Giulia Gwinn, Janina Minge, Rebecca Knaak, Sarai Linder, Sophia Kleinherne, Kathrin Hendrich, Carlotta Wamser und Franziska Kett den Defensivverbund für die Europameisterschaft in der Schweiz.

Zwischen Mut und Konstanz

Bei der Nominierung der Abwehr dürfte es einige No-Brainer-Entscheidungen gegeben haben. Wück machte zuletzt keinen Hehl daraus, dass seine bevorzugte Viererkette aus Gwinn, Minge, Knaak und Linder besteht. Kapitänin Gwinn und ihre Stellvertreterin Minge liefen in neun der zehn Spiele unter Wück gemeinsam in der Abwehr auf, die beiden bilden ohne Zweifel das Herzstück der Defensivreihe.

Das verwundert auch nicht, da beide zu den Spielerinnen des Kaders gehören, die am konstantesten ihre Leistung auf den Platz bringen. Dabei kann besonders der Spielaufbau von Janina Minge eine Waffe für die DFB-Frauen sein: Durch ihre Erfahrungen im defensiven Mittelfeld hat die Wölfin das nötige Auge für ihre Mitspielerinnen und lenkt das Spiel von hinten heraus, doch auch gegen den Ball lässt sich Minge nur selten abkochen.

Sarai Linder und Rebecca Knaak dürften die Viererkette bei der EM komplettieren. Lange Zeit war Wück auf der Suche nach seinem präferierten Innenverteidigerinnen-Duo und probierte dabei jede erdenkliche Kombination aus. Jetzt scheint der 52-Jährige mit Minge und Knaak fündig geworden zu sein. Für letztere spreche vor allem ihre Linksfüßigkeit, da Linksfüßlerinnen im professionellen Fußball - besonders in der Abwehr - rar gesät sind. Mit Kleinherne und Hendrich hat der Bundestrainer zwei gute und erfahrenen Innenverteidigerinnen auf der Bank sitzen. Sophia Kleinherne probierte Wück im letzten Spiel beispielsweise auch auf der Rechtsverteidiger-Position aus, könnte dort also auch anderweitig rotieren.

Als Ersatzspielerinnen in der Außenverteidigung reisen Franziska Kett und Carlotta Wamser mit in die Schweiz. Dafür lässt Wück die erfahrenen Spielerinnen Felicitas Rauch und Carolin Simon zu Hause. Laut eigener Aussage bevorzuge er nämlich "die jungen Wilden". Der Vertrauensvorschuss kann aber auch ein Schuss in den Ofen sein, da sowohl Kett als auch Wamser bisher keine großen Erfahrungen als Außenverteidigerinnen sammelten.

Zwar spielte Carlotta Wamser zuletzt bei der Eintracht auf dieser Position und lieferte auch ab, aber eigentlich ist die 21-Jährige gelernte Offensivspielerin - was auch für Franziska Kett gilt. Vielleicht sind der Offensivdrang und die Erfahrung dort aber eine spezielle Waffe, die Christian Wück bewusst einsetzen will. Generell fällt auf, dass alle Abwehrspielerinnen der deutschen Nationalmannschaft ihre Rolle sehr modern interpretieren und weit über die eigentlichen Aufgaben von Verteidigerinnen hinausgehen.

Die Zusammensetzung der Abwehr scheint dem Trainerteam gelungen zu sein: Eine Mischung aus Erfahrung, Selbstbewusstsein und Unbekümmertheit zeichnet den Defensivverbund auf den ersten Blick aus.

Wie gut kann dem Druck standgehalten werden?

Zwar hat der Bundestrainer anders als vor einigen Monaten endlich seine Abwehr gefunden, doch der Titel der Großbaustelle wurde auch wegen etwas anderem vergeben - die Fehleranfälligkeit. Denn es gehört auch zur Wahrheit dazu, dass die Defensive der DFB-Frauen alles andere als ein sicheres Bollwerk ist. Die Niederlande und Österreich konnten aufgrund des eigenen Unvermögens kein Kapital aus den Fehlerchen der Deutschen schlagen, doch gegen offensivstarke Gegnerinnen wird das teuer bestraft werden.

Durch die Bank ist die deutsche Nationalmannschaft hinten nicht mit den schnellsten Spielerinnen gesegnet. Beispielsweise könnte Rebecca Knaak aufgrund ihres Schnelligkeitsdefizits von anderen Nationen als Schwachstelle ausgemacht werden.

Immer mal wieder schleichen sich kleine Wackler, Unsicherheiten und unnötige individuelle Fehler in das Spiel der Abwehr ein. Seien es zu riskante Bälle ins Mittelfeld oder Querschläger beim Versuch, den Ball zu klären. Diese gilt es unbedingt zu vermeiden, da spätestens ab einem möglichen Viertelfinale Gegner warten, die solche Fehler gnadenlos ausnutzen werden.

Vergleich mit den anderen Topnationen

Apropos Gegner, wo steht denn eigentlich die deutsche Abwehr im Vergleich zu den anderen Topnationen? Mit dem internationalen Weitblick fällt auf, dass keine Defensive wirklich perfekt ist. Dennoch gibt es einen Unterschied: Andere Abwehrketten sind eingespielter als die der DFB-Frauen. So tritt beispielsweise England mit einer fast identischen Abwehr an wie bereits 2023 zur Weltmeisterschaft. Dabei nimmt lediglich Kapitänin und UWCL-Siegerin Leah Williamson den Platz von Millie Bright ein, nachdem sie die WM aufgrund eines Kreuzbandrisses verpasste. Auch die Spanierinnen reisen mit einem ähnlichen Gerüst in die Schweiz, mit dem sie die WM gewinnen konnten. Bei den Französinnen fehlt mit Wendie Renard eine der besten Verteidigerinnen des europäischen Frauenfußballs – auch dort gibt es also kleinere Baustellen und Unsicherheiten.

Grundsätzlich sticht keine Defensive besonders heraus: Alle Topnationen kassierten in den letzten Spielen Tore, so schenkte Underdog Belgien beispielsweise Spanien gleich zwei Buden ein und gewann sogar gegen England mit 3:2.

Fazit

Die Abwehr der DFB-Frauen braucht sich nicht verstecken. Die Mischung aus Erfahrung und junger Dynamik kann in den Spielen eine entscheidende Waffe sein. Allerdings kann die Defensive auch für negative Überraschungen sorgen, wenn die individuellen Fehler überhandnehmen. Grundsätzlich gilt bei dieser EM wohl mehr denn je, dass die Offensive "einfach" ein Tor mehr machen muss, als es hinten reinscheppert.