Wolfsburgs Schwierigkeiten in den letzten Spielen - das Popp-Pajor-Dilemma und Pressing-Probleme

Enttäuschung beim VfL Wolfsburg nach der 0:1-Niederlage gegen Bayern München
Enttäuschung beim VfL Wolfsburg nach der 0:1-Niederlage gegen Bayern München / Adam Pretty/GettyImages
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Lange schien der VfL Wolfsburg nur so durch die Saison zu fliegen, feierte Sieg nach Sieg in der Frauen-Bundesliga. Individuelle Klasse und die Kaderbreite kaschierten erste Schwächen, aber die Niederlagen gegen Hoffenheim sowie im Topspiel gegen den FC Bayern haben den VfL nun auf den Boden der Tatsachen gebracht. Welche Probleme muss Coach Tommy Stroot in den kommenden Spielen anpacken?

"We are full of power", wir sind voller Kraft, sagte Georgia Stanway nach dem 1:0-Sieg ihrer Bayern gegen Wolfsburg. Beim Bayern-Sieg verwandelte die englische Nationalspielerin den entscheidenden Elfmeter und stand auch mit zwei sehenswerten Distanzschüssen im Vordergrund. An Kraft schien es dem VfL Wolfsburg dagegen etwas zu mangeln: Die Wölfinnen wirkten besonders in der ersten Halbzeit passiv, ein starkes Bayern machte das Spiel.

Aber wer den entscheidenden Sieg der Bayern nur auf mangelnde Kräfte wegen der englischen Wochen schiebt, der macht es sich zu leicht: Die Probleme, die Alexander Straus' Team mustergültig aufzeigte, waren auch schon in den Spielen gegen Hoffenheim und PSG (wo Wolfsburg ein glücklicher Sieg gelang) vorhanden. Tommy Stroot muss die Mängel noch vor Ende der Saison beheben. Noch sind alle drei Titel für Wolfsburg möglich, aber weitere wichtige Spiele stehen direkt vor der Tür: Das Pokal-Halbfinale gegen selbstbewusste Bayern und das Rückspiel gegen PSG, in denen Wolfsburg ein anderes Gesicht zeigen muss.

Die Niederlage gegen Bayern mag wegen des Handelfmeters etwas unglücklich wirken, aber sie war hochverdient. Bayern hatte mehr Schüsse (17 vs. 11), mehr angekommene Pässe und das Spiel im Griff. Wurde die Niederlage gegen Hoffenheim wegen der schwachen Leistung noch als "Ausrutscher" abgetan, ist spätestens jetzt klar, dass es sich vielmehr um strukturelle Probleme handelt.

Das Popp-Pajor-Dilemma

Maximiliane Rall, Alexandra Popp
Kapitänin Alexandra Popp: Wo sollte sie spielen? / Adam Pretty/GettyImages

Stell dir vor, du hast zwei der besten Stürmerinnen der Welt und kannst sie nicht beide effektiv nutzen: Vor dieser Luxus-Herausforderung steht Wolfsburg-Trainer Tommy Stroot aktuell. Alexandra Popp und Ewa Pajor führen mit zwölf beziehungsweise neun Treffern die Torschützenliste in der Frauen-Bundesliga an. Verständlich also, dass Stroot auf keine der beiden für die wichtigsten Spiele der Saison verzichten wollte. Sowohl Popp als auch Pajor können aus dem Nichts für Gefahr sorgen und haben ein gutes Gespür für die Räume.

Beide fühlen sich eigentlich als waschechte Nummer Neun am wohlsten, aber entweder Popp oder Pajor als Edeljoker zu nutzen, scheint wie eine Verschwendung von Talent. Stroots Lösung ist bisher, Popp als linke Flügelspielerin einzusetzen. Für weite Teile der Saison ging das gut, denn Felicitas Rauch spielte als Linksverteidigerin sehr offensiv und übernahm so viele Flanken und Ballmitnahmen. Popp konnte sich daher frei in den Räumen bewegen und oft im Strafraum auftauchen.

In den jüngeren Spielen hat diese Idee aber ihre Schwächen gezeigt, denn Dribblings und Tempoläufe, das Standardrepertoire einer Flügelspielerin, sind nicht die Stärken von Popp. Über links konnte die 31-Jährige daher selten für Gefahr sorgen, und auch die Unterstützung aus dem Mittelfeld fehlte. Popp rieb sich gegen PSG und Bayern stattdessen in der Defensivarbeit auf, konnte vorne selten Akzente setzen. Nach dem Bayern-Spiel bemängelte sie, dass Wolfsburg zu tief stand und die Wege nach vorne viel zu lang waren. Dort lauerte oft Ewa Pajor allein auf weitem Felde und auf schwierigem Posten.

Eine andere Variante wäre es, Popp in das offensive Mittelfeld zu ziehen. Jill Roord hat dort in den letzten Spielen nicht überzeugen können, ein Platz könnte also frei sein. Popp fühlt sich tendenziell im Zentrum wohler, und dort spielt sie auch besser mit Pajor zusammen. Wenn das Offensivduo in dieser Saison glänzte, kam oft der Steilpass von Popp und Pajor schoss das Tor. Stroot versuchte genau das in der zweiten Halbzeit, und tatsächlich kam Popp daraufhin in bessere Situationen.

Lea Schueller, Jule Brand
Nur spät eingewechselt: Jule Brand / Adam Pretty/GettyImages

Ideal ist die Position für sie aber immer noch nicht und die Frage drängt sich auf, warum Stroot nicht zumindest mit einer Doppelspitze experimentiert hat. Das würde eine Systemumstellung auf ein 4-4-2 bedeuten, und die Frage wäre dann, wie Wolfsburg gut die Flügel besetzen kann und gleichzeitig im Zentrum kompakt bleibt. Die Flügel sind sowieso ein weiteres Thema: Warum Jule Brand mit ihrer Spritzigkeit beispielsweise erst in der 85. Minute eingewechselt wurde, bleibt rätselhaft. Falls Popp in die Doppelspitze rücken würde, wäre für sie oder Sveindis Jonsdottir ein Platz auf dem linken Flügel frei.

Spielaufbau: Ohne Oberdorf ist alles doof

Aber die Frage ist nicht nur, wo Popp und Pajor spielen sollten, sondern auch, wie der Ball zu ihnen kommt. Gegen Hoffenheim, PSG und Bayern hatte Wolfsburg Probleme im Aufbauspiel, und bis auf den langen Ball ging oft wenig. Das liegt zum Teil daran, dass sich die Gegnerinnen gut auf Lena Oberdorf eingestellt haben, die als Staubsauger und Ballverteilerin im Mittelfeld zugleich eine wichtige Rolle einnimmt. Wenn Wolfsburg unter Druck steht, ist ein Pass zur ballsicheren Oberdorf oft das Mittel der Wahl, um sich zu befreien.

Schwierig wird es aber, wenn die Passwege zu ihr versperrt sind. Bei Hoffenheim war Nicole Billa dafür verantwortlich, bei PSG vor allem Ramona Bachmann. Gegen Hoffenheim sah das so aus:

Ohne diese sichere Anspielstation leistete sich Wolfsburg viele Ballverluste, auch Stroot war besonders mit der ersten Halbzeit unzufrieden. Gegen PSG sah es, ebenfalls in den ersten 45 Minuten, ähnlich aus. Wenn Stroot den Matchplan umstellt und sich auf den Gegner einstellt, funktioniert das Offensivspiel meist etwas besser, aber auch in der zweiten Hälfte entwickelte Wolfsburg nicht genug Gefahr.

Im Spiel gegen Bayern zeigte sich stellenweise ein Kontrast zwischen den Münchnerinnen, die sich schnell mithilfe von Dreiecken nach vorne kombinierten, und Wolfsburg. Das heißt natürlich nicht, dass wegen dreier Niederlagen plötzlich alles schlecht ist, aber auf dem höchsten Niveau funktioniert das Aufbauspiel eben nicht wie gegen Duisburg oder Meppen. Oft konnte Wolfsburg in solchen Spielen auf einfache Flanken und die Stärke bei Standardsituationen setzen, aber gegen Bayern und PSG wurde das schwieriger. Stroot sagte vor dem Bundesliga-Topspiel, dass man sich die Ecken erstmal aus dem Spiel heraus erarbeiten müsse, und das gelang seinem Team zu selten.

Defensive Probleme: Die Sache mit den Halbräumen

Noch auffälliger als die Schwierigkeiten im Spiel nach vorne ist aber, wie wacklig Wolfsburg defensiv steht. Gegen Bayern kamen nicht nur die zwei Distanzschüsse von Stanway auf den Kasten von Merle Frohms, sondern auch Versuche von Lohmann (32. und 83. Minute) oder Klara Bühl (59.). Frohms selbst hatte an alldem am wenigsten Schuld, hielt Wolfsburg mit starken Paraden lange im Spiel. Und auch die Abwehrzentrale mit Hegering und Janssen leistete sich keine groben Schnitzer. Wolfsburgs defensive Probleme sind nicht individueller Art, und sie fangen auch nicht mit der Viererkette an.

Das Problem ist eher, dass das Wolfsburger Pressing in den letzten Spielen sehr durchlässig wirkte. In der ersten Halbzeit der Spiele gegen PSG und Bayern konnten beide Gegner spielerisch recht leicht die Wolfsburger Ketten überwinden. Im 4-2-3-1 von Wolfsburg klaffen teils große Lücken im Halbfeld zwischen dem Mittelfeld und dem Sturm. Die Gegnerinnen können sich so einfach in das Mittelfeld kombinieren. Das sieht vereinfacht ungefähr so aus:

In diesem Beispiel lässt sich die Nummer 17, bei Bayern Klara Bühl, in den Raum fallen, um den Ball aus der Innenverteidigung anzunehmen. Wolfsburgs Flügelspielerinnen sind damit beschäftigt, die Außenverteidigerinnen zuzustellen, und so öffnet sich ein großer Korridor, durch den der Gegner nach vorne kommt. Besonders gut war das im Spiel gegen PSG zu sehen. Die Französinnen spielten gezielt immer wieder in diesen Raum, um Wolfsburg auszuhebeln. Lena Oberdorf tat im Mittelfeld ihr Bestes, befand sich aber oft in einem Dilemma: Entweder sie versuchte, den schraffierten Raum zu decken. In dem Fall rückte ihr ganzes Team auf die Seite und PSG konnte auf die ballferne Seite, nach links, verlagern - etwa so:

Durch ähnliche Situationen entstanden mehrere gute Chancen für Paris, vor allem durch die schnelle Diani. Auch Bayerns Viggosdottir beherrscht diese diagonalen Verlagerungen perfekt und konnte so oft das Wolfsburger Mittelfeld ins Schwitzen bekommen. Wenn aber niemand den Halbraum deckte, war Wolfsburg ebenfalls schnell in Nöten - ein simpler Steilpass und eine Ablage in die Mitte reichen, um eine Großchance zu kreieren.

In dieser Situation spielt Paris beispielsweise in den Korridor, die Wolfsburgerinnen schauen nur zu. Hinten links rauscht Linksverteidigerin Felicitas Rauch an, die anschließend ins Eins-gegen-Eins geht. Verliert sie das allerdings, ist hinter ihr viel zu viel Platz. Die Wolfsburger Außenverteidigerinnen stehen gerne hoch, was im Angriff von Vorteil ist, aber in solchen Situationen durchaus Risiko birgt. Auf die Zweikampfstärke zu setzen und ansonsten exponiert zu sein, ist ein Spiel mit dem Feuer. Dafür braucht Wolfsburg nun eine eiskalte Antwort.