Vom Geheimfavoriten zur "schlechtesten Mannschaft des Turniers"

Türkeis Kapitän Burak Yilmaz (2.vl), links hinter ihm Kenan Karaman.
Türkeis Kapitän Burak Yilmaz (2.vl), links hinter ihm Kenan Karaman. / Naomi Baker/Getty Images
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Noch vor einer Woche galt die Türkei ein wenig als Geheimfavorit auf dem EM-Titel. Inzwischen steht die Mannschaft vor dem Aus. Von "Holt uns den Pokal" zur "schlechtesten Mannschaft des Turniers" in nur sechs Tagen.


"Vom Geheimfavoriten zum Geh-heim-Favoriten" ist ein grundsolides Wortspiel, das am Mittwochabend die Runde machte. Was war passiert? Die Türkei hatte gerade gegen Wales mit 0:2 verloren und damit ihre Chancen aufs Achtelfinale der Europameisterschaft 2020 verschwindend gering werden lassen.

"Holt uns den Pokal", hatte die türkische Zeitung Hürriyet am vergangenen Freitag noch getitelt. Es war der Tag des EM-Eröffnungsspiels, in dem die Türkei auf Italien traf. Hürriyet stand mit dieser offensichtlichen Meinung, dass es für die Türkei möglich wäre, den Titel zu holen, längst nicht alleine da. Bei nicht wenigen galt die Mannschaft von Trainer Senol Günes als Geheimfavorit auf den großen Wurf.

Starke Mannschaft, starke Ergebnisse

Das hatte sich die Mannschaft auch durchaus verdient. Zum einen mit Blick auf den Kader: Vor Keeper Ugurcan Cakir, der in weiten Teilen Europas begehrt ist, ist die Auswahl an starken Innenverteidigern mit Merih Demiral, Caglar Söyüncü, Kaan Ayhan und Ozan Kabak groß. Davor Ozan Tufan, der im März noch eine Sternstunde gegen Norwegen erlebte und natürlich Hakan Calhanoglu und Routinier Burak Yilmaz, der gerade mit Lille sensationell französischer Meister geworden war und dabei 16 Tore erzielt hatte.

Hakan Calhanoglu, Yusuf Yazici, Zeki Celik, Okay Yokuslu, Ozan Tufan, Caglar Soyuncu, Merih Demiral, Ugurcan Cakir
Die türkische Mannschaft vor dem Eröffnungsspiel. / BSR Agency/Getty Images

Auch die Ergebnisse stimmten. In der Qualifikation für die EM kassierte die Türkei nur drei Gegentore, keines aus dem Spiel heraus. Auch Größen wie Frankreich bissen sich an der starken Defensive die Zähne aus, zuletzt mussten die Niederländer in der WM-Quali ihre Erfahrungen damit machen und verloren 2:4. Doch gegen die Kleinen? Da gab es auch mal ein 0:2 gegen Ungarn oder ein 3:3 gegen Lettland. Es hätte eine Warnung sein können, ja vielleicht sogar müssen.

Denn die große Stärke der türkischen Mannschaft ist offensichtlich das Konterspiel. Den sehr offensiv ausgerichteten Niederländern wurde das zum Verhängnis, Italien ließ sich im Eröffnungsspiel aber gar nicht darauf ein. Die Squadra Azzurra blieb geduldig, wartete auf Chancen und machte dann die Tore. Drei an der Zahl, während die Türkei kaum einmal aufs Tor schoss.

Türkei mit schlechtem Start - doch die Hoffnung lebte

Die türkische Presse war da trotz allem noch recht positiv gestimmt. Der Tenor: Schlechter Start, aber die Hoffnung lebt. Das Spiel abhaken und nach vorne schauen auf das Spiel gegen Wales in Baku, wo die Mannschaft viel Unterstützung von den Rängen erhalten wird. Doch auch daraus wurde nichts.

"Senol Günes hat nach dem Italien-Spiel die erwarteten Änderungen in der Startelf und im Mittelfeld vorgenommen, aber gegen Wales, von dem wir wussten, dass es uns den Ball überlassen würde, machten diese Änderungen keinen kreativen Unterschied", schrieb die Hürriyet nach dem 0:2 (via Sport1). Und: "Lasst uns nach Hause gehen."

Denn inzwischen hat sich die Stimmung in der Presselandschaft gewandelt. Von Aufbäumen keine Spur mehr, auch, wenn ein Weiterkommen theoretisch noch möglich wäre. Die Chancen sind allerdings sehr gering. Drei Punkte könnten zwar reichen, die hätte man nach einem Sieg gegen die Schweiz, doch ein Torverhältnis im Minusbereich dürfte es nicht. Und aktuell steht die Türkei bei 0:5 Toren.

Ein Geheimfavorit, den niemand bemerkte

"Wir haben mit unserer besten Generation an der EM teilgenommen. Wir haben null Punkte in zwei Spielen geholt, kein Tor geschossen und brauchen jetzt ein Wunder", schrieb Fanatik deshalb. Posta wurde deutlicher. Die Türkei sei so ein geheimer Favorit gewesen, dass niemand es bemerkte: "Leider ist die Türkei die schlechteste Mannschaft des Turniers."

Das ging schnell. Vom Geheimfavoriten und "Holt uns den Pokal" zur "schlechtesten Mannschaft des Turniers" in nur sechs Tagen. Mal sehen, ob diese Mannschaft am Sonntag noch eine letzte Pointe für uns bereithält.