Schürrle und Höwedes üben Kritik am System Profi-Fußball: "Nur eine Rolle gespielt!"


Mit bemerkenswerten Aussagen gegenüber dem DFB-Journal (via kicker.de) haben die beiden früheren Nationalspieler Benedikt Höwedes und André Schürrle Stellung zum Phänomen Profi-Fußball genommen.
Dass der Profi-Fußball eine Parallelwelt darstellt, muss man wohl keinem mehr erklären. Wir reden in diesem Zusammenhang von einem sehr kleinen (und männlichen!) Teil der Gesellschaft, der in sehr jungen Jahren zu sehr viel Geld kommt - und dafür nicht einmal bahnbrechende Erfolge in der medizinischen, sozialen oder wirtschaftlichen Forschung geschafft haben muss.
In dieser "Blase" (auch ohne Corona!) leben die Spieler wie durch einen unsichtbaren Vorhang vom Rest der Gesellschaft, der sie gleichzeitig aber viel Freude bereiten, getrennt. Für die ehemaligen Nationalspieler Benedikt Höwedes und André Schürrle war es deshalb nicht schwer, dieser Schein-Welt den Rücken zu kehren.
Und das auch noch in einem Alter, in dem andere Spieler sogar noch mal durchstarten. Schürrle zum Beispiel hatte bereits mit 29 Jahren genug von dem Zirkus. "Mein Gefühl wusste zu 1000 Prozent, dass es jetzt an der Zeit ist, einen neuen Weg einzuschlagen", sagt er rückblickend und ohne Reue.
Das Zurschaustellen des Reichtums
Sein früherer Team-Kollege im DFB-Dress, Benedikt Höwedes, der ebenfalls mit 29 Jahren die Schuhe an den Nagel gehängt hat, erinnert sich in diesem Zusammenhang einiger Dinge, die er mit einem bestimmten zeitlichen Abstand anders bewerten würde. Wie zum Beispiel die unter Profi-Fußballern weit verbreiteten Angewohnheit, den schnellen und bisweilen überwältigenden Reichtum nach außen zu demonstrieren. Mit teuren Autos beispielsweise.
Auch der Schalker legte sich nach seinem ersten großen Vertrag erstmal ein PS-starkes Gefährt zu. Merkte aber schnell: "Das bin ich nicht. Mir gibt das einfach nichts." Die Gefahr, sich über materiellen Reichtum zu definieren, sieht Höwedes vor allem bei jungen Spielern. Da werde versucht, "jemand zu sein, der man nicht ist."
Schürrle pflichtet ihm bei. Auch er habe "lange nur eine Rolle gespielt". Und fügt hinzu: "Immer mussten es teure Sachen sein, hier eine Lederjacke, dort ein T-Shirt von... egal, Hauptsache teuer - so ist man in die Kabine gegangen."
Und in der herrscht, allerorten, ein Gruppenzwang. Ein Herdentrieb. Wer sich dem verschließt, wird schnell als spleenig oder arrogant oder beides von den Teamkollegen abgetan.
"Mannschaftskollegen sind Kumpel, aber keine richtigen Freunde!"
Wie auch Höwedes bestätigt: "Wenn man bei Themen wie Autos oder Uhren nicht mitreden kann, dann fällt das auf." Er habe sich dann aus der Sache "ausgeklinkt". Wohl auch in dem Wissen (das man aber auch erst als relativ erfahrener Spieler haben kann), dass die "Mannschaftskollegen Kumpel, aber keine richtigen Freunde" seien.
Doch nicht jeder hat in einem bestimmten Moment die Reife (oder das Rückgrat), gegen den Strom zu schwimmen. Wie die beiden es nun getan haben - in diesem verbalen Umfang freilich auch erst nach Ende ihrer aktiven Laufbahn.
Schürrles Kritik an fehlender psychologischer Betreuung
Sehr interessant ist auch der von beiden Ex-Nationalspielern angeschnittene Aspekt der psychologischen Betreuung der Spieler während ihrer aktiven Zeit. In den Worten Schürrles schwingt durchaus ein wenig Enttäuschung über die vielen Klub-Verantwortlichen mit, die seinen Werdegang begleitet haben, wenn er sagt: "Ich glaube nicht, dass es ein Hexenwerk ist, zu erkennen, wenn es einem Spieler nicht gut geht. [...] Der vermeintlich bequeme Weg ist es dann, den Spieler auszutauschen, es sind ja andere da, die funktionieren."
Womit wir bei der Crux der Sache wären: der Fußball, als Ergebnissport, der er ist, scheint es einfach nicht zu erlauben, dass man sich als Trainer (oder Sportdirektor oder in welcher Funktion auch immer) über Gebühr mit dem Seelenleben der kickenden Angestellten befasst.
Wie Schürrle schon treffend sagt: es gibt ja andere, die funktionieren. Und die, die nicht funktionieren werden eben fallen gelassen und müssen hoffen, dass sie jemand anderes auffängt. Doch wenn dieses Auffangen ausbleibt, und eine depressive Grundstimmung noch hinzukommt, können solche Fußballer-Schicksale, im schlimmsten Fall, auch an einem unbeschrankten Bahnübergang enden.