"Jede hat die Chance zu sagen, was sie möchte" - Freiburgs neue Trainerin Theresa Merk im Interview

Neue Trainerin vom SC Freiburg: Theresa Merk
Neue Trainerin vom SC Freiburg: Theresa Merk / Sebastian Widmann/GettyImages
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Theresa Merk ist ab dieser Saison Trainerin des SC Freiburg. Die 32-Jährige ist keine Unbekannte in der Bundesliga, war vor einer Station in der Schweiz als Co-Trainerin beim VfL Wolfsburg tätig. Mit Freiburg will sie jetzt unter professionellen Bedingungen das Maximum aus einer Mischung aus Erfahrung und jungen Talenten herausholen. 90min sprach mit ihr über den Umzug der SC-Frauen ins Dreisamstadion, ihre Stärken und die Freiburg-DNA.


Merks Karriere: Von der Sechserin über Wolfsburg und die Schweiz ins Breisgau

Wie so viele war auch Merk vor der Karriere als Trainerin selbst auf dem Rasen aktiv. Ihr junges Alter verrät allerdings schon, dass sie schnell ihren Fokus auf die Taktiktafel setzte: Merk spielte bei Sindelfingen, hatte parallel aber schon Scheine gemacht und Teams trainiert. Dann kam eins zum anderen: Sindelfingen stieg auf, zugleich erreichte auch die U17 die Bundesliga. Merk, die spürte, dass ihr spielerisches Können vielleicht nicht für das oberste Niveau reichte, hängte die Schuhe an den Nagel und widmete sich ganz dem Trainerinnen-Dasein.

"Das war für mich ein Abwägen. Ich dachte mir, dass es für mich als Spielerin vielleicht nicht mehr bis ganz oben reichen würde. Aber die Option, als Trainerin im Leistungsbereich zu arbeiten, hat mich gereizt", reflektiert Merk heute diese Entscheidung. Ihre Position damals war natürlich die "klassische Trainerposition": Die Sechs, oder auch die Innenverteidigung.

Im Nachhinein kann man wohl sagen: Alles richtig gemacht. Inzwischen ist Merk in einem Alter, in dem viele noch spielen, wieder in der ersten Bundesliga angekommen. Davor war sie aber noch Co-Trainerin beim VfL Wolfsburg und übernahm danach ihre erste große Rolle als Cheftrainerin beim Grasshopper Club Zürich in der Schweiz. Die Zeit in Wolfsburg war für Merk sehr lehrreich, wie sie heute erzählt: "Das war für mich eine Zeit, aus der ich extrem viel mitnehmen konnte. Besonders aus der Arbeit mit den Topspielerinnen: Pernille Harder zum Beispiel, oder Sara Gunnarsdottir, aber auch die deutschen Nationalspielerinnen, mit ganz viel Erfahrung."

Merk stand in Wolfsburg neben den anderen Aufgaben als Co-Trainerin auch im Austausch mit der U20, wovon sie auch heute noch profitiert: "Es hilft mir jetzt, dass ich die Probleme von den Talenten mitbekommen habe. Damit kann ich einschätzen, was bei den jungen Spielerinnen passiert, die neu in die Mannschaft kommen. Da geht es um Fragen wie: Wie kann man sie gut integrieren? Was ist für sie wichtig?"

Talentförderung eine große Aufgabe - Kommunikation eine von Merks Stärken

Auch in Freiburg hat es Merk jetzt mit einigen Talenten zu tun. Cora Zicai und Mia Büchele etwa, die für Deutschlands Jugendteams spielen und sich nun in der Bundesliga etablieren wollen. Oder die beiden Schweizer Nationalspielerinnen Riola Xhemaili und Svenja Fölmli. Aber auch andere Spielerinnen, etwa aus der zweiten Mannschaft, die diesen Sommer in die zweite Bundesliga aufgestiegen ist, können an das Team herangeführt werden.

Merk sagt, mehrere Faktoren seien wichtig, damit diese Spielerinnen sich im ersten Team durchsetzen können: "Zum einen geht es um Spielzeit. Daher ist es wichtig, dass sie das Training in der ersten Mannschaft mit Spielen, zum Beispiel in der zweiten Mannschaft kombinieren können. Nur über diesen Wettkampf bekommt man die Praxis, um gewisse Spielsituationen lösen zu können. Auf der anderen Seite ist es immer gut, wenn sich junge Talente mit den Besten messen können. Durch diesen Vergleich wissen sie, auf welches Level sie kommen müssen, bei welchen Aspekten es noch Luft nach oben gibt."

Neben dem Spielerischen geht es aber auch darum, die Talente behutsam heranzuführen: "Es geht auch darum, den Druck zu nehmen, den machen sie sich selbst schon genug. Damit sie verstehen, dass sie noch Zeit für ihre Entwicklung haben. Es kann ihnen oft nicht schnell genug gehen, aber die Entwicklung als Spielerin ist immer ein Prozess. Es gibt sehr wenige Ausnahmetalente, die sofort den Durchbruch in der Bundesliga schaffen."

Im Umgang mit den Spielerinnen sieht Merk auch eine ihrer großen Stärken als Trainerin: "Ich glaube, dass ich ganz gut im menschlichen Umgang bin. Persönlich lege ich Wert darauf, gut zu kommunizieren, und erwarte das auch von den Spielerinnen: Dass man ehrlich, aufrichtig und respektvoll miteinander umgeht. Das heißt nicht, dass alles schön ist oder immer Friede, Freude, Eierkuchen. Trotzdem ist es mir wichtig, dass jeder die Chance hat, das sagen zu dürfen, was er möchte oder sie möchte. Meiner Erfahrung nach wird das auch von den Spielerinnen geschätzt."

Dabei soll natürlich auch die Taktik nicht zu kurz kommen – Merk wurde bei ihrer Ausbildung bis zum "Fußballlehrer", der höchsten Lizenzstufe, "mit relativ modernen Werkzeugen ausgestattet", wie sie selbst sagt.

Schritt nach Freiburg: "Werte passen zu mir", gute Infrastruktur

Die will sie jetzt beim SC anwenden, für den sie sich aus verschiedenen Gründen entschieden hat: "Ich trainiere jetzt in der Bundesliga, einer der stärksten Ligen Europas. Das war für mich als Trainerin wichtig, den nächsten Schritt zu gehen, zu einem Verein mit professionelleren Strukturen. In der Schweiz sind diese noch nicht so ausgeprägt."

Den wichtigsten Punkt, in dem die Schweizer Liga noch Nachholbedarf hat, sieht sie dabei in der Infrastruktur: "Zur Infrastruktur gehören nicht nur die Plätze und das Gelände, sondern auch das Personal. Da reden wir von medizinischen Abteilungen, hauptamtlichen Trainern und so weiter. Diese Infrastruktur ist sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz ausbaufähig, und in der Schweiz noch einen Tick mehr. Es ist grundlegend, dass unter Profibedingungen trainiert werden kann. Dass die Spielerinnen nicht noch acht Stunden vorher arbeiten müssen und abends um 19:30 das Training startet."

Auch die Ausrichtung des Vereins hat sie gereizt: "Freiburg ist ein Verein, mit dem ich mich gut identifizieren kann. Ich habe das Gefühl, die Werte passen zu mir und man ist ein Stück weit in der Entwicklungsphase. Es wird unterstützt, junge Spielerinnen in die Mannschaft zu holen. Das zeigt auch die Entscheidung, einer jungen Trainerin die Chance zu geben."

Für ihre erste Saison in Freiburg hat sich Merk keinen konkreten Tabellenplatz vorgenommen, vielmehr geht es darum, dass die Spielerinnen ihre Idee verstehen und umsetzen können: "Vor allem für die Hinrunde geht es darum, sich aneinander zu gewöhnen. Es dauert immer, bis man als Trainerin seine Idee implementiert hat. Von daher ist das erste Ziel, dass alle genau wissen, wie wir spielen wollen. Deshalb möchten wir uns noch keine Platzierungen als Ziel setzen. Solange wie möglich im Pokal zu bleiben, haben wir uns schon vorgenommen. Primär geht es aber darum, als Team den Fußball zu spielen, den wir uns vornehmen. Im Idealfall weiß jede in jeder Situation, was sie zu tun hat, wie es zu lösen ist."

"Treue und gute Fans" - aber ungünstige Konstellation

Gerade die Pokalspiele sind auch für Zuschauer attraktiv – letztes Jahr boten die Fans gegen Wolfsburg etwa eine eindrucksvolle Kulisse. Merk, damals zu Besuch in Freiburg, war auch dabei und beeindruckt. Auch ansonsten freut sie sich über die aktive Fanszene, die alle drei Teams unterstützt: Das erste und zweite Männerteam und die Frauen. Merk freut sich über den Erfolg des Vereins, aber er erzeugt auch eine ungünstige Konstellation: "Natürlich steht man 'in Konkurrenz' hier, weil Freiburg mit allen Mannschaften in der höchstmöglichen Liga spielt. Deswegen haben wir immer am selben Wochenende wie unsere Herren ein Heimspiel. Für uns ist das schade. Auf der anderen Seite freue ich mich natürlich über diesen Erfolg. Ich habe da ein lachendes und ein weinendes Auge. Grundsätzlich haben wir schon treue und gute Fans, auch wenn es immer wünschenswert wäre, wenn noch ein paar dazukommen würden."

Manchmal kollidierten deshalb die Spiele mit denen des Männerteams – so etwa letzte Saison, als die Frauen um 13 Uhr gegen Leverkusen spielten und die Männer zweieinhalb Stunden später ihr erstes Spiel im neuen Stadion gegen Leipzig bestritten. "Da wird bei der Ansetzung nicht unbedingt darauf geachtet, an welchem Tag das stattfindet. Auf der einen Seite verständlich, für uns persönlich aber ärgerlich", meint Merk.

Nach der EM: Infrastruktur als Schlüssel

"Der Umzug ins Dreisamstadion war auch wirklich bitter nötig."

Theresa Merk

Das Großevent diesen Sommer, die EM, könnte zu der Aufmerksamkeit beitragen. Auch Merk glaubt an einen positiven Effekt: "So ein Großevent und Hype bewirkt immer etwas, denke ich. Das sieht man in jeder Sportart, wenn ein deutscher Athlet oder eine deutsche Athletin erfolgreich ist. Zum Beispiel beim Tennis: als Steffi Graf am Höhepunkt ihrer Karriere war, hat plötzlich eine ganze Nation Tennis gespielt. Diese erfolgreiche EM und auch die Kulisse bei dem Turnier haben gezeigt, in welche Richtung es gehen kann."

Trotzdem wäre es für übermäßige Euphorie noch zu früh, denn an das Turnier müsse jetzt angeknüpft werden: "Jetzt muss man die Hausaufgaben machen, sowohl auf Verbands- als auch auf Vereinsseite. Man darf den Effekt nicht einfach verpuffen lassen, sondern muss versuchen, auf diesen Zug aufzuspringen. Die Frage ist, ob es gelingt, dieses Interesse in den Alltag zu übertragen. Natürlich gehört es zur Wahrheit, dass bei einem Großevent das Interesse der Zuschauer deutlich größer ist als in der Liga."

In Freiburg wurden die Hausaufgaben schon vor der EM gemacht. Durch den Umzug ins Dreisamstadion im letzten Herbst ist die Infrastruktur beim Sportclub jetzt sehr gut, "da gehören wir schon mit zu Deutschlands Spitze", so Merk. Vor einem Jahr waren die Trainingsbedingungen noch ganz andere, "der Umzug war auch wirklich bitter nötig".

Freiburgs Stärken: Zusammenhalt und gute Mischung

Mit diesen Bedingungen will sie das Potenzial des Teams voll ausschöpfen. Eine Stärke ihrer Mannschaft sieht sie im Zusammenhalt, der über die Jahre gewachsen ist: "Zum einen ist es eine in sich sehr gut funktionierende Mannschaft. Ich habe den Eindruck, sie ziehen voll füreinander mit, gönnen sich viel. Dieser Zusammenhalt gibt eine sehr gute Basis. Zu dieser Stärke gehört dazu, dass der Kader über weite Strecken zusammengeblieben ist. Deswegen haben die Spielerinnen ein gutes Verständnis füreinander und kennen sich gegenseitig."

Einen weiteren Pluspunkt sieht sie in der Mischung aus jungen Talenten und erfahrenen Akteurinnen: "Wir haben die jungen Spielerinnen auf der einen Seite, wo viel Potenzial drinsteckt, und die Erfahreneren. Sie spielen schon jahrelang in der Bundesliga und können die anderen anleiten. Jetzt versuchen wir, aus der Mischung das Optimum rauszuholen."

Für die jungen Talente ist Freiburg ein attraktiver Standort, viele haben vor ihnen schon aus dem Breisgau den Schritt zu einem großen Verein gemacht. Klara Bühl, Melanie Leupolz, Sara Däbritz und Giulia Gwinn sind nur einige Beispiele. Woran liegt das? "Zum einen ist es eine Vereins-DNA. Sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen ist es das Ziel, viel aus der eigenen Jugend zu arbeiten. Es sollen weniger Spieler oder Spielerinnen von auswärts für viel Geld geholt werden. Natürlich gehört es dazu, auch Erfahrung zu verpflichten. Aber auf der anderen Seite möchte man immer Talenten die Chance geben."

Die Talente bekommen außerdem nicht nur eine Möglichkeit zum Durchbruch, sondern auch eine zweite oder dritte: "Der Verein trägt diese Durchlässigkeit in sich, gibt Talenten eine Chance. Derjenige oder diejenige dürfen Fehler machen. Es darf auch mal nicht ganz so rund laufen, was ja vollkommen normal ist. Dann bekommt derjenige die Chance trotzdem noch. Man ist nicht sofort weg." Auch die Infrastruktur im Jugendbereich mit Partnerschulen und Internat sieht sie als einen wichtigen Punkt: "Das gibt einfach ein gutes Gesamtpaket für junge Spielerinnen, hier durchzustarten."

Balance zwischen individueller Arbeit und Teamerfolg

Damit die das schaffen, wird diese individuelle Arbeit für sie auch einer der Schwerpunkte sein. Wichtig ist es dabei, eine Balance zu finden, wie Merk sagt: "Diesen Spagat muss man hinbekommen. Wir wollen die Spielerinnen individuell weiterentwickeln und trotzdem einen Mannschaftserfolg generieren. Das ist etwas, was auch Gefahr birgt, weil man natürlich nicht nur auf Entwicklung gehen kann. Mittelfristig möchten wir auch weiter oben angreifen."

Diese Balance soll auch weiterhin beibehalten werden. Merk hat beim Abgang von Spielerinnen ein lachendes und ein weinendes Auge: "Wir wollen den Spielerinnen den Schritt in einen größeren Verein oder auch international auf eine andere Plattform ermöglichen. Das ist für uns zwar schade, aber zeigt auch, dass man einiges richtig gemacht hat."

Freiburg profitiert als Verein von solchen Transfers derzeit noch eher wenig, denn es gibt selten Ablösesummen. Merk freut sich trotzdem für die Spielerinnen, hofft aber auf mehr Gewinn für kleine Vereine: "Da geht es dann eher um ein persönliches Empfinden. Man fühlt sich in seiner Arbeit bestätigt, freut sich für die Mädels, dass sie diesen Schritt gehen können. Auf der anderen Seite finde ich, dass das mit den Ablösesummen noch besser laufen könnte. Aktuell ist da aber schon eine Entwicklung zu sehen. Für den ausbildenden Verein wäre es natürlich schön, wenn sie noch mehr Benefit davon ziehen könnten, dass eine Spielerin in ihren Reihen groß gemacht wurde."


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