Freiburgs letzter Auftritt im Dreisamstadion - Die Zeichen der Zeit wurden erkannt
Von Christian Gaul
Der SC Freiburg wird am Wochenende sein letztes Spiel im altehrwürdigen Dreisamstadion bestreiten. Damit wird im Breisgau auch finanziell ein neues Zeitalter eingeläutet.
Am kommenden Sonntag wird der SC Freiburg mit dem Heimspiel gegen den FC Augsburg nicht nur den sechsten Spieltag der Bundesliga-Saison 2020/21 abschließen, sondern auch den letzten Auftritt im Dreisamstadion hinlegen.
In Zukunft werden die Breisgauer ihre Heimspiele dann im Neubau mit dem eher kühl klingenden Namen "Europa-Park-Stadion" austragen. Hier wird man nun, statt bisher 24.000 Plätzen, über 34.000 zahlende Zuschauer empfangen können.
Das neue Wohnzimmer der Freiburger kann dabei exemplarisch für einen Aufbruch in ein neues Zeitalter gelten.
Streich erinnert an "ein paar hundert besondere Momente" - Nostalgie jedoch nichts für die Spieler, oder?
Dass die Freiburger ihr letztes Spiel im Dreisamstadion nun ausgerechnet in Zeiten eingeschränkter Zuschauer-Zulassungen bestreiten und daher die Kapazität auf 14.500 Plätze drosseln müssen, ist sicherlich nicht optimal.
Dass der Gegner am kommenden Sonntag beileibe kein wirklicher Hochkaräter ist, kann jedoch einen erfolgreichen Abschied von altbewährten Gesetzmäßigkeiten begünstigen - wenn ein Spiel gegen den FC Bayern auch etwas mehr Drama erzeugt hätte.
Freiburgs Trainer Christian Streich wies vor der Partie auf die Bedeutung der Heimspielstätte für ihn persönlich hin.
"Es gibt nicht den einen besonderen Moment. Es gab ein paar hundert besondere Momente. Meistens mit Freude verbunden, mit einem Gefühl von Gemeinsamkeit - manchmal auch mit Niederlagen", so Streich auf der Pressekonferenz am Freitag.
Doch wollte sich der 56-Jährige weniger auf die Rahmenbedingungen fokussiert wissen, vielmehr gehe es ja um drei Punkte. Streich legte somit das sprachliche Flutlicht auf den kommenden Gegner.
"Da ist viel Nostalgie - aber gleichzeitig spielen wir ein Bundesliga-Spiel gegen Augsburg. Wir haben bis jetzt mit der Mannschaft noch kein einziges Mal über das letzte Spiel gesprochen. Wir waren vollständig beschäftigt mit Augsburg", gab sich Streich in gewohnter Art pragmatisch.
Doch auch seine Schützlinge wissen zumindest in Teilen um die Bedeutung der Partie. "Eine große Ära geht zu Ende. Es wird definitiv etwas fehlen", wurde beispielsweise Vincenzo Grifo zitiert (Quelle: swr.de).
"Für die Gegner war es nicht immer schön, hier zu kicken. Die Gästekabine ist relativ alt und eng, im Sommer ist es immer ziemlich heiß bei uns. Wenn man die anderen Spieler fragt, sagen bestimmt einige, dass sie hier nicht gerne herfahren", wollte Christian Günter die Vorzüge des Dreisamstadions schmunzelnd benennen (Quelle: kicker.de).
"Man hat als Stürmer immer Tore, auf die man besonders gern spielt, und zu dem vor der Nordtribüne habe ich eine enge Bindung. Die Tribüne ist krass nah dran, die Sonne strahlt meistens voll rein", zeigte sich auch Stürmer Nils Petersen wehmütig.
Doch ebenjener Petersen sprach auch einen weiteren Punkt an, den es zu beleuchten gilt.
Freiburg holt infrastrukturell auf - die Grundlage wurde sportlich gelegt
Denn nicht nur werden nun auch die Gäste-Spieler einen anständigen Raum zum Umkleiden bekommen. Die Freiburger läuten mit dem Umzug auch finanziell eine neue Ära ein.
"Man hat ja oft automatisch Angst vor Veränderung. Dementsprechend habe ich auch die Sorge gehabt, dass wir unserer Werte verlieren können - werden wir zu groß?", gab Petersen gegenüber der SportBild zu Protokoll.
Doch rational betrachtet, hat sich der SC Freiburg das neue Heim sportlich verdient und geht damit einen notwendigen Schritt, um auch wirtschaftlich weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben.
"Wir haben es uns verdient zu wachsen, und bei aller Wehmut ist die Vorfreude definitiv groß", traf Petersen den Kern.
Die Verbindung des SC zum Dreisamstadion hat bei näherer Betrachtung zu viele Details, um sie hier alle aufzulisten. Das neue Europa-Park-Stadion steht beispielsweise direkt neben dem Verkehrslandeplatz der Stadt Freiburg.
Somit schließt sich ein wenig der Kreis zum Vorgänger des Dreisamstadions, dem Winterer-Stadion, welches als erste Heimspielstätte des SC galt und 1936 verlassen werden musste, da die deutsche Luftwaffe das Gelände als Flugplatz beanspruchte.
Erst Jahre später bekam der Sportclub ein neues Zuhause, als am 01.09.1954 das Dreisamstadion offiziell eingeweiht wurde. In der Folge sah man nicht nur viele Spielernamen kommen und gehen, auch das Stadion selbst lief aufgrund veräußerter Namensrechte offiziell unter verschiedenen Bezeichnungen.
Stetig wurden bauliche Verbesserungen vorgenommen, um irgendwie mit der Zeit Schritt halten zu können. "Die Spieler haben teilweise zu Hause geduscht, weil bei uns nur kaltes Wasser kam", erinnerte sich die Freiburger Trainer-Legende Volker Finke gegenüber dem kicker.
"Wir müssen aus unserer Höhle raus. Wir haben 365 Tage die Lampe brennen - egal ob die Sonne scheint, weil es da dunkel ist. Jetzt gehen wir irgendwo hin, wo die Sonne rein scheint und wo was ganz Neues kommt", beschrieb Streich die Nachteile des Stadions, das ironischerweise dank zweier Photovoltaik-Kraftwerke mit Solar-Energie betrieben wird (Quelle: swr.de).
Letztlich musste der Verein einfach erkennen, dass Renovierungen Grenzen haben und der Neubau unausweichlich war. Ganz im Stile der Breisgauer Bescheidenheit sollte zunächst jedoch die sportliche Sicherheit geschaffen werden.
Denn was nützt eine Aufstockung der Kapazität um über mehr als 10.000 Plätze, wenn man unterklassig spielt und mit einem schönen Gebäude ein zu hohes wirtschaftliches Risiko eingegangen war?
Den Grundstein legten Streich und die weiteren Verantwortlichen mit der sportlichen Stabilisierung des Vereins, der mittlerweile aus einer Fahrstuhlmannschaft zum festen Bestandteil der Bundesliga erwuchs.
Der Neubau wird als weiteres Indiz für die Freiburger Ambitionen angesehen, stellt jedoch vielmehr eine logische Anpassung an die ausufernden finanziellen Zwänge im Profi-Fußball dar. Freiburg geht den richtigen Weg - für Nostalgie darf nur am Rande Platz sein.