Pro & Kontra: Ist Julian Nagelsmann ein guter Bundestrainer?
Von Dominik Hager

Laut übereinstimmenden Medienberichten wird Julian Nagelsmann das DFB-Team zur Heim-EM führen. Der beim FC Bayern vor die Tür gesetzte Coach wird von vielen kritisch gesehen, gilt aber trotzdem als einer der besten Trainer in Deutschland. Wir sehen uns an, was für und was gegen Nagelsmanns Eignung als Bundestrainer spricht.
Pro Nagelsmann:
1. Nagelsmann kennt bereits zahlreiche Spieler
Bis zur Heim-EM bleibt nicht mal mehr ein Jahr Zeit, was angesichts der seltenen Länderspielphasen äußerst wenig ist. Demnach ist es für jeden Coach eine Mammut-Aufgabe, die passende Aufstellung und Taktik für das Team zu finden.
Julian Nagelsmann hat aber den großen Vorteil, dass er schon zahlreiche Spieler bestens kennt. Zu nennen wären insbesondere die Bayern-Profis. Leon Goretzka, Joshua Kimmich, Jamal Musiala, Leroy Sané, Serge Gnabry und Thomas Müller könnten praktisch das gesamte Mittelfeld sowie die Offensive stellen.
Der 36-Jährige hat in der Vergangenheit zudem schon mit Manuel Neuer (Bayern), Niklas Süle (Hoffenheim, FC Bayern), Benjamin Henrichs, Lukas Klostermann und Timo Werner (alle Leipzig) zusammengearbeitet.
Demnach kann Nagelsmann die Stärken und Schwächen seines Kaders sehr gut einschätzen und wird weniger Zeit brauchen, um das Team kennenzulernen. Als langjähriger Bundesliga-Coach hat er die Akteure, die nie unter seiner Regie gespielt haben, zudem ebenfalls schon häufig genug beobachten können.
2. Nagelsmann kann Titelkampf und Feuerwehrmann
Beim FC Bayern und RB Leipzig hat Julian Nagelsmann sehr starke Klubs trainiert, weshalb er weiß, wie man um Titel spielt und mit Top-Spielern umgeht. Denkt man an seine Hoffenheimer Zeit zurück, muss man aber erkennen, dass seine Fähigkeiten umfangreicher sind. Immerhin übernahm er als blutjunger Coach die TSG und rettete sie mit einem sagenhaften Schlussspurt doch noch vor dem Abstieg. Hierbei hat Nagelsmann gezeigt, dass er auch wenig funktionierende Teams wieder in Fahrt bringen kann. Zwar wirft man dem 36-Jährigen vor, seine Spieler mit komplizierten Ansätzen zu verwirren, jedoch hat auch er damals in Hoffenheim zu einfacheren Mitteln gegriffen und trotzdem die nötige Struktur ins Team gebracht. Nagelsmann ist ein Fußball-Fachmann und zudem noch vielseitig. Genau das dürfte nun auch bei der Nationalmannschaft gefragt sein.
3. Nagelsmann brennt auf seine Chance
Finanziell muss Julian Nagelsmann für den Bundestrainer-Job wohl ein paar Abstriche machen. Trotzdem ist er bereit, auf Teile seines üppigen "Arbeitslosengehalts" beim FC Bayern zu verzichten und sich als Coach neu zu beweisen. Der Rauswurf in München dürfte den ehrgeizigen Nagelsmann noch immer extrem wurmen, weshalb er nun voller Tatendrang steckt, um sich zu beweisen. Der Coach wird alles dafür tun, um seine Kritiker Lügen zu strafen und seinen Ruf als Top-Trainer wieder zu etablieren. Diese Motivation und dieses Feuer, das Nagelsmann sicherlich in sich trägt, braucht es einfach, um bei einer Heim-EM erfolgreich zu sein. Nagelsmann wird sich für ein gutes Abschneiden zerreißen.
Kontra Nagelsmann:
4. Probleme mit Ex-Spielern möglich
Zwar ist es auf der einen Seite ein Vorteil, dass Nagelsmann viele Spieler kennt, jedoch kann es auf der anderen Seite auch Probleme mit sich bringen. Insbesondere Neuer und Müller sollen nicht die ganz großen Nagelsmann-Fans sein. Laut BILD-Angaben hat nach dem Bayern-Aus aber immerhin ein klärendes Telefonat mit den beiden Leadern stattgefunden. Nagelsmann geriet allerdings auch mit Sané und Süle aneinander, wenngleich das Verhältnis noch intakt sein soll.
Trotzdem sind Probleme nicht auszuschließen. Man darf zumindest davon ausgehen, dass die Beziehung zwischen Nagelsmann und dem ein oder anderen Spieler schon ein wenig verbraucht und staubig ist. Zumindest werden die betroffenen Akteure nicht das Gefühl von Aufbruchsstimmung in sich verspüren.
Die Bekanntschaft mit den vielen Bayern-Spielern könnte auch dafür sorgen, dass in der Öffentlichkeit über einen Bayern-Bonus oder sonstige Bevorzugungen diskutiert wird, was wiederum das Klima stört.
5. Nagelsmann ist kein typischer Bundestrainer
In der Regel sind Bundestrainer eher schon ein wenig älter, ruhiger und strahlen eine Autorität und Abgeklärtheit aus. Sie fungieren wie Familiengroßväter, die das Konstrukt zusammenhalten und für die passende Team-Chemie sorgen. Die zwischenmenschliche Ebene ist oft genauso wichtig oder wichtiger als die sportliche Ebene. Nagelsmann ist jedoch eher ein impulsiver Typ, der mit seiner Art auch anecken kann.
Es geht als Bundestrainer zudem nicht darum, die komplexesten Taktiken einzustudieren und zehn verschiedene Systeme spielen zu können. Es ist vielmehr bedeutsam, einen Teamgeist zu erschaffen und mit einfachen Mitteln zu Erfolgen zu kommen.
Nagelsmann verzettelt sich jedoch gerne in taktischen Feinheiten, ist jemand, der am liebsten jeden Tag mit der Mannschaft zusammenarbeitet und seine Ideen vom Fußball vermittelt. Dies geht aber vielmehr im Vereinsfußball als bei der Nationalmannschaft.
6. Nagelsmann fehlt es an Beliebtheit in Deutschland
Das Stimmungsbild in Deutschland ist aktuell sehr Nagelsmann-kritisch. Dies liegt zum einen an seiner Bayern-Vergangenheit, zum anderen aber auch daran, dass er nicht wirklich als Sympathieträger wahrgenommen wird. Viele können sich mit Nagelsmann als Typ nicht so recht anfreunden, wohingegen andere ihn auch für den Bundestrainer-Job als ungeeignet halten. Dies sorgt dafür, dass in Deutschland erstmal keine Aufbruchsstimmung herrscht, was bei einem Coach mit mehr Charisma womöglich anders gewesen wäre. Die Grundeinstellung im Land bleibt demnach kritisch und eher negativ, was angesichts der nahenden Heim-EM fast schon fatal ist. Ein Typ wie Jürgen Klopp und vielleicht auch Louis van Gaal hätte die Leute mitreißen können. Ob Nagelsmann das gelingt, kann als fraglich erachtet werden.
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